IT-Arbeitsmarkt in England ist für EU-Ausländer offen

Britische Personalchefs mögen dünne Bewerbungen

10.11.1998
Von Holger Eriksdotter* IT-Fachleute sind in England ebenso gesucht wie bei uns, der Einstieg für EU-Ausländer ist einfach. Ein zeitlich befristeter Wechsel kann auch für deutsche IT-Spezialisten attraktiv sein; ihr Marktwert steigt. Rückkehrer sind gefragt, versichert Klaus Schürmann von der Hamburger Personalberatung Euroxchange, die deutsche Fachkräfte nach England vermittelt.

Durch einen Aufenthalt in Großbritannien stellen Young Professionals nicht nur gefragte Tugenden wie Anpassungsvermögen, Eigeninitiative und Flexibilität unter Beweis. Noch wichtiger für Personalchefs ist: Wer sich in der leistungs- und serviceorientierten anglo-amerikanischen Arbeitswelt, in der Kündigungsschutz, Sozialpläne und Arbeitnehmervertretungen weitgehend unbekannt sind, behauptet hat, gilt als risikobereit, leistungswillig und durchsetzungsfähig.

Dabei ist der Einstieg in die englische IT-Arbeitswelt in mancher Hinsicht sogar einfacher als bei uns: "Aufgeblähte Bewerbungsmappen mit Zeugnissen, Lichtbild, Lebenslauf bis zur Grundschule, Beruf des Vaters und Geburtsname der Mutter sind eine typisch deutsche Eigenheit, die bei einem englischen Arbeitgeber höchstens ein Stirnrunzeln hervorrufen", erklärt Personalberater Schürmann. Insgesamt gehe es in England unkomplizierter und weniger bürokratisch zu als bei uns.

Der Lebenslauf ist der Schlüssel zum Job

Die wenigen Anforderungen müssen jedoch formal korrekt erfüllt werden. Im Mittelpunkt einer Bewerbung steht der Lebenslauf, Curriculum Vitae oder kurz CV genannt. Sein Aufbau ist völlig anders als der von deutschen Lebensläufen. "Wenn deutsche Bewerber keinen Erfolg bei der Arbeitssuche in England haben, liegt das meist daran, daß der CV nicht den englischen Anforderungen entspricht", stellt der Personalberater fest. Deswegen hilft er, den CV, der in vielen Fällen die einzige Bewerbungsunterlage ist, zu formulieren. Für bestimmte Positionen wird auch ein Anschreiben erwartet, "Covering Letter" genannt. Euroxchange bietet alle Dienste für den Arbeitsuchenden kostenlos an, da die Vermittlungsprovision der Arbeitgeber trägt.

Einen lückenlosen Tätigkeitsnachweis, Lichtbild, Abschluß- oder Arbeitszeugnisse erwartet kein Personalchef auf der Insel. "Insgesamt wird weniger auf formale Abschlüsse Wert gelegt. Dafür kommt es auf die tatsächlichen Fähigkeiten und beruflichen Erfahrungen an." Das macht den Einstieg in England auch für Bewerber interessant, deren Aufstiegschancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt wegen fehlender Schul-, Berufs- oder Studienabschlüsse trotz qualifizierter IT-Kenntnisse und Berufserfahrung begrenzt sind. Englische Chefs sind da pragmatischer. Obwohl auch sie grundsätzlich Wert auf langfristige Arbeitsverhältnisse legen, werden - anders als in Deutschland - kurzfristige Engagements dem Bewerber nicht automatisch als Labilitätsnachweis ausgelegt.

Am leichtesten gestaltet sich der Start in die englische IT-Welt, wenn deutsche Sprachkenntnisse unverzichtbar sind. "Engländer tun sich mit fremden Sprachen schwer", beschreibt Schürmann. Da viele namhafte IT-Unternehmen wegen der günstigen Telekommunikationskosten ihre europäischen Support-Hotlines von England aus betreiben, sind deutschsprachige Mitarbeiter gefragt.

Darüber hinaus unterscheiden sich die gesuchten IT-Qualifikationen kaum von denen, die auch in Deutschland begehrt sind: Betriebssystem-Experten für Unix und NT , Programmierer mit Erfahrung in C++ und Java, SAP-Berater, Internet-, Netzwerk- und Datenbankspezialisten stehen auch bei englischen Unternehmen weit oben auf der Wunschliste.

Mit dem Wechsel zu einem Arbeitgeber im Königreich heißt es allerdings auch Abschied nehmen von vielen in Deutschland selbstverständlichen Sozialleistungen. Die tarifliche Arbeitszeit beträgt fast immer 40 Stunden in der Woche. Die Kündigungsfrist liegt in der Regel bei einer Woche und beträgt selbst bei langjähriger Tätigkeit höchstens drei Monate. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird meist nur mit Karenztagen gewährt. Der Jahresurlaub ist selten länger als zwanzig Tage. Dafür bieten viele Unternehmen aber zusätzliche Sozialleistungen wie eine private Krankenversicherung oder eine Firmenrente an, welche die - an deutschen Verhältnissen gemessen - dürftige staatliche Grundversorgung aufbessern.

Solche Leistungen, in Deutschland selbstverständlicher Bestandteil der Sozialversicherung oder allgemeingültiger Manteltarifverträge, werden in England individuell im Arbeitsvertrag vereinbart - weshalb Schürmann dringend zu erhöhter Aufmerksamkeit rät. Denn wer sich ohne private Zusatzversicherung allein auf den staatlichen "National Health Service" verläßt, hat keinen Anspruch auf freie Arztwahl. Auch Wartezeiten auf ein Krankenhausbett von mehreren Monaten sind nicht unüblich. "Besonders bei Zahnärzten hat man praktisch keine Auswahl - die guten nehmen nur Privatpatienten."

Was die Verdienstaussichten angeht, hält sich die Verlockung in Grenzen, zumindest auf den ersten Blick: Die britischen Bruttolöhne liegen für vergleichbare Positionen unter dem deutschen Niveau. "Aber durch die geringeren Steuern und Sozialabgaben ergibt sich beim Nettoverdienst kein erheblicher Unterschied", schränkt Schürmann ein, der selbst in England in Lohn und Brot stand. Allerdings liegen im Großraum London die Lebenshaltungskosten deutlich über denen in deutschen Städten - die Hauptstadt gehört weltweit zu den fünfzehn teuersten Metropolen. "Im Rest des Landes sind die Preise mit denen in Deutschland vergleichbar, liegen zum Teil sogar deutlich darunter."

Die Arbeitsvermittlung in England, besonders im IT-Sektor, steht weitgehend auf privaten Füßen. "Recruitement Agencies" sorgen für den Nachschub in dem Wachstumsmarkt. Die staatlichen "Job-Centres", funktional mit den deutschen Arbeitsämtern vergleichbar, haben mit der Vermittlung höher qualifizierter Berufe fast nichts zu tun.

Schürmann arbeitet mit mehreren Arbeitsvermittlern in England zusammen, aber auch direkt mit einigen großen Unternehmen der Computerbranche. Mit Inseraten in Fachzeitschriften und Jobbörsen im Internet sucht er nach geeigneten Kandidaten. In seinen Anzeigen stellt er die Anforderungen, aber auch den Reiz einer Auslandstätigkeit in den Vordergrund. Allgemeine Stellengesuche im Internet oder in Zeitungen durchforstet er aber trotz der großen Nachfrage in England nicht nach geeigneten Bewerbern. "Die Motivation für eine Tätigkeit im Ausland muß schon vom Bewerber kommen", erläutert Schürmann. "Zum Arbeiten ins Ausland zu gehen ist ein ziemlich einschneidender Schritt. Leute, die man dazu überreden muß, werden meist nicht glücklich."

*Holger Eriksdotter ist freier Journalist in Hamburg.