Bewerben ab 40: Schinderei mit Chancen

08.06.2006
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Michael Schweizer ist freier Autor in München.
Ältere können manches besser als Junge. Intelligente Unternehmen profitieren davon.

Rolf Dietmar Vogel ist zufrieden. Der Ingenieur für Nachrichtentechnik war acht Jahre lang als Berater für die betriebswirtschaftliche Software "Navision" tätig gewesen. Weil sein Arbeitgeber, ein kleinerer Microsoft-Business-Solutions-Partner, nicht recht wuchs, hatte sich auch Vogels Provision nicht wunschgemäß entwickelt. Der 51-Jährige ging auf zwei nahe gelegene Unternehmen zu und entschied sich binnen zwei Wochen für einen Wechsel zur Acadon AG, Erftstadt und Krefeld, die sich auf Branchen- und Speziallösungen für Mittelständler konzentriert. Hier arbeitet er in ähnlicher Funktion wie zuvor und ist des Lobes voll: "Alle ziehen am gleichen Strang, die Teamarbeit ist hervorragend. Die Jungen profitieren von den Alten, die Alten bleiben im Geiste jung, weil sie mit den Jüngeren mithalten wollen (oder müssen)." Auf Nachfragen antwortet Vogel blitzschnell und präzise. Er wirkt wie jemand, der seinen Platz gefunden hat.

Aussteiger - Einsteiger

• Hermann Globerger müsste sich nicht mehr bewerben. Der 1951 geborene Diplommathematiker hat eine Karriere als Systemanalytiker und -programmierer hinter sich, die ihn auf leitende Positionen in großen Ruhrgebietsunternehmen, zum Beispiel Veba Glas und Ruhrkohle AG, geführt hat. Aber statt ungestört seinen Vorruhestand zu genießen, hat Globerger sich bei "Erfahrung Deutschland" (www.erfahrung-deutschland.de) registrieren lassen, einer neuen Initiative, die hoch qualifizierte Ruheständler in kleine und mittelständische Unternehmen vermitteln will. Vor allem Existenzgründern möchte er mit seiner Erfahrung im "Innovations-, Change- und Risiko-Management zur Seite stehen".

• Für die wesentlich jüngere Cornelia DeVos wäre es dagegen normal gewesen, wenn sie sich wieder beworben hätte. Doch als die gelernte Industrietechnologin ihre Stelle bei Siemens im Rahmen einer Massenkündigung verlor, erinnerte sie sich, wie viel Freude ihr das Studium an der vom Jesuitenorden betriebenen Hochschule für Philosophie in München bereitet hatte, und wagte einen Szenenwechsel. Sie verließ die teure Landeshauptstadt, zog aufs fränkische Land und gründete den Verlag Auditorium Maximum für philosophische Hörbücher. Ihre IT-Kenntnisse kommen ihr dort zum Beispiel im Online-Vertrieb und bei der Website-Gestaltung (www.auditorium-maximum.de) zugute. Aber der neue, "steinige Weg" bedeutet ihr viel mehr: "Ich kann alles einbringen, was ich je gelernt habe. Für mich ist das die Berufs- und Lebenserfahrung schlechthin."

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• wie schlecht es auf dem Arbeitsmarkt aussieht;

• warum Sie trotzdem Chancen haben, auch wenn Sie viel älter als 40 sind;

• welche Unternehmen Sie zu schätzen wissen.

Verfall der Unternehmenskultur

Solche Begegnungen ergeben sich gar nicht so selten, wenn man mit IT-Experten ins Gespräch kommt, die mit 40 oder viel später eine neue Stelle suchen wollten oder mussten. Für eine düstere Gegenstory, die von einem Arbeitsmarkt handeln würde, der so genannten Älteren so gut wie verschlossen ist, gäbe es allerdings ebenfalls Material in Hülle und Fülle. Holger Jung (44) war lange als Außendienstler für Unterhaltungselektronik unterwegs, kennt auch die TK-Szene und ließ sich zum SAP-R/3-Berater umschulen. Nach über 100 Bewerbungen seit November 2005 glaubt er, dass "eine Altersangabe, die mit 4 anfängt", für Unternehmen ein Ausschlussgrund sei. Ein anderer IT-Experte, der anonym bleiben möchte, verlor 2001 im Alter von 44 seine Stelle bei einem Systemhaus für Drucklösungen. Seither hat er sich ständig fortgebildet, ehrenamtlich für einen Computer-Club gearbeitet, der einschlägig interessierte Senioren betreut, und 320 Bewerbungen geschrieben. Nur 60 Adressaten haben in irgendeiner Weise reagiert - diesen "Verfall der Unternehmenskultur" beklagen viele Stellensuchende, die an der Umfrage "Bewerben ab 40" in drei computerwoche-Newslettern teilgenommen haben.

Etwas leichter scheint sich zu tun, wer sich aus ungekündigter Position umsieht. Aber immer noch schwer genug. Ein 45-jähriger IT-Revisor bei einer Bank, der sich verändern möchte, warnt vor dem Schematismus der Personalabteilungen. Nach etwa 20 Jahren Berufspraxis zum Beispiel bei ADV Orga und Peoplesoft werde ihm auf dem offiziellen Bewerbungsweg immer noch zur Last gelegt, dass er nicht studiert hat. Bessere Chancen bringe es, über Personalberater "direkt im Fachbereich" auf sich aufmerksam zu machen.

Das Alter kein Thema?

Kein Unternehmen wird einem Journalisten bestätigen, dass es Bewerber allein deshalb ablehnt, weil sie zu alt sind. SAP Deutschland beschäftigt nach Angaben von Communications Manager Alla Ruggaber-Mast derzeit 13953 Mitarbeiter, von denen 27 Prozent über 40 Jahre alt sind. Bei Neueinstellungen komme es nicht auf das Alter, sondern auf "Qualifikation und Leistungsfähigkeit eines Bewerbers" an. Zum richtigen Alter gebe es "weder eine offizielle noch eine inoffizielle Richtlinie". Laut Herbert Hochberger aus dem Bereich Human Resources Operations existiert auch bei Microsoft Deutschland eine solche Vorgabe nur für Trainees: Sie sollen frisch von der Hochschule kommen. Ansonsten hänge das gewünschte Alter von der Position ab. Bewerber über 50 fänden sich kaum, aber von den etwa 500 Neueingestellten der letzten drei Jahre seien 15 bis 20 Prozent über 40 gewesen. In der rund 1900-köpfigen Gesamtbelegschaft seien es 18 bis 20 Prozent. Werde jemand mit fundierter Erfahrung, mit gefragtem Spezialwissen oder für eine Stelle mit Personalverantwortung gesucht, sei das Alter "überhaupt kein Thema".

Offizielle Zahlen sprechen dafür, dass das stimmt, wenn auch auf bedrückende Art. Im Februar 2006 veröffentlichte die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung der Bundesagentur für Arbeit (ZAV) die Studie "Der Arbeitsmarkt für IT-Expertinnen und IT-Experten". Der Verfasser Bernhard Hohn weist darin nach, dass Arbeitslosigkeit in der IT kein spezielles Problem der älteren Jahrgänge ist.

Im März 2005 waren 159000 studierte IT-Experten sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Unter ihren rund 6200 Kollegen, die im September 2005 arbeitslos gemeldet waren, machen die noch nicht 35-Jährigen die größte Gruppe aus (2344 Personen). Es folgen die 35- bis 44-Jährigen (1964), die 45- bis 54-Jährigen (1423) und die über 55-Jährigen (493). Unter denen, die Arbeit haben, ist der Anteil der mittleren und höheren Jahrgänge seit fünf Jahren kräftig gestiegen. Verlierer sind die unter 35-Jährigen, deren Anteil um 26 Prozent zurückging. Autor Hohns ernüchternde Erklärung: Die, die als Junge eingestellt wurden, sind gealtert; in großem Umfang neu angeheuert werden weder Alte noch Junge.

Wie bei anderen Wirtschaftsdaten gibt es eine Besserung auf niedrigem Niveau: Ende 2004 kamen auf 100 gemeldete IT-Arbeitslose elf freie Stellen, Ende 2005 waren es 13. Ende 2000, in der Spätphase des Booms, konnten sich 100 arbeitslose IT-Fachleute für 166 freie Stellen interessieren!

Für Patentrezepte ist die Lage zu schlecht. Auch wenn alle Bewerber alles richtig machen, bleiben viele arbeitslos. Aber ein paar Muster kristallisieren sich doch heraus, denen erfolgreiche ältere Stellensuchende gefolgt sind.

Erkenne dich selbst. "Wenn man gerade seinen Job verloren hat, neigt man dazu, zu meinen, man habe 13 Jahre seines Lebens der falschen Firma geschenkt, dort nichts dazugelernt. Aber das stimmt nicht", sagt Frank Müller (43). Der Diplomphysiker hatte für einen bekannten TK-Anlagenhersteller erst Software entwickelt und war dann auf die Business-Seite gewechselt, weil ihm dieser Arbeitsplatz sicherer schien. Als sich das als Irrtum erwiesen hatte, zog er Bilanz: Was kann ich, was will ich, wen kenne ich? Wenn man sich das gründlich überlegt, braucht es Wochen oder Monate.

Lassen Sie sich coachen. Müller war bei seiner Selbstfindung nicht alleine, sondern belegte ein sechswöchiges Coaching unter anderem bei der Ludwigsburger Unternehmensberaterin Hannelore Bostick. Er lernte, dass Bewerben ein Vollzeitjob ist, und konnte schließlich sogar ein Angebot ablehnen, weil sich bereits eine zweite Möglichkeit abzeichnete, die ihm besser zusagte. Coaching braucht nicht jeder. Aber viele finden es hilfreich, in der Krise jemanden zu haben, der vorbehaltslos und kritisch auf ihrer Seite steht. Ein guter Coach begegnet seinem Schützling mit einer Objektivität, die im Interessen- und Gefühlsdurcheinander des sonstigen täglichen Lebens nur selten erreichbar ist.

Coaching geht manchmal in Personalvermittlung über. Robert Kluge (43) war bereit, bei seinem früheren Arbeitgeber zu kündigen, weil der ihm ein Outplacement angeboten hatte. Der SAP-Spezialist suchte sich eine entsprechende Personalberatung, erfuhr neben intensivem Bewerbungstraining viel über die aktuelle Nachfrage einstellender Unternehmen und fand seinen neuen Job als Senior Consultant für Finanzwesen und Controlling bei Entory.

Seien Sie flexibel. Damit ist nicht die Phrase aus den Stellenanzeigen gemeint. Sondern die Lust, alle bisherigen Kompromisse erst einmal zu vergessen und nach dem zu suchen, was einem am meisten liegt, auch wenn man es noch nie gemacht hat. Der Speicherspezialist Peter Gogl (42) schied bei EMC auf eigenes Betreiben aus, weil er sich dort dem Stress gesundheitlich nicht mehr gewachsen fühlte. Beim Industriecomputer-Hersteller DLoG in Olching ist er nun für Pre- und Postsales-Projekte zuständig. Dabei braucht er weniger technische Details zu kennen als bei EMC, muss - oder darf - aber mit Kollegen und Kunden viel mehr reden. Das gefällt ihm.

Rufen Sie alle an. Nicht nur für Bewerber sind Stellenanzeigen ein Ärgernis. Auch Unternehmer und ihre leitenden Mitarbeiter mögen es, wenn sie sich nicht auf die Risiken einer Ausschreibung einlassen müssen, sondern den neuen Helfer im Bekanntenkreis oder durch persönliche Empfehlung finden. Laut Michael Franzkowiak, Personaldisponent beim Zeitarbeitsvermittler AVJS und nebenberuflicher Coach, werden nur 20 Prozent aller freien Stellen inseriert. Auf sie bewerben sich aber 80 Prozent der Jobsuchenden. Aussichtsreicher sei es, mit nur 20 Prozent der Bewerber um die 80 Prozent versteckten Jobs zu wetteifern. Dazu muss man Letztere erst einmal finden, und zwar, indem man - überspitzt gesagt - alle Menschen anruft, die man jemals kennen gelernt hat, und ihnen die richtigen Fragen stellt. "Soziale Netzwerke sind Rettungsringe", schreibt die Personalberaterin Ursula Thieme in ihrem nützlichen Ratgeber "Bewerbung mit 40 plus" (Orell Füssli Verlag, Zürich 2005, 217 Seiten, 19,80 Euro).

"Soft Skills, Soft Skills, Soft Skills", sagt Trainerin Bostick und meint damit, dass Unternehmer bestimmte gute Eigenschaften älteren Mitarbeitern eher zutrauen als jüngeren: Ruhe, Überblick, Standfestigkeit, ferner die Fähigkeit, das Vertrauen älterer Kunden zu gewinnen - schließlich sind sie es in der Regel, die das Geld haben. Hier setzt die Trainerin an: Schweigsame Techniker sollen lernen, für sich zu werben, indem sie ihre allgemein menschlichen "Qualifikationen in Worte packen".

Für die schriftliche Bewerbung empfiehlt Bostick den Europäischen Lebenslauf. Weil die formellen Bildungsabschlüsse der Mitgliedsländer schwer zu vergleichen sind, räumt der EU-Lebenslauf außerberuflichen, zum Beispiel sozialen und künstlerischen Fähigkeiten breiten Raum ein. Das kommt älteren Bewerbern entgegen. Bostick und der Journalist Hans-Joachim Wiehager haben darüber ein Book on Demand geschrieben ("Erfolgreich bewerben mit dem Europäischen Lebenslauf", BoD, Norderstedt 2005, 120 Seiten, 9,80 Euro).

Bewerben Sie sich nur, wo man Sie zu schätzen weiß. Solche Unternehmen gibt es. Fahrion Engineering aus Kornwestheim stellt für die IT wie auch sonst bevorzugt Mitarbeiter über 50 ein. Der heute 66-jährige Gründer Otmar Fahrion blickt auf eine Firmengeschichte zurück, wie sie für den schwäbischen Mittelstand nicht untypisch ist. 1975 eröffnete er sein Konstruktionsbüro mit einem einzigen zusätzlichen Mitarbeiter. Heute plant und baut Fahrion Engineering mit knapp 100 Beschäftigten Fabrik- und Industrieanlagen in aller Welt, zum Beispiel einen kompletten Stahlbaubetrieb in Russland und vom Unternehmen erfundene Flugzeugdrehscheiben in Dubai. In China ist Fahrion in der Flugzeugwartung aktiv. Damit die überschaubare Zahl von Ingenieuren alle international gängigen CAD-Programme beherrscht, bekommen manche Neulinge einen "knallharten sechswöchigen Grundkurs hier im Haus" mit zusätzlichen "Übungen am Wochenende". Auch Simulations- und Animationssoftware gehören zum Handwerkszeug.

Otmar Fahrion erklärt seine Personalpolitik mit wohlverstandenem Eigeninteresse. Einem 50-jährigen oder älteren Ingenieur kann er nach drei Jahren ein internationales Großprojekt übertragen. Einen Jungen muss er erst zwölf Jahre ausbilden, um ihn dann vielleicht an einen Konzern zu verlieren. Fahrion kennt sein Unternehmen in- und auswendig und kann viel erzählen über die eindrucksvollen fachlichen Qualitäten und das große Engagement seiner senioralen "Edelsteine". Außerdem seien sie flexibler als die mit dem Nestbau oder dem Handballsport beschäftigten Jungen und würden kaum je krank: "Ältere nicht einzustellen ist betriebswirtschaftlich dumm."