Boetsch: Regulierer hat noch Aufgaben Misstoene beim Jubel ueber die drei neuen Post-Aktiengesellschaften CW-Bericht, Gerhard Holzwart

06.01.1995

KOELN - Es war eine Feierstunde par excellence, jedenfalls haette der Rahmen fuer die groesste Privatisierung in der Geschichte der Bundesrepublik festlicher nicht sein koennen. Mit dem Startschuss fuer Deutsche Post AG, Deutsche Postbank AG und Deutsche Telekom AG beginnt die Postreform II Realitaet zu werden. Ueberschattet wurde der Gruendungsakt der drei Aktiengesellschaften allerdings vom Gerangel hinter den Kulissen um die Besetzung des Telekom- Aufsichtsrates. Das ehemalige Postunternehmen geht, so scheint es, einer politisch ungewissen Zukunft entgegen.

"Wir schreiben heute Postgeschichte, manche meinen sogar Geschichte", lauteten die salbungsvollen Einfuehrungsworte von Bundespostminister Wolfgang Boetsch vor den rund 600 geladenen Gaesten im Festsaal des Koelner Maritim-Hotels. Zum Zeitpunkt, als Boetsch dies sagte, waren die notariell beglaubigten Unterschriften unter die Gruendungsurkunden der drei Aktiengesellschaften quasi noch feucht. Boetsch hatte zuvor in einem Nebenraum des Hotels als Vertreter des Eigentuemers Bund zusammen mit den jeweiligen Vorstaenden, Aufsichtsraeten, Gruendungspruefern und einer Notarin die nach dem Aktiengesetz vorgeschriebene Gruendungsprozedur vorgenommen.

Danach ist das den Vorgaben der Postreform II entsprechende Postneuordnungsgesetz seit dem 1. Januar 1995 rechtskraeftig; alle drei neuen Aktiengesellschaften sollen so bald wie moeglich in das Handelsregister eingetragen werden und damit ihren Weg als eigenstaendige juristische Personen antreten. Bis dahin existieren Deutsche Post AG, Deutsche Postbank AG und Deutsche Telekom AG als sogenannte "Aktiengesellschaften in Gruendung".

"Die Fesseln der Vergangenheit duerfen die Zukunftschancen nicht beeintraechtigen", betonte Boetsch bei der Ueberreichung der Gruendungsurkunden an die drei Vorstandsvorsitzenden Zumwinkel, Schneider und Ricke. Alle drei Unternehmen haetten, so der Postminister, durch die Privatisierung die notwendigen Freiraeume fuer flexibles unternehmerisches Handeln erhalten. Sie koennten als Aktiengesellschaften uneingeschraenkt auf Auslandsmaerkten aktiv werden und dadurch besser im internationalen Wettbewerb bestehen - ein Wettbewerb, der, wie Boetsch hinzufuegte, durch die fortschreitende Liberalisierung auf europaeischer Ebene in Zukunft wesentlich haerter sein wird.

Der Festakt, der eigentlich den Aufbruch in die Zukunft symbolisieren sollte, geriet jedoch unversehens zu einer Art Abschiedsvorstellung fuer den Mann, der in den Tagen davor fuer Schlagzeilen gesorgt hatte: Telekom-Chef Helmut Ricke. Ricke, der mit sichtbar qequaelter Miene die Gruendungsurkunde der Deutschen Telekom AG aus der Hand Boetschs entgegennahm, machte noch einmal "ausschliesslich persoenliche Gruende" fuer seinen Ruecktritt geltend, ueber die er "nicht weiter in der Oeffentlichkeit philosophieren moechte".

Prinzipiell sei er fuer die einmalige Moeglichkeit dankbar, die Privatisierung der Telekom ueber fuenf Jahre hinweg "an entscheidender Stelle mitzugestalten". Den jetzt eingeschlagenen Weg bezeichnete Ricke als gut und richtig, allerdings komme die Weichenstellung "zehn Jahre zu spaet".

Was die eigentlichen Motive fuer die ueberraschende Demission Rickes angeht, gibt es in Bonner Insiderkreisen so gut wie keinen Zweifel mehr. Die Telekom-Chefetage und allen voran Ricke selbst war und ist verbittert ueber den nach wie vor gegebenen politischen Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen des Telekom-Vorstandes. Dies gilt fuer den weitgehend mit Politikvertretern bestueckten neuen Telekom-Aufsichtsrat ebenso wie fuer die neu geschaffene Bundesanstalt fuer Post und Telekommunikation als eine die drei Postunternehmen uebergreifende Holding. Darueber wacht der Bundesminister fuer Post und Telekommunikation, dem dabei noch ein Regulierungsrat von je 16 Vertretern des Bundestages und der Bundeslaender zur Seite steht.

Brisanz erhielt die Debatte um die Zusammensetzung des Telekom- Aufsichtsrates auch durch die kurzfristige Absage Tyll Neckers, der seinen Verzicht auf das Mandat mit der Doppelfunktion des beamteten Post-Staatssekretaers Gerhard Pfeffermann als Aufsichtsratsmitglied und Vertreter des Regulierers begruendet hatte. Boetsch war es dann buchstaeblich in letzter Minute vor dem Gruendungsakt gelungen, Degussa-Chef Gert Becker anstelle von Necker fuer den Telekom-Aufsichtsrat zu gewinnen. Mit Blick auf die Kritik Neckers, Eigentuemer- und Reguliererfunktion wuerden durch die Bestellung Pfeffermanns in den Telekom-Aufsichtsrat verquickt, stellte Boetsch klar: "Regulierer ist nicht Herr Pfeffermann, sondern der Minister."

Prinzipiell hat, wie Boetsch betonte, das Bundespostministerium als Regulierer auch nach der Gruendung der drei Aktiengesellschaften weitreichende Aufgaben. So gelte es zum einen, den Wettbewerb in Gang zu bringen, zum anderen muesse der Infrastrukturauftrag gesichert werden. Ueber eine Aufloesung des Ministeriums koenne man, so Boetsch, fruehestens Ende 1997 nachdenken, wenn die Postunternehmen auf voll liberalisierten Maerkten agieren.

Auch Telekom-Chef Helmut Ricke wagte zum Schluss einen Blick in die Zukunft. Er verlasse einen Vorstand, der stets ein gutes Team gewesen sei. Das Unternehmen sei gesund, innovativ und profitabel. Ricke nannte in diesem Zusammenhang die Investitionen in den neuen Bundeslaendern sowie die waehrend seiner Amtszeit erbrachten Transferleistungen in Hoehe von zwoelf Milliarden Mark an Postdienst und Postbank, ferner die Ablieferungen an den Bundeshaushalt in Hoehe von 27 Milliarden Mark.