Mit PC-Carepaketen hofiert IBM die akademische Welt:

Big Blue will Entree bei Unis schaffen

27.07.1984

DAVOS - Bei der Gestaltung des vielbeschworenen "Informationszeitalters" von morgen seien Wissenschaft und Industrie "treibende Kräfte", meint K. V. Cassani, der Chef von IBM-Europa. Diese Kräfte sollten nun intensiv zusammenarbeiten, denn "unsere vereinten Anstrengungen bewirken viel mehr, als wenn jeder von uns getrennte Wege ginge". Cassani sprach diese Worte kürzlich in Davos vor einem erlesenen Kreis von Vertretern europäischer Hochschulen und Forschungsinstitute.

Auf dieser Veranstaltung, die sich gezielt an das Management in Lehre und Forschung wandte, warben Cassani und andere Vertreter des Hauses IBM intensiv darum, die Industrie auf der einen und die akademische Welt auf der anderen Seite mögen doch intensiver als bisher kooperieren. In zahlreichen Referaten wurden Beispiele für die sinnvolle Anwendung moderner Computertechnik im universitären Bereich vorgestellt: von Tischcomputern für die Studenten bis hin zu lokalen und internationalen wissenschaftlichen Rechner-Netzen.

Wissenschaftliche Zentren

Für Cassani, der die Zahl der Computerterminals in europäischen Schulen und Universitäten (bei rasch steigender Tendenz) auf etwa 100 000 schätzt, sind Computer im Bereich Lehre und Forschung von hohem Wert. Denn "sie helfen, die Ausbildung auf kostengünstige Weise zu individualisieren", sie erleichterten den Professoren die Verwaltungsarbeit und gäben ihnen mehr Zeit für die Lehre, sie würden sich in zahlreichen Fächern gut als Werkzeug, etwa für Simulationen, einsetzen lassen und mit ihrer Nutzung ließen sich außerdem Informatik-Fertigkeiten einüben, die später auf dem Arbeitsmarkt Vorteile brächten.

Die universitäre Forschung wiederum könne viel beitragen, die Computerindustrie weiter voranzubringen. Cassani nannte in diesem Zusammenhang besonders die vielfältigen Arbeiten auf dem Gebiet, der wissensbasierenden Systeme, die überwiegend zwar noch keine Produkte ergeben hätten, die ferner auch in ihrem potentiellen Wert oft schwer einzuschätzen seien, die aber dennoch ganz gewiß "jenes Wissen schaffen, das später zu konkreten Anwendungen führen wird". Ohne Forschung zuvor gäbe es ja schließlich heute ebensowenig Satelliten wie Mikrochips oder globale Kommunikationsnetze - und deshalb eben erweitere IBM jetzt sein "akademisches Programm".

So unterstützt IBM, laut Cassani, den Aufbau des europäischen akademischen Netzes EARN, wie auch ein Computervorhaben der Uni Karlsruhe - Prof. G. Krüger stellte es später ausführlich vor - und mehr als 100 IBMler wirken auch als Lehrer an vielen Hochschulen. Außerdem werden die wissenschaftliche Zentren der Firma von mehr als 3000 Besuchern pro Jahr als Stätte intensiver Diskussion genutzt. "IBM will und kann also", meinte Cassani, "seine langjährige Teilnahme am Geschehen in der akademischen und technischen Gemeinschaft Europas intensivieren." Und das Unternehmen tue dies, so der Europa-Chef freimütig, weil "wir sonst unsere Geschäftsziele nicht werden erreichen können".

Cassani gab einige Beispiele für die Art und Weise, wie IBM Universitäten und Forschungszentren unterstützt: allein im letzten Jahr etwa durch die Spende von 15 Großsystemen und mehr als 450 Kleinrechner, durch weitere 770 Mikros für Oberschulen und durch die Beteiligung am Forschungsprogramm Esprit. Und nicht zuletzt durch den zügigen Ausbau des ambitionierten Sommer-Seminar-Programms "IBM Europe Institute", das heuer zum dritten Mal seit 1982 abläuft und in dessen Rahmen (als "Executive Program") jene zwei Tage stattfanden, auf denen Cassani auch einmal zu Nicht-Informatikern aus den oberen Etagen des europäischen Wissenschaftsbetriebs sprach. Nicht nur er, natürlich, sondern auch eine Reihe weitere IBM-Referenten sowie Wissenschaftler aus einer Reihe von Universitäten und Instituten, die jeweils ihre eigenen Projekte und Erfahrungen in Sachen "Computer in die Universitäten" vorstellten - in Referaten leider recht unterschiedlicher Qualität.

So berichtete beispielsweise R. Cyert von der Carnegie-Mellon-University über das hauseigene Projekt, bald alle Studenten aller Fachrichtungen mit Computern arbeiten zu lassen, und R. Elliott vom britischen University Computing Board stellte den Stand der Computerisierung der britischen Universitäten dar. Der Direktor der wissenschaftlichen Programme von IBM-Europe, H. F. Budd, erläuterte die Fortschritte bei akademischen Netzen wie Bitnet und EARN und A. Danthine von der Uni Lüttich stellte seine Forschungen auf dem Felde der lokalen Netze vor.

Alles in allem wurde in Davos unter dem Obertitel "Trends in University Computing" also eine Fülle detaillierter Informationen über die Möglichkeiten geboten, Universitäten die Segnungen der Computerei näherzubringen; allerdings vermißte dabei so manch einer der Zuhörer letztlich doch ein wenig die eigentlich erwarteten Glanzlichter: Im großen und ganzen kam einem alles irgendwie doch schon bekannt vor, und streckenweise gerieten die Vorträge eher zu einer Art PR-Veranstaltung für dieses oder jenes Institut als zu Verkündungen relevanter neuer Erkenntnisse oder wenigstens Konzepte. Dies fand jedenfalls ein beachtlicher Teil der im übrigen bewundernswert geduldigen Zuhörer.

Aber vielleicht ist das Etikett "PR-Veranstaltung" auch gar nicht so falsch. Denn hörte man sich in den Pausen im Kreise der Teilnehmer u m, so konnte man immer wieder Komplimente für das gastgebende Unternehmen hören: Wie gut es IBM doch gelungen sei, sich der akademischen Welt hier nun als glaubwürdiger, verläßlicher, engagierter und hilfsbereiter Partner darzustellen. Einer Welt, die, wenigstens in Europa bei wissenschaftlichen Rechnern bisher doch eher an Non-IBM-Number-Cruncher oder auch an flinken Non-IBM-Ingenieurs-Minis zu denken gewohnt ist. Während Big Blue doch eher das Etikett anhaftet, primär Lieferant typischer Kommerz- und Verwaltungs-Maschinen zu sein. Doch die Zeiten haben sich geändert, und klassische Anbieter technisch-wissenschaftlicher Rechner drängen heute bekanntlich ebenso intensiv in den kaufmännischen Markt, wie aus der anderen Ecke Verstöße in Richtung Scientific Computing unternommen werden. Doch nicht allein diese Bewegungen haben die Szenerie verändert und zwingen wohl auch IBM, die finanziell notorisch schwachbrüstige Welt der Akademien nun betont zu hofieren. Denn außerdem, so wogten die Spekulationen im Kreise der Davos-Reisenden, existiere da als nicht zu unterschätzender Konkurrent seit einiger Zeit ja auch noch der Telematik-Gigant AT&T, und wer gegen einen Gegner dieses Kalibers bestehen wolle, tue gewiß gut daran, dem akademischen Nachwuchs, sprich: den Anwendern und Entscheidungsträgern von morgen und übermorgen, das Denken in Big-Blue-Kategorien möglichst schon mit der Muttermilch einzuflößen. Spätestens aber dann in der Schule und auf der Universität - koste es an, PC-Carepaketen, was immer es wolle.

Soweit die finsteren Spekulationen jener notorisch schlechten Menschen, die einfach nicht mehr an gute, uneigennützige Taten anderer glauben wollen. Doch gibt es auch noch andere, die nun sehen das alles gar nicht so eng: Sicher, meinte ein hochrangiger Exponent des bundesdeutschen Forschungsbetriebs sicher mag Big Blue bei seinem Uni-Liebeswerben auch ans Big Business denken. Aber man könne es auch anders sehen: Dieses Unternehmen habe in Europa ganz am Anfang bloß verkauft, später auch montiert, dann gefertigt, dann entwickelt, dann auch selber geforscht - und nun tue es eben auch das, was es in den USA schon längst tue - nun strecke es seine Arme eben endlich auch in Richtung europäischer Unis aus.