Überflieger spielen dominierende Rolle bei künftiger Techno-Wettbewerbsfähigkeit:

Brainworker verkörpern Multi-Kompetenz

11.03.1988

Der Brainworker ist ein neuer Typus von Geistesarbeiter im Sektor Forschung und Entwicklung (F+ E). Er kommt jenen gewandelten Anforderungen nach, die sich als Folge moderner Automatisierungstechniken in der Produktion abzeichnen. Sein Debüt betrifft besonders die traditionellen Berufsprofile, stellt Technologie-, Management- und Qualifikationsforscher Reinald von Gizycki vom Battelle-Institut in Frankfurt fest*. Brainworker warten nämlich mit technischer, interdisziplinärer und unternehmerischer Kompetenz auf.

Die Zahl der Beschäftigten bei Dienstleistungen für das Produktionssystem wächst. Besonders eine Gruppe macht dabei auf sich aufmerksam: die "Brainworker" oder auch "Systeminnovatoren". Sie sind Forscher, Ingenieure, Entwickler sowie Berater und Technologiemanager, die für Konzeption, Ausgestaltung und Anwendung neuer Techniken verantwortlich zeichnen. Ihnen schreiben die Berufsforscher des Battelle-Instituts eine wichtige Rolle für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der technologiebasierten Industriegesellschaften zu.

Der Anteil der Brainworker beträgt hierzulande derzeit etwa fünf Prozent von allen Erwerbspersonen. Ihre Zahl nahm in den vergangenen Jahren durch das Wachstum der High-Tech-Branche deutlich zu. Ein Beispiel: Die Siemens AG etwa stellte in den 70er Jahren im Schnitt 500 bis 600, heute aber über 3000 Wissenschaftler und Ingenieure ein.

Zwei berufliche Karrieretypen lassen sich beim "Brainworker" beobachten: Einer ist der universale Entwicklungstyp, der andere ist im Sektor Forschung und Entwicklung zu Hause.

Der erste, häufiger vorkommende Typ Highflyer beginnt nach dem - teilweise auch parallelen - Abschluß mehrerer Studiengänge in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung eines Industrieunternehmens und landet schließlich auf Management- oder Stabspositionen in einem anderen Betrieb oder in einer "Gründerfirma".

Der zweite Typus bleibt im engeren F+E-Kreis. Er ist weiterhin forschungsorientiert. Da einige große Unternehmen wie IBM oder Siemens Forschungsinstitute mit Universitätscharakter unterhalten, kann sich dieser Brainworker-Typus zwischen Uni-Laboratorien, Forschungsinstituten, F+E-Abteilungen sowie Vertrags- oder Großforschungseinrichtungen frei bewegen (siehe Tabelle).

Eine Analyse von mehr als 20 typischen Karrierewegen zeigte, daß die hohe berufliche Mobilität ein entscheidendes Merkmal für den Erfolg von Brainworkern ist. Im Schnitt hakt dieser Mitarbeiter nämlich vier Positionen ab (siehe Tabelle).

Der Systeminnovator nimmt eine bestimmte Stellung in der Hierarchie im Innovationsprozeß und in den betrieblichen Funktionsbereichen ein. Er ist im mittleren Management und auf der Expertenebene industrieller Forschung und Entwicklung beheimatet. Während sein Kreativitätsaspekt eher auf der Expertenebene gefordert wird, ist das Systemdenken auf das Tätigkeitsprofil des mittleren F+ E- und Innovations-Managements bezogen.

Systeminnovatoren sind nicht nur für technische Einzelsysteme zuständig, sondern besonders für umfassende technische Gesamtsysteme wie etwa die computerintegrierte Fertigung (CIM), Local Area Networks (LAN) oder dialogfähige Büro- und Computersysteme. Drei Elemente kennzeichnen den Brainworker: Er ist auf technische Systeme orientiert, entscheidend am Innovationsprozeß beteiligt und mit extrem komplexen Informationsverarbeitung befaßt.

Nach einer Schätzung des Battelle-Instituts werden sich künftig zwischen 15 und 30 Prozent der Entwicklungsarbeiten auf komplexe Systementwürfe beziehen. Die zunehmende Forschungsintensität, Vernetzung und Integration neuer Produkte sowie Prozesse gelten deshalb auch als Ursache für das starke Wachstum der Gruppe der Brainworker.

Die meisten Brainworker verfügen über eine auffallend breite akademische Ausbildung, etwa die Kombination von Leistungselektronik und Informatik. Sie besitzen die Fähigkeit, sich schnell in neue Gebiete einzuarbeiten. Damit liegen sie ganz im Trend. Derzeit findet nämlich eine deutliche Verlagerung zu mehr Informatikkenntnissen in den F + E-Abteilungen statt. Noch beträgt das Verhältnis von Nicht-Informatikern zu Informatikern 60 zu 40. Künftig tritt an die Stelle von Meßtechnikern das Meßgerät, den FH-Absolventen löst der Ingenieur mit Universitäts-Diplom ab.

Brainworker sind hauptsächlich im F+E-Bereich bei Systemherstellern und -anwendern anzutreffen. Sie tummeln sich aber zudem in einer Vielzahl weiterer Betriebsfunktionen und Forschungsinstituten. Die innovative Ausprägung und den Systemcharakter ihrer Tätigkeit schätzen beispielsweise gleichermaßen Controlling-, Marketing- und Vertriebsabteilungen. Besonders Automatisierungs-, System- und Planungsabteilungen sowie Projektsteuerungsgruppen, die für die Einführung der Informations- und Kommunikations- (IuK-) Technik in Büro und Produktion verantwortlich sind, benötigen die Systemfähigkeiten der Brainworker.

Drei Arten von Arbeits- und Qualifikationsanforderungen sind für Tätigkeiten eines Brainworkers typisch: erstens Denkanforderungen, besonders innovatives und Systemdenken; zweitens persönliche und soziale Fähigkeiten, vor allem hinsichtlich Netzwerken und Kommunikation; drittens technische, interdisziplinäre und unternehmerische Kompetenz.

Systemdenken bedeutet Denken in Zusammenhängen. Künftig ist es besonders gefordert, da zusammen mit zunehmender Systemvernetzung auch eine steigende Zahl technischer Spezialgebiete zur Lösung eines Gesamtproblems integriert werden muß. Weiterhin ist Systemdenken gefragt, weil bereits heute die Anwendungserfordernisse bei der Systementwicklung berücksichtigt werden müssen. F+E-Aktivitäten der Hersteller verlagern sich also zunehmend in den Kundenbereich hinein. Das gilt vor allem für das Stichwort Ergonomie im Sektor Software.

Auch kommunikative Fähigkeiten benötigt der Brainworker, weil er seine Ideen, Produkte und Ergebnisse intern wie extern an oftmals weniger kompetente Zielgruppen, etwa Vorgesetzte, Manager, Kunden, Förderer oder auch Kollegen verkaufen muß.

Dazu baut er ein informelles Netz der "kreativen Szene" auf, das ihn unterstützt. Hierbei greift er auf gewachsene Beziehungen etwa aus seiner Studentenzeit zurück. Institutionelle und persönliche Widerstände gegen seine Innovationen lassen sich häufig nur mit Hilfe solcher Netzwerke überwinden, die meist auf der Basis von "Austauschbeziehungen" bestehen. Zu einem späteren Karrierezeitpunkt werden frühere Dienste dann wieder "gutgemacht".

Interdisziplinäre, breite Kompetenzen wiederum ergeben sich aus dieser System- und Netzwerkorientierung. Die Brainworker verstehen sie in ihrer bedeutenden Rolle für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der technologiebasierten Industriegesellschaften einzusetzen - und für die eigene Karriere auszuspielen.