EDV-Fachkräfte nicht mehr unbedingt mit Freifahrschein:

Breites Grundsatzwissen zunehmend gefragt

13.01.1984

Die Zeiten liegen nicht weit zurück, als Operatoren, DV-Organisatoren und Programmierer jene Berufsbilder waren, die der Hauch des "Neuen"

umgab. Arbeitsplatzprobleme schien es nicht zu geben, DV-Jobs wurden

vergleichsweise überdurchschnittlich entlohnt, Operatoren und Programmierer zählten zu den bestbezahlten Sachbearbeitern in Dienstleistung, Handel und Industrie. Während sich in vielen Bereichen bereits Anfang der 70er Jahre strukturbedingte Arbeitsmarktprobleme abzeichneten, war EDV-Mitarbeitern jedwede Krisenstimmung völlig fremd.

Im Gegenteil: Es war nicht zuletzt die stürmische Nachfrage nach qualifizierten Computer- und EDV-Spezialisten, die dazu führte, daß selbst im Hochschulbereich neue DV-orientierte Studienfächer eingerichtet wurden. Dieser Sachverhalt brachte in den folgenden Jahren eine Flut von theoretisch vorgebildeten DV-Fachkräften hervor, die aufgrund ihres fehlenden praktischen Erfahrungshintergrundes oftmals keine ihrem formalen Bildungsstand entsprechende Tätigkeit erlangen konnten.

Die entgegen allen Erwartungren eintretenden Zentralisierungsbestrebungen im Rahmen DV-gestützter technischer und kommerzieller Anwendungen einerseits sowie die unaufhaltsam fortschreitende Hardware-Entwicklung andererseits begründeten eine nachhaltige Umkehr des bis dahin zu beobachtenden Trends, daß einer großen Anzahl von Fach- und Hochschulabgängern nur ein begrenztes Potential an Qualifizierten Arbeitsplätzen in den Organisations- und DV-Abteilungen der Wirtschaft gegenüberstand. Hinzu kam, daß Spezialisten-Positionen mit Mitarbeitern besetzt waren, die zwar keine qualifizierte Formalausbildung vorzuweisen hatten, aber auf langjährige, fundierte praktische Erfahrungen in ihrem Aufgabenbereichen zurückblicken konnten und aus diesem Grunde ein reibungsloses Funktionieren des DV-Betriebs gewährleisteten. Nicht zuletzt deshalb

waren sie in vielen Fällen kaum kurzfristig ersetz- beziehungsweise austauschbar.

Folge: Der Komfortgrad von Positionen in Organisation und Datenverarbeitung wurde zunehmend geringer, Tätigkeiten, die bisher von Mitarbeitern ohne qualifizierte Formalausbildung ausgeübt werden konnten, wurden und werden in zunehmendem Maße Fach-, Fachhochschul- und Hochschulabsolventen übertragen. Hier war und ist die DV zwar lediglich Spiegelbild der Entwicklung des Führungskräftemarktes im allgemeinen, in ihren Auswirkungen aber zumindest in Teilbereichen ungleich stärker von diesem negativen Prozeß betroffen.

Zukünftige Berufsbilder noch nicht absehbar

Die Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung von DV-Berufsbildern sind heute noch nicht absehbar. Wenn man aber berücksichtigt, daß beispielsweise Softwarepakete für kaufmännische und technische Applikationen unaufhörlich weiterentwickelt und verbessert werden, sind folgende Schlüsse realistisch und zwingend:

- Die Tätigkeit des Programmierers im herkömmlichen Sinne wird wesentliche und nachhaltige Änderungen erfahren.

- Die Aufgaben von Operatoren und Consol-Operatoren werden, zunehmend von Mitarbeitern wahrgenommen werden, deren Formalausbildung der heute üblichen keineswegs mehr entsprechen wird. - Der Stellenwert von DV-Spezialistenpositionen (Systemprogrammierer, Systemanalytiker etc.) wird steigen.

- Die Nachfrage nach Führungkräften im DV-Produktionsbereich (Schichtführer, RZ-Leiter, Chefoperator) wird nachhaltig zurückgehen.

Diese heute bereits eingetretenen und weiterhin erkennbaren Prozesse verlangen sowohl von Organisations- und DV-Führungskräften als auch von Berufs- und Managementberatern ein entschiedenes Umdenken. Denn während EDV-Berufe schlechthin in der Vergangenheit als zukunftssicher, überdurchschnittlich dotiert und arbeitsplatzstabil galten, sind heute weitgehend schon in die Reihe jener Jobs einzuordnen, die nicht zuletzt aufgrund der unaufhaltsamen Automatisierung auch im EDV-Bereich in starkem Maße an Anziehungskraft und Attraktivität verlieren.

Diese Entwicklungen und ihre negativen Folgen für den Arbeitsmarkt in ihrer Bedeutung zu erkennen und ihnen rechtzeitig entgegenzuwirken ist für DV-Mitarbeiter das Gebot der Stunde. Für alle Betroffenen, also jene, die sich für eine berufliche Laufbahn in Organisation und Datenverarbeitung- entscheiden und jene, die für die DV-Personal-Beschaffung- und Entwicklung in den Unternehmen verantwortlich sind, ergeben sich folgende Konsequenzen:

- Für Berufsanfänger, Umschüler, Studienanfänger, Auszubildende etc., die sich für eine Laufbahn in Datenverarbeitungs- und Organisationsberufen entscheiden wollen, sollte die fachliche DV-Orientierung nicht alleiniges Kriterium sein, sondern durch eine persönliche Situationsanalyse - wie untenstehend abgebildet - unbedingt eine Anreichung des Aufgabenspektrums ins Auge gefaßt werden.

- Personalleiter, DV- und Organisationsleiter, die vakante Führungspositionen mit qualifizierten Spezialisten zu besetzen haben, werden in Zukunft sowohl bei Positionsanalysen, eignungsdiagnostischen Interviews und Marktansprachen als auch im Rahmen von Kandidaten-Auslese und Selektionsprozessen professionelle und wissenschaftlich abgesicherte Methoden und Verfahren anwenden müssen.

Auch und gerade auf diesen personalwirtschaftlichen Komplexen haben Management- und insbesondere Personalberater in den letzten Jahren richtungsweisende Grundsatzarbeiten geleistet und ein umfassendes und spezielles fachliches Know-how erworben.

Mittel- und langfristig also werden auch die in Organisation und Datenverarbeitung beschäftigten Führungskräfte mehr als in der Vergangenheit erforderlich und notwendig sich ein breites technisches und betriebswirtschaftliches Grundsatzwissen aneignen müssen, das über den heute noch üblichen Spezialisten-Horizont hinausgeht. Nur dann werden sie in der Lage sein, strukturelle Positionskrisen, die sich heute allenthalben schon abzeichnen, zu vermeiden.

*Berthold Trottnow ist Personalberater und Geschäftsführer der SIGMA, Societät für Unternehmensplanung GmbH in Stuttgart.