Humanisierung der Arbeitswelt:

Bildschirme - Herausforderung für den Betriebsrat

10.08.1979

OTTOBRUNN - In der gegenwärtigen Entwicklungsphase der Arbeitstechnologie, in der immer mehr Arbeitsplätze mit Bildschirm-Geräten ausgestattet werden und ganze Abteilungen, wie Buchhaltung, Materialwirtschaft, Verkaufswesen, Konstruktion und Entwicklung auf DV-gestützte Arbeit umgerüstet werden, ist auch der Betriebsrat stärker mit Problemen der entsprechenden Arbeitnehmergruppe "Angestellte" konfrontiert. Zwar bewirkt die rasche technische Entwicklung neuer Arbeitsmittel und der dadurch veränderte Arbeitsablauf nicht unmittelbar Arbeitsplatzverluste, doch bringt die Veränderung des Arbeitsalltags soziale Probleme mit sich. Dr. Christa Lippmann, Referentin im Gesamtbetriebsrat der Messerschmitt Bölkow, Blohm GmbH in Ottobrunn bei München hat aus ihrer Sicht für die COMPUTERWOCHE analysiert, welche Anforderungen an den Betriebsrat zu stellen sind.

Die betroffenen Angestellten - insbesondere die ohne Hochschulbildung - bekommen die Auswirkungen des neuen technischen Hilfsmittels Bildschirm als allgemeine Arbeitsintensivierung zu spüren. Es treten häufiger Kopf- und Rückenschmerzen auf, die durch die andauernde Sehleistung und das Verharren in einer bestimmten Sitzposition bedingt sein dürften und Beeinträchtigungen des psychischen Wohlbefindens, zum Beispiel soziale Isolation (vergleiche COMPUTERWOCHE Nummer 18, Seite, 1 vom 4. Mai und 21, Seite 1 vom 25. Mai 1979). Diejenigen Arbeitnehmer mit akademischer Berufsausbildung, die heute schon Bildschirm-Tätigkeiten ausüben, wie wissenschaftliche Redakteure in Buch-, Zeitschriften- und Zeitungsverlagen, Ingenieure in der Bau- und Metallbranche sowie Juristen und Wirtschaftsfachleute bei Versicherungen und Banken, sind in der Regel von ihrem "Bildschirm" begeistert. Hie und da kommt es auch vor, daß sich der hochqualifizierte Angestellte weigert, selbst Eingaben vorzunehmen.

Um zum einen auf die veränderten Arbeitsbedingungen angemessen reagieren zu können und zum anderen in der Lage zu sein, eine vorausschauende Konzeption der Vertretungsverpflichtung seitens des Betriebsrates erarbeiten zu können, sollte sich ein Betriebsrat so qualifizieren, daß er auch mit dem planenden Fertigungsfachmann, dem berechnenden, Wirtschaftler, den organisierenden Datenverarbeitungs-Spezialisten Fachgespräche führen kann.

Unter diesen Umständen kann der Betriebsrat optimal Mitwirkungs und Mitbestimmungsrechte vertreten.

Bei betrieblichen Gegebenheiten, für die das Betriebsverfassungsgesetz noch keine Regelungen getroffen hat, weil bei seiner Konzipierung moderne Arbeitstechnologien in ihren Auswirkungen auf die Arbeitnehmerschaft noch nicht bekannt waren, sollten im Sinne einer prophylaktischen Konfliktlösungsstrategie auch bei Vorliegen keines einklagbaren Rechtsstandpunktes Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte dem Betriebsrat eingeräumt werden. Die Fachkompetenz, die ein Betriebsrat durch langjährige Erfahrung und Kenntnisse des Betriebs und der Belegschaft erworben hat, ist von Nutzen, wenn Probleme erst gar nicht auftauchen sollen beziehungsweise Probleme abgetrennt werden müssen. Laufen Unternehmenskonzeption und Gesamtkonzeption des Betriebsrates zusammen, so sind optimale Bedingungen erzielbar.

Einführung, Gestaltung, Erhaltung

Hier soll eine Form der Betriebsrats-Gesamtkonzeption vorgestellt werden, die vor negativen Auswirkungen der Technischen Umstrukturierung schützen kann. Eine dreiphasige Planung kann nacheinander durch drei Betriebsvereinbarungen realisiert werden.

1. Mitwirkung und Mitsprache bei der Einführung von DV-gesteuerten und -gestützten Informationssystemen, das können Fertigungssteuerungs- oder Personalinformations- beziehungsweise -verwaltungssysteme sein.

2. Mitwirkung und Mitsprache bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen an Bildschirmgeräten im Verwaltungs-, Entwicklungs- und Produktionsbereich.

3. Schutzmaßnahmen zur Erhaltung der Anzahl der vorhandenen Arbeitsplätze für Mitarbeiter, die aus persönlichen Gründen mehrere Monate/Jahre zu Hause bleiben müssen, wie beispielsweise Mütter im Mutterschaftsurlaub (Diskussion um das Sabbatjahr).

Unabhängig vom Vorhandensein einer Gesamtkonzeption konnten Betriebsvereinbarungen zum ersten und dritten Punkt nur in wenigen Unternehmen abgeschlossen werden, wohingegen zum zweiten Punkt intensiv und erfolgreich an derartigen Verträgen gearbeitet wird.

Die bereits gültigen Betriebs- und Tarifvereinbarungen und Tarifverträge (vergleiche COMPUTERWOCHE Nummer 18, Seite 2 vom 4. Mai 1979), beispielsweise in einem Deutschen Versicherungsunternehmen (Gewerkschaft Handel, Banken, Verkehr/DAG), in der Druck-, Zeitungs- und Zeitschriftenindustrie (IG Druck), einem Unternehmen; der Metallbranche und des Buchdruckgewerbes, regeln drei Teilbereiche:

a) Gestaltung der Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen unter Berücksichtigung ergonomischer, arbeitsmedizinischer und arbeitspsychologischer Erkenntnisse;

b) Unterbrechungen beziehungsweise Pausen während des ständigen Blickkontakts zum Bildschirmgerät sowie tägliche Arbeitsdauer;

c) ärztliche Untersuchungen beziehungsweise Eignungsfeststellung.

Um den Punkt (a) inhaltlich ausfüllen zu können, ist es notwendig, praktische und theoretische arbeitswissenschaftliche Experten heranzuziehen, die in der Regel in den Unternehmen vorhanden sind, doch häufig mit Aufgaben betraut, die dem zu verkaufenden Produkt zugute kommen und nicht den eigenen Arbeitnehmern.

Für die Unterbrechungszeiten und Pausen sehen alle gültigen Vereinbarungen und Verträge Pausen pro Stunde von mindestens fünf Minuten vor. Die tägliche Arbeitsdauer wurde einheitlich mit vier Stunden angegeben und darf in Ausnahmefällen auch sechs Stunden betragen.

Die Altersgrenze für Mitarbeiter, die ständig im Blickkontakt zum Bildschirm stehen, beginnt bei 40 Jahren, was aus augenärztlicher Sicht gerechtfertigt ist, und beträgt in anderen Unternehmen 55 Jahre. 55 Jahre ist ein arbeitsrechtliches Datum (Kündigungsschutz) und nicht medizinisch oder psychologisch begründbar.

Der Tarifvertrag "Neue Technik" in der Druckindustrie regelt noch ausführlich das Problem der Umsetzung von Mitarbeitern (Schriftsetzer etc.), Weiterbildung und Umschulung sowie Abfindungs- und Ausgleichszahlungen.

Paritätische Expertenkommission

In einem Großunternehmen der Luft- und Raumfahrtindustrie wurde eine arbeitswissenschaftliche Fachkommission, bestehend aus je drei Vertretern der Arbeitgeberseite und des Gesamtbetriebsrats gebildet, die fortlaufend anfallende Probleme bearbeitet (beispielsweise: Einhaltung der getroffenen Betriebsvereinbarung). Die Einrichtung der Expertenkommission erweist sich als nützlich und notwendig, weil zum einen auf der Seite der Führungskräfte das spezifische Fachwissen oft noch nicht vorhanden ist, die Fachkommission aber schnell und kompetent Lösungsmöglichkeiten anbietet, zum anderen ist die sachgerechte Informationsübermittlung zu den einzelnen Betriebsräten gewährleistet.

Die paritätisch zu besetzende arbeitswissenschaftliche Kommission sollte die Fachbereiche Personal, Datenverarbeitung, Betriebsorganisation, Arbeitsmedizin und Arbeitspsychologie sowie Arbeitssicherheit nach Möglichkeit berücksichtigen.

Da auf Arbeitgeberseite eher geeignete Fachleute verfügbar sein werden, sollte

der Besetzung der Kommission auf die vorhandenen Fachleute des Gesamtbetriebsrats Rücksicht genommen werden. Konkret bedeutet dies, wenn der Gesamtbetriebsrat beispielsweise neben einem arbeitspsychologisch versierten Betriebsratsmitglied auch über einen DV-Fachmann verfügt, sollte die Arbeitgeberseite ihre Sitze mit noch nicht vorhandenen Experten, wie Betriebsarzt und Sicherheitsingenieur auffüllen, so daß alle relevanten Fachgebiete vertreten sind und nicht einzelne Bereiche doppelt.

Die Betriebsvereinbarung eines wissenschaftlichen Buchverlages in Berlin ist seit Oktober 1978 in Kraft und sieht ebenfalls eine paritätisch besetzte Kommission vor zur Festlegung der Arbeitsbedingungen an Arbeitsplätzen mit Bildschirm-Geräten; sie enthält auch eine zeitliche Festlegung der Tätigkeit auf sechs Stunden bei 10 Minuten Erholung pro Stunde und regelt sehr gut Versetzungsmöglichkeiten von Mitarbeitern.

Einen Anspruch auf Versetzung haben danach die Mitarbeiter an Bildschirmgeräten, die entweder das 45ste Lebensjahr beendet haben oder älter als 40 Jahre sind und zehn Jahre lang am Bildschirm tätig waren oder seitens eines Facharztes eine Befürwortung zur Versetzung bekommen haben.

Bei dieser Betriebsvereinbarung sind die materiellen Bedingungen in Form von Abfindungszahlungen und Funktionszulagen beachtenswert. Auf Wunsch des Arbeitnehmers kann der Arbeitgeber kündigen, aber nur bei Zahlung einer angemessenen Abfindungssumme, deren Modalitäten ebenfalls Bestandteil der Betriebsvereinbarung sind. Für die dauernde Tätigkeit am Bildschirm werden Funktionszulagen gezahlt, so beispielsweise 120 Mark, wenn der Arbeitnehmer bis zu drei Stunden am Bildschirm verbringt, bei mehr als drei Stunden dauernder Arbeit am Bildschirm werden 200 Mark gezahlt. Die Funktionszulagen können nicht auf Tariferhöhungen angerechnet werden. Ein

Recht auf Abfindungszahlungen und Ausgleichszulagen haben nach dem Tarifvertrag "Neue Technik" diejenigen Arbeitnehmer, die als frühere Facharbeiter der Druckindustrie jetzt in der Textverarbeitung Angestelltentätigkeiten ausüben und soziale Harten nachweisen können.

Der bislang bei den Angestelltentätigkeiten bestehende Freiraum bezüglich Arbeitsmenge und Arbeitsqualität ist durch neue Arbeitsmittel (DV-Eingabegerät) eingrenzbar. Technisch meßbare sogenannte objektive Leistungsbeurteilung ist bei standardisierten Arbeiten, wie sie schon im Versicherungs- und Bankenwesen üblich sind, nunmehr möglich. Noch entzieht sich der Entwicklungsingenieur am graphisch interaktiven Bildschirm diesen Beurteilungskriterien; ob der kreativ tätige Ingenieurspezialist dieses Moratorium halten kann, hängt von technischen und sozialpolitischen Gegebenheiten ab.

Schutzklauseln sollten in keinem Vertrag der betrieblichen und tariflichen Sozialpartner fehlen, Schutz nicht nur vor Leistungsvorgaben; er ist auch vor solchen Vorgesetzten geboten, die unterstellte Mitarbeiter zu stark beanspruchen, ebenso vor Arbeitnehmern, die bereitwillig ihre Gesundheit für kurzfristigen Berufserfolg verkaufen.

Die psychologische Wirkung im Hinblick auf Leistungssteigerung ist bei aushängenden offenen Vergleichsstatistiken nicht zu verkennen. Nicht selten sind gerade die weiblichen Arbeitnehmer (zum Beispiel im zentralen Schreibdienst) allzuschnell und unreflektierend bereit, mit der Kollegin von nebenan zu rivalisieren, um durch mehr "Output" rangstufenmäßig besser dazustehen.

Aus all diesen Gründen hat aus berufspolitischer und gewerkschaftlicher Sicht eine Schutzklausel, die diese "objektive Leistungsbeurteilung" verhindert, besonderes Gewicht, will man nicht die inhumanen Arbeitsbedingungen gewerblicher Arbeitnehmer - statt abzubauen - auf Angestellte übertragen.

*Dr. Christa Lippmann ist Referentin im Gesamtbetriebsrat der Messerschmitt, Bölkow, Blohm GmbH Ottobrunn bei München.