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Bildstörung statt Bonanza

19.02.2008
Von Handelsblatt 
Lange Zeit war das Fernsehen eine Goldgrube. Doch nun drängt sich das Internet im Kampf um Werbung und Inhalte nach vorn. Gerade junge Zuschauer wenden sich vom Medium TV ab - der tägliche Fernsehkonsum sinkt. Auch Computerhersteller haben die Zeichen der Zeit erkannt und versuchen nun, die Möglichkeiten der digitalen Bilderwelt auszuschöpfen.

Wenn Nokia-Vorstand Tero Ojanperä über die audiovisuelle Zukunft spricht, glänzen seine Augen. Der Unterhaltungsexperte des finnischen Mobiltelefonherstellers verliert kein Wort über das traditionelle Fernsehen: Für den Finnen ist das Handy die Kommunikationsmaschine der Zukunft. Dort soll es die Bilder, Spiele, Nachrichten, Stadtpläne und Musik für den Mediennutzer geben.

Die gesamte Kommunikationsbranche ist durch die Digitalisierung herausgefordert. Internetkonzerne, Telekomriesen und Handyhersteller kämpfen um die Bilder, und die Fernsehbranche steht zunehmend mit dem Rücken zur Wand. Schon schwächt das Internet in den Privathaushalten die Sender: Erstmals seit mehr als zwei Dekaden sinkt der tägliche Fernsehkonsum. Im vergangenen Jahr lag er bei 225 Minuten. Im Gegenzug stieg die Nutzung des Internets auf 54 Minuten täglich. Die massenweise Verbreitung des mobilen Internets über Handy wird den Niedergang des TV-Konsums noch beschleunigen. Denn Bilder werden in wenigen Jahren dank Mobiltelefon überall und zu jeder Zeit verfügbar sein. Konzerne wie Nokia arbeiten fleißig daran, damit künftig Milliarden zu verdienen. Mit dem konzerneigenen Internetportal Ovi, das finnische Wort für Tür, vermarkten die Skandinavier künftig die Inhalte selbst. Aus dem finnischen Handyhersteller wird ein globaler Internetkonzern.

Noch verlässt sich die traditionelle Medienbranche auf die Markenstärke ihrer Fernsehsender, Musikfirmen oder Magazine. So sagt Gerhard Zeiler, Vorstandschef der RTL Group: "In einer Welt mit Hunderten von Kanälen, mit vielen neuen Plattformen ... sind zwei Dinge wichtig: Inhalt und Marke." Ähnlich tönt auch der Konkurrent Pro Sieben Sat 1: "TV ist das Rückgrat. Eine Marke kann man nicht im digitalen Ghetto aufbauen", sagt der langjährige Marketingvorstand Peter Christmann.

Die Selbstgewissheit der großen Sendergruppen könnte sich in wenigen Jahren als illusorisch erweisen. Schon zieht den Fernsehchefs das Internet-Videoportal Youtube Sorgenfalten ins Gesicht. Sie wissen: Im digitalen Zeitalter haben die analogen Marken nur eine begrenzte Anziehungskraft. Das haben die großen Fernsehsender von RTL über Pro Sieben Sat 1 bis hin zu ARD und ZDF bitter bei den jungen Zuschauern erfahren müssen. Sie wenden sich vom herkömmlichen Fernsehen langsam ab.

Die TV-Branche war über mehr als zwei Jahrzehnte eine Goldgrube. Das Geschäft mit dem Verkaufen von TV-Werbespots lief bis zum Jahr 2001 glänzend. Dann kam es erstmals zum Rückgang der Netto-Werbeinnahmen. Angesichts des schnellen Wachstums des Internets begannen die Konzerne, die Herausforderung anzunehmen. Zusätzliche Einnahmequellen, egal ob Einkaufssender, DVD-Handel oder Merchandising, waren plötzlich gefragt. Doch das Geschäft mit den Diversifikationserlösen, wie die Zusatzeinnahmequellen in der Branche genannt werden, ist schwierig, teuer und langwierig. Die Konzerne kommen nur langsam voran. So erzielt Pro Sieben Sat 1 nach der Übernahme des europäischen Fernseh- und Radiokonzerns SBS mit den Diversifikationserlösen lediglich 20 Prozent seines Umsatzes.

Geld für Investitionen ist angesichts des schwierigen Werbemarktes derzeit in der Fernsehbranche knapp. Deshalb stehen auch die Sendergruppen bei der digitalen Medienrevolution meistens im Abseits. Unternehmen wie Pro Sieben Sat 1 und RTL kaufen größere und kleine Internetfirmen. Doch den Takt geben die Branchenriesen wie Google, Nokia oder News Corp. vor. Mit ihrer gigantischen Marktkapitalisierung an der Börse sind sie der eher mittelständischen Fernsehindustrie wirtschaftlich haushoch überlegen.

Hinzu kommt, dass weltweit gigantische Summen bei Übernahmen investiert werden: Der geplante Kauf des Internetkonzerns Yahoo durch den Softwaregiganten Microsoft für rund 45 Mrd. Dollar zeigt, welche Dimensionen die Konkurrenz außerhalb des klassischen Fernsehgeschäfts hat. Der Yahoo-Konkurrent Google ist für den Kampf um die Inhalte gut gewappnet. Der Konzern mit dem coolen Image hält drei Viertel der gesamten Onlinewerbung.

In der früher so heilen Fernsehwelt bleibt unterdessen kein Stein auf dem anderen. Neue Marktteilnehmer wie der Online-Fernsehsender Joost oder Babelgum, Filmabrufportale wie Sevenload bedrängen die Sender. Der weltweite Marktführer unter den Videoportalen, Youtube, sorgt schon jetzt bei jungen Zielgruppen für Erosion. Noch ersetzt Youtube mit seinen Videos keinen TV-Anbieter. Doch das audiovisuelle Portal lockt rund um den Globus die junge Zielgruppe vor den Computerbildschirm. Der Computerhersteller Apple und Nokia haben die Macht der Bilder erkannt. Mit ihren neuen Handys versuchen sie, die digitale Bilderwelt in den Griff zu kriegen, indem sie ihr eine klare und nutzerfreundliche Ordnung geben.

Der Bedeutungsverlust des Fernsehens bedroht die Medienhäuser. Bertelsmann, Nummer eins in Europa, steht und fällt mit dem Erfolg des Fernseh- und Radiogeschäfts. Die Konzerntochter RTL Group ist mit Abstand der größte Gewinnbringer des Gütersloher Mediengiganten. Der neue Konzernchef Hartmut Ostrowski hat die gefährliche Abhängigkeit von der Werbebranche erkannt. Er weiß, dass sich Fernsehen und Radio künftig nicht mehr fast ausschließlich über Werbespots finanzieren lassen. Der oberste Bertelsmann fordert daher von RTL neue Geschäftsmodelle in der digitalen Medienwelt, um seine ehrgeizigen Ziele erreichen zu können: Ostrowski hat der Konzerneignerin Liz Mohn beim Amtsantritt versprochen, den Umsatz von derzeit knapp 20 Milliarden Euro innerhalb von sieben Jahren auf 30 Milliarden zu steigern.

Das Ende der TV-Bonanza steht bevor. Viele Fragen für die Fernsehindustrie bleiben bislang unbeantwortet. Bleibt Fernsehen wirklich das Leitmedium? Oder steigt das Internet, vor allem das mobile Internet, schon in wenigen Jahren zur wichtigsten Werbeplattform auf? Wie kann die bisherige Goldgrube Fernsehwerbung ersetzt werden?

Die Karten waren seit vielen Jahren klar verteilt. Fernsehen war im Jahr 2006 laut Werbeverband ZAW mit einem Netto-Marktanteil von 20 Prozent nach der Tageszeitung (22 Prozent) der wichtigste Werbeträger. Selbst das Radio war mit einem Marktanteil von drei Prozent immer noch Online mit einem Marktanteil von gerade zwei Prozent überlegen. Doch die Karten werden derzeit neu gemischt. Das Internet fährt mit Riesengeschwindigkeit auf die Überholspur. Nach einer Studie des Online-Werbeverbands EIAA nutzen bereits drei Viertel der 16- bis 24-Jährigen an fünf bis sieben Tagen die Woche das Internet. Das Fernsehen wird hingegen nur von zwei Drittel dieser Altersgruppe regelmäßig genutzt. Wenn es um die junge Zielgruppe geht, geben schon heute Markenartikler den Takt vor. Beispielsweise ist für Coca-Cola Deutschland in deren Kernzielgruppe der 12- bis 19-Jährigen das Internet bereits das wichtigste Werbemedium. Der Brausehersteller steht damit nicht allein. Auch für die Autokonzerne spielt das Internet eine zentrale Rolle, um bei jungen, einkommensstarken Zielgruppe für ihre Luxusprodukte zu werben.

Die Zweifel am Fernsehen als Leitmedium wachsen. So prognostiziert IBM das Ende der bisherigen Werbung. "Es gibt keine Führungsrolle mehr für das lineare Fernsehen", heißt die Quintessenz. Auch bei jungen Mediaplanern steht das traditionelle Fernsehen unter Druck. Sie sagen voraus, dass innerhalb von drei Jahren weltweit rund ein Fünftel aller Werbeausgaben ins Internet, interaktive Fernsehen und in Videospiele fließen wird.

Die Avantgardisten des Web 2.0 schätzen zielgruppengenaue Kampagnen ohne große Streuverluste wie beim Fernsehen. Für sie wird Online die Achse der digitalen Medienwelt, um die sich alles dreht.

Der TV-Werbemarkt in Deutschland hingegen ist ein weitgehend stagnierender Markt. 2007 soll nach Einschätzung der beiden Fernsehkonzerne Pro Sieben Sat 1 und RTL der Netto-Werbemarkt nur um ein oder zwei Prozent gewachsen sein. Das ist eine Enttäuschung. Damit liegt das Wachstum unter der Inflationsrate in Deutschland. Die Aussichten für 2008 sind nicht besser. Zudem wird die Branche durch einen Prozess wegen illegaler Praktiken bei einer Mediaagenturen-Gruppe verunsichert. Die Korruptionsvorwürfe haben die Glaubwürdigkeit des Mediums TV erschüttert.

Das Internet bedroht das Fernsehen in seiner Bedeutung, aber nicht in seiner Existenz. In der digitalen Medienwelt geht es nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch. Einen Kannibalismus in der Medienbranche gibt es traditionell nicht. Vor fast einem Jahrhundert hatte Wolfgang Riepl in seiner Dissertation das "Riepl´sche Gesetz" formuliert, nach dem kein neues Medium ein altes ersetzt. Riepl sollte bis heute recht behalten. Fernsehen hat Radio oder Kino nicht aufgefressen, sondern nur verändert. Deshalb werden die großen Fernseh- und Radiosender genauso wenig verschwinden. Doch sie werden im kommenden Zeitalter des mobilen Internets nicht mehr die erste Geige spielen.

RTL und Pro Sieben Sat 1 steuern bereits dagegen. Sie verfolgen zwei Strategien: Da sind zum einen Zukäufe von Internetfirmen sowie die Entwicklung hauseigener Onlineangebote und zum anderen der Ausbau von werbeunabhängigen Fernsehsendern. Die Zukäufe im Internet sind aber keine spektakulären Übernahmen, da der Investitionsspielraum begrenzt ist.

Für die TV-Konzerne ist der Aufbau neuer Geschäfte schwierig und langwierig. Das viel diskutierte Handy-TV ist dafür ein Beispiel. Die Branche hatte große Hoffnungen auf die Einführung des mobilen Fernsehens mit den technischen Standards UMTS und DMB gesetzt. Pro Sieben Sat 1 startete bereits im Oktober 2006 das erste mobile Fernsehprogramm für Handys. Auch der Informations- und Dokumentationskanal N24 ist schon lange über DMB auf dem kleinen Bildschirm eines Mobiltelefons zu empfangen. Doch das von Unternehmensberatern oft hochgelobte Handy-TV erwies sich bislang als Rohrkrepierer. Das soll sich nun ändern.

Der neue Standard DVB-H soll dem Handy-TV zum Durchbruch verhelfen. Rückenwind kommt auch von der Europäischen Kommission in Brüssel. Die Luxemburger Medien-Kommissarin und langjährige Journalistin Vivianne Reding will den Standard DVB-H europaweit durchsetzen.

Das Handy-Konsortium Mobile 3.0, an dem die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck (Handelsblatt) und die Autorin beteiligt sind, plant, mit den mobilen Bildern endlich einen Massenmarkt zu erschließen. Wenn im Juni die Fußball-Europameisterschaft in Österreich und in der Schweiz startet, sollen die bunten Bilder auf dem Handy bereits möglich sein. Der Medienkonsument soll voraussichtlich fünf Euro zahlen. Die Rolle der Fernsehkonzerne von der ARD über ZDF, Pro Sieben Sat 1 und RTL beschränkt sich bislang auf eine Zulieferrolle.

Das mobile Fernsehen steht und fällt mit den Mobilfunkbetreibern und Handyherstellern. Die TV-Branche kann dem ihr drohenden Bedeutungsverlust nur entgegenwirken, wenn sie den Schulterschluss mit den Telekomgiganten und Handy-Konzernen sucht. Doch noch sitzt die traditionelle Fernsehbranche auf einem hohen Ross. Viel zu lange haben die Senderchefs und TV-Produzenten geglaubt, dass sie mit ihren Inhalten am längeren Hebel sitzen. Doch das hat sich als Selbstbetrug erwiesen.

Zum einen gibt es kaum noch Inhalte, die wirklich exklusiv sind. Content lässt sich nicht monopolisieren. Zum anderen sind die Internetnutzer selbst zum Inhalteproduzenten aufgestiegen. Online-Videoplattformen wie Youtube sind dafür ein Musterbeispiel.

Doch für die Fernsehkonzerne gibt es ein Trostpflaster. "User generated content", also Inhalte, die von den Nutzern selbst erstellt werden, sind aus Sicht der Werbeagenturen kein geeignetes Umfeld für Werbung. Doch dies ist nur ein schwacher Trost. Denn durch Internetseiten wie Youtube gehen dem Fernsehen Zuschauer, vor allem die begehrten jungen Zielgruppen, verloren.

Künftig wird sich voraussichtlich innerhalb der Gruppe der TV-Anbieter eine Schere öffnen. Fernsehsender mit klarem Programmprofil und entsprechender Zielgruppe werden weiter für die Werbewirtschaft hoch attraktiv sein. "User generated content" muss im Internet vernetzt und attraktiv aufbereitet werden, um daraus ein relevantes Geschäft zu machen.

Die Fernsehbranche ist zutiefst verunsichert. Denn die neue digitale Medienwelt kostet viel Geld und birgt hohe Risiken. Es gibt keinen Königsweg für Investments. Die Unternehmen versuchen, möglichst alle Verbreitungsformen abzudecken, um die Risiken zu begrenzen. Neben dem klassischen werbefinanzierten Fernsehen investieren Pro Sieben Sat 1 und RTL ins Bezahlfernsehen, betreiben Filmabrufportale wie Maxdome, nutzen Inhalte ihrer Nutzer wie beispielsweise MyVideo oder Clipfish und engagieren sich beim Handy-TV. Vor allem aber investieren sie direkt in neue Internetangebote.

Bei den Investments lassen sie sich vor allem von einem Interesse leiten: neue Zielgruppen, die das Fernsehen womöglich nicht mehr oder nur teilweise erreicht, anzusprechen. Derzeit sitzen die Fernsehbetreiber aber zwischen allen Stühlen. Sie werden von zwei Seiten in die Mangel genommen. Die beiden Mühlsteine sind Telekomriesen wie die Deutsche Telekom und Internet- und Handygiganten wie Google und Nokia.

Die Telekom und Handyhersteller wie Apple und Nokia wollen die Nase vorne haben, wenn in der digitalen Kommunikationswelt neue Claims abgesteckt werden. Denn sie üben bereits den Schulterschluss, um die neue Bilder-, Spiele- und Datenwelt zu verteilen. Dass die Telekom den Computerhersteller Apple an den Umsätzen des Multimedia-Handys iPhone teilhaben lässt, ist ein Novum. Apple soll zwischen 20 und 30 Prozent der Erlöse erhalten, heißt es in der Branche. Der finnische Handyhersteller Nokia schließt unterdessen Partnerschaften mit Hollywood-Studios wie Sony, Musikfirmen wie Universal oder Nachrichtenkanälen wie CNN, um nicht nur mit dem Verkauf von Spitzenprodukten Geld zu verdienen, sondern auch mit den inhaltlichen Angeboten, die im Handy online verfügbar sind.

Noch stecken die Angebote in den Kinderschuhen. Das Internetportal Ovi von Nokia ist beispielsweise noch nicht einmal in Deutschland an den Start gegangen. Auch die Telekom, die sich als "Content-Manager" versteht, hat in der Vergangenheit eher ein unglückliches Händchen beispielsweise im Umgang mit der Fußball-Bundesliga bewiesen. Doch mittelfristig steht der wirtschaftliche Erfolg der Fernsehbranche auf tönernen Füssen. Die Margen stehen unter Druck.

Der europäische Branchenprimus RTL Group hat auf seine Weise auf den Paradigmenwechsel in der digitalen Kommunikationswelt reagiert und baut seinen konzerneigen Inhaltekonzern Fremantle, zu dem auch die deutschen Filmfirmen Ufa und Teamworx gehören, weiter aus. Mit der Herstellung von Serien, Telenovelas, Shows und Miniserien macht sich die Tochter des Medienriesen Bertelsmann unabhängiger von den noch unterentwickelten Geschäften im Internet und mit Handy. Fest steht: Die Fernsehkonzerne können ihre Zukunft nicht mit dem Verkauf von Werbespots sichern.