BI ist nicht mehr der Nabel der Welt

27.03.2006
Das Denken in Prozessen und Services sprengt die alten Softwarekategorien. Anwendungen für Business Intelligence werden sich deshalb zunehmend in operativen Abläufen wiederfinden.
Eine Service-orientierte Architektur postuliert unabhängige Prozesse, an denen auch BI- und Datenintegrationstechnik beteiligt sein müssen.
Eine Service-orientierte Architektur postuliert unabhängige Prozesse, an denen auch BI- und Datenintegrationstechnik beteiligt sein müssen.

Bis heute prägen strategische und taktische Überlegungen den Einsatz von Business-Intelligence-Lösungen (BI) in Unternehmen. Meist versorgen Berichts-, Analyse- und Dashboard/Scorecard-Anwendungen einzelne Fachabteilungen und das Top-Management mit Geschäftsinformationen und werden dabei von einem Data Warehouse gespeist. Im Mittelpunkt solcher Architekturen stehen die Daten und Datenbewirtschaftungsprozesse, nicht aber die täglichen operativen und transaktionsorientierten Prozesse, die mittlerweile stark von ERP-, Logistik-, CRM- und anderen Unternehmensanwendungen geprägt werden. Zwar erhalten BI-Anwendungen ihre Daten auch aus diesen Systemen, dies geschieht jedoch - je nach Ladezyklus des Data Warehouse - wöchentlich oder monatlich. Die Analyse hinkt deshalb hinter der Realität her. Für Geschäftsberichte reicht das. Für Tagesauswertungen nicht.

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549892: (BI-Markt)

Echtzeitauswertungen gefordert

Schon seit längerem fordern Anwender zeitnahe oder gar zeitgenaue (Echtzeit-)Auswertungen und Informationen. So müssen beispielsweise Finanzinstitute im Rahmen des Meldewesens bestimmte Informationen schnell bereitstellen können, erläuterte Jan-Henrik Fischer, Business Intelligence Solution Architect bei Information Builders, in einer Expertenrunde der computerwoche. Gleiches gilt für Call-Center-Agenten, die parallel zu Anfragen eine zeitgleiche Analyse der Kundeninformationen (Kreditrahmen etc.) vornehmen müssen.

Weitere Szenarien sind laut Georg Franzke, Senior Expert Data Integration & Data Quality, SAS Deutschland, Analysen von Kundeninformationen und Benutzereingaben im Web, die Hinweise auf einen drohenden Betrug verschaffen sollen. Denkbar wäre es auch eine Warenkorbanalyse während der Eingabe von Bondaten an der Kasse vorzunehmen und die aktuellen Daten mit vorhandenen Kundendaten zu kombinieren. Treuen und profitablen Kunden könnten Händler dann beispielsweise schon auf den Bon ein Rabattangebot drucken. Ein anderes Beispiel sind Logistikunternehmen, die Lastwagen zeitnah umdisponieren wollen, wenn Leerfahrten drohen, erläuterte Karol Bilznak, Solution Manager SAP Xapps for Analytics. Solche Aufgaben lassen sich mit den klassischen BI-Anwendungen nicht erledigen, da ihnen die operativen Echtzeitdaten zur Auswertung fehlen. Die Zahl der Anwender ist heute noch klein.

BI als Prozess-Dashboard

Herstellervertreter wie Waldemar Adams, Director Sales Consulting Central Europe bei Business Objects, sind überzeugt, dass es heute technisch möglich ist, Berichts- und Analysewerkzeuge in die Geschäftsprozesse zu integrieren. So können BI-Komponenten in einem Workflow oder in Integrationsplattformen für ein Business-Process-Management (BPM) als reine Visualisierungs-Tools (Dashboards) von Prozessdaten vorkommen. Die Dateninhalte und Nachrichten werden dabei über neue Schnittstellen wie Web-Services an diese Werkzeuge übermittelt. "Damit verliert sich das Branding von BI", erklärte Adams. Für ein integriertes Reporting und Analyse reicht dieser Ansatz nicht aus. In diesem Fall müssen Prozessinformationen mit Hilfe von Datenintegrationstechnik mit anderen relevanten Geschäftinformationen zeitnah kombiniert und ausgewertet werden, einschließlich den historisierten Informationen des Data Warehouse.

Eine Schlüsselrolle kommt hierbei der Technik für Enterprise Information Integration (EII) zu. Vor Jahren von Analysten propagiert, dann als bloße Datenpumpen fast tot gesagt und mittlerweile technisch gereift, werden entsprechende Produkte von BI-Herstellern zunehmend eingesetzt. Laut Adams kann man EII als virtuelles Data Warehouse umschreiben, das Daten aus den Systemen nicht mehr physikalisch vorhält, sondern zur Abfragezeit mit Hilfe eines Metadaten-Layer Informationen aus den operativen Systemen holt. EII-Systeme lösen bestehende DW-Systeme nicht ab, sondern ergänzen bisherige Technik für die Extraktion, Transformation und das Laden (ETL) von Daten. Sie dienen dazu, mehr operative Daten in die Auswertung einzubeziehen, beispielsweise bei der Berechnung von Kreditrisiken. Firmen greifen auch aus taktischen Gründen auf sie zurück, um vorhandene BI-Systeme (Data Marts) ohne Eingriffe in deren Struktur schnell um zusätzliche Quellsysteme und Detaildaten zu erweitern.

Was ist eigentlich Echtzeit?

Doch zusätzliche Software einzuführen, um mehr Einfluss auf operative Abläufe zu gewinnen, kann möglicherweise der falsche Ansatz sein. Denkbar und machbar wäre es auch, die Ladezyklen eines bestehenden Data Warehouse so zu verkürzen, dass aktuellere Informationen hereinkommen, sagte SAS-Experte Franzke. Ebenso seien seiner Ansicht nach manche Reporting-Produkte mittlerweile so leistungsstark, dass sie große Datenmengen "near realtime" auswerten könnten, noch bevor der Geschäftsprozess abgeschlossen ist. Die entscheidende und für die BI-Architektur folgenreiche Frage ist daher: Wie viel Echtzeit braucht der Anwender? "Was soll denn in Echtzeit geschehen? Die Ladeprozesse, um aktuelle Daten zu haben, die ich dann zeitnah auswerte? Oder sollen sich bestehende und anfallende Daten so analysieren lassen, dass sie unmittelbar im Geschäftsprozess verfügbar sind?", fragt Franzke.

Unternehmen müssen hier sorgfältig die Szenarien durchspielen und eruieren, wie schnell sie die Daten und Auswertungen tatsächlich brauchen und welchen Vorteil ihnen einen höhere Geschwindigkeit gibt, warnte Franzke. Die daraus resultierende BI-Architektur könne sehr komplex werden und kann je nach Ausprägung unterschiedliche Techniken und Produkte erforderlich machen. Auch sollten Aspekte Datendurchsatz, System- und Netzbelastung ebenso berücksichtigt werden wie die Prüfung der Datenqualität.

BI für mehr Mitarbeiter

Doch den Experten zufolge kommt es weniger auf die aktuellen Schlagworte wie EII, Real-Time-Data-Warehousing oder Business Activity Monitoring an. Auch gebe es nicht "die eine Lösung" für jede Anforderung. Vielmehr gehe es darum, neue Anwendungsgebiete zu erschließen und vor allem mehr Mitarbeiter im Unternehmen als bisher bei ihrer täglichen Arbeit mit relevanten und aufgabenbezogenen Informationen zu versorgen. Sie sollen dadurch in die Lage versetzt werden, flexibler und schneller auf unmittelbare Abläufe zu reagieren.

Das hehre Ziel heißt, im Rahmen eines Corporate-Performance-Managements Strategien und Vorgaben (Metriken, Kennzahlen) des Unternehmens mit den Prozessen zu verheiraten. BI-Werkzeuge und Technik zur Datenintegration übernehmen dabei die Rollen von Informationslieferanten, die die Performance des Unternehmens systemübergreifend beurteilen helfen. Diese Werkzeuge überwachen und bewerten zunehmend auch operative Abläufe vor Ort. Die dabei gewonnenen Informationen spielen sie wieder in die operativen Systeme zurück.

Doch wie lassen sich derart umfassende Ansätze der Informationsbereitstellung umsetzen? Die Antwort heißt laut Hersteller und Analysten: über das Designkonzept einer Service-orientierten Architektur (SOA). Deren technische Basis sind - allgemein gesprochen - Syste- me für BPM, über die sich Prozesse und Services integrieren, organisieren, steuern und überwachen lassen. CPM-Lösungen, und damit BI-Anwendungen und Techniken für die Datenintegration (inklusive Metadaten- und Stammdatenverwaltung), erweitern über Standardschnittstellen wie beispielsweise Web-Services diese BPM-Lösungen um Datenprozesse und Analytik. Bisher separate BI-Anwendungen wandeln sich konzeptionell zu Services, die innerhalb von Prozessen bestimmte Sub-Prozesse abbilden (siehe Grafik).

Portal bündelt Informationen

In einer SOA interessiert es den Endanwender nicht, woher die Daten kommen, erklärte SAP-Experte Bilznak. Ein Kreditmanager, der eine Risikobewertung vornehmen muss, erhält über eine Portaloberfläche eine Liste der gesperrten Bestellungen aus dem ERP-System und analysiert historische Daten mit Hilfe von BI-Technik, um festzustellen welche Kreditlimits er vergeben kann. Danach entscheidet er, ob er eine Bestellung entsperrt oder löscht und gibt per Knopfdruck eine Transaktion frei. Ebenso könnte eine Kundensegmentierung erfolgen ergänzte Solution-Architekt Fischer. "Kundendaten liegen in vielen Systemen, nicht nur im Data Warehouse." In einer SOA würde sich der Sachbearbeiter über das Portal neben Berichten auch die Bestellung ansehen (unstrukturierte Daten), Suchtechnik nutzen, um bestimmte Dokumente heranzuziehen, die Ergebnisse für die Analyse des Kundensegments nutzen und die Resultate wieder in das Transaktionssystem zurück schreiben. "Das ist ein normaler Business-Prozess, in dem BI nur eine kleine Rolle spielt."

Vision mit Schönheitsfehlern

Doch dieses Szenario hat für viele traditionelle BI-Hersteller einen Schönheitsfehler: Sie können nur Teile der SOA-Infrastruktur liefern. Dass heißt, entweder müssen sie mit Integrationsspezialisten paktieren, sich auf ihre traditionellen Stärken auf dem Gebiet der Analyse und Reporting vertrauen oder sie kaufen sich in den BPM-Markt ein. Immerhin warten mittlerweile viele Anbieter mit integrieren Produktarchitekturen im Form von BI-Plattformen auf, die technisch Teile des SOA-Konzepts (Services, Standardschnittstellen, EII-Technik, Datenintegrationstechnik) adressieren. Es gibt aber auch Anbieter, die weiter gehen, allen voran die Schwergewichte SAP, Oracle und IBM sowie BI-Spezialisten vom Schlage Information Builders. Sie bieten auch BPM-Komponenten an. Insbesondere die SAP entwickelt zudem standardisierte Services, unter denen sich auch solche für BI finden. Mit den "Composite Analytical Applications" haben die Walldorfer im letzten Jahr Portalanwendungen vorgestellt, die Informationen unterschiedlicher Herkunft zusammenführen und mit Transaktionen koppeln.

Die BI-Hersteller glauben dennoch an ihre Zukunft. "Der Markt wird sich aufspalten in BI-only-Anbieter und solche Hersteller, die den End-to-End-Gedanken im Informations-Management umsetzen wollen", erwartet Sales-Manager Adams. Diese Einschätzung deckt sich mit Prognosen von Gartner-Analysten. Diese gehen davon aus, dass es künftig BI-Anwendungen als Teil von "ERP-Ecosystems" sowie klassische BI-Lösungen geben wird, die Unternehmensdaten anwendungs- und prozessübergreifend aus- und bewerten. "Das Data Warehouse wird nicht überflüssig." Auch wird es weiter unterschiedliche Geschwindigkeiten im BI geben.

Neue Datenquellen

So nehmen Anforderungen zu, in denen schnell mit operativen Daten gearbeitet werden muss und neue Quellen wie Transponderdaten und Informationen aus GPS-Systemen zu berücksichtigen sind. Andere BI-Anwendungen werden weiter einen strategischen/taktischen Fokus haben. Doch eines scheint sich laut Solution-Architekt Fischer für die Zunft abzuzeichnen: "BI ist künftig nicht mehr der Nabel der Welt."