Kolumne

Boo.com - ein heilsamer Schock

26.05.2000
Christoph Witte, Chefredakteur CW

So, jetzt ist zunächst einmal die Luft raus aus dem Internet-Börsenmarkt. Der britische Online-Händler Boo.com hat die erste größere Pleite hingelegt und damit viele Investoren ins Grübeln gebracht. Wollen sie ihr Geld künftig nicht in erfolglose Startups stecken, müssen sie viel genauer auswählen, können nicht mehr wie bisher blind in jedes IPO investieren, weil nicht mehr alle Kurse von Internet-Companies automatisch durch die Decke schießen. Dieser Trend zeichnet sich zwar schon seit einigen Monaten ab, doch offenbar braucht die Finanzgemeinde ein Beispiel, um endgültig aufzuwachen. Nach dieser Insolvenz werden wahrscheinlich nicht nur die Anleger vorsichtiger zu Werke gehen, sondern auch die Venture-Capitalisten und Business Angels, die mit ihren enormen Geldmengen in ganz erheblichem Maße für den viel zitierten Internet-Speed gesorgt haben.

Wenn sich durch diese neue Umsicht - dass sie Fuß fasst, ist angesichts des kurzen Gedächtnisses von Spekulanten noch keineswegs ausgemacht - die Entwicklung der Internet-Szene etwas verlangsamt, kann sich das sowohl für die Industrie als auch für die Anwender positiv auswirken. Ganz vordergründig schon dadurch, dass Unternehmen der New Economy, bevor sie auf das schnelle Geld schielen, ihre Business-Pläne und Modelle, vor allem aber ihre Produkte und Services auf Kundennutzen überprüfen müssen. Die Chance ist größer geworden, dass in erster Linie innovative Ideen finanziert werden. Hält der Trend zur Vorsicht bei den Geldgebern an, ebben auch die Chancen der Me-too-Companies ab, die bisher guten Ideen immer gefolgt sind (Auktionen, CD-Shops, Marktplätze etc.). Reine Nachahmer werden einfach an den größeren Finanzierungshürden scheitern. Das hilft, die Spreu vom Weizen zu trennen und auch, die Hektik und den Druck aus dem Markt zu nehmen. Druck, der in der Hype-Phase auch auf den IT-Abteilungen von Anwenderunternehmen lastet. Vielleicht ist jetzt etwas mehr Zeit, die Pläne vernünftig zu durchdenken, anstatt mit Rohentwürfen in den E-Commerce einsteigen zu müssen.

Doch Vorsicht: Das heißt nicht, dass der Aufbruch in die New-Economy mit seinen Folgen für die IT-Abteilungen jetzt plötzlich abgesagt ist. Das Boo-Desaster sollte allen E-Commerce-Enthusiasten nur zeigen, dass auch in einer stark veränderten Ökonomie viele der alten Regeln gelten.