Betrifft CW Nr. 23 vom 5. Juni 1987, Seite 12: "IBM sind 9000 VSE-User ein Klotz am Bein" Die von amerikanischen Marktanalytikern verbreiteten Unkenrufe bezüglich des VSE-Betriebssystems zeigen ein hohes Maß an Ignoranz dieser Beobachter. Letztendlich gi

03.07.1987

Betrifft CW Nr. 23 vom 5. Juni 1987, Seite 12: "IBM sind 9000 VSE-User ein Klotz am Bein"

Die von amerikanischen Marktanalytikern verbreiteten Unkenrufe bezüglich des VSE-Betriebssystems zeigen ein hohes Maß an Ignoranz dieser Beobachter.

Letztendlich gibt es einige Punkte, die gegen ein Sterben von VSE sprechen.

Schon vor einigen, Jahren wurde das Betriebssystem totgesagt. Trotzdem hat IBM an der Weiterentwicklung gearbeitet und bietet heutzutage die Version VSE/SP 3.1 an. Diese Weiterentwicklung bedeutet auch für IBM Investitionen, die nicht ohne weiteres aus der "Portokasse" gezahlt werden. (...)

Wenn man dazu dann überlegt, daß IBM auch hardwaremäßig eine neue Rechnerfamilie, nämlich die 9370-Serie, vorgestellt hat, auf der als prädestiniertes Betriebssystem VSE/SP, entweder als Hauptsystem oder als Gastsystem unter VM, betrieben wird, muß man sich fragen, ob IBM hier nur leichte kosmetische Korrekturen vornimmt oder ob IBM ihrem Versprechen, das VSE-Betriebssystem als strategisches Produkt weiterhin zu verkaufen, nachkommt. Aufgrund der Tatsachen ist wohl das Letztere anzunehmen.

Sieht man dann noch, daß das wohl größte Marktwachstum an Stückzahlen nicht im Bereich der "Jumbos" liegt, sondern eher im Bereich des "Mittelstandes" zu finden ist und IBM in diesem Bereich mit einer erheblichen Konkurrenz zu kämpfen hat, so ist der Verkauf von 9370-Rechnern mit dem VSE-Betriebssystem glaubhafter als das Totsagen von VSE durch die amerikanischen Marktanalytiker.

Die Panikmache über eine totlaufende Schiene wird hauptsächlich von Leuten geprägt, die sich als Softwarehaus betätigen und sich eigentlich auf ein Betriebssystem konzentrieren möchten, da sie damit eine höhere Marktdurchsetzung erreichen. Der Wunsch ist hier der Vater des Gedankens. Es kann niemand darüber hinwegtäuschen, daß der Einsatz eines MVS-Systemes für mittelständische Unternehmen, die sich ja hauptsächlich im Midrange-Systembereich bewegen, unwirtschaftlich ist.

Die DV-Landschaft der mittelständischen Unternehmen sieht heutzutage so aus, daß die Systemprogrammierung von einem halben bis einem Mitarbeiter gemacht werden muß. Welches mittelständische Unternehmen kann sich die Anforderungen eines MVS-Betriebssystems schon aus Sicht der Hardware-Investition leisten und andererseits die Beschaffung eines teuren Betriebssystemes, welches auch personalmäßig zusätzlich Kräfte erfordert? Um eine MVS-Umgebung richtig zu pflegen, benötigt man doch mindestens drei Systemprogrammierer, die ja bekanntlich nicht so günstig auf dem Markt zu bekommen sind.

Ein Mitarbeiter muß sich dann mit MVS selbst auseinandersetzen, ein Mitarbeiter mit, TSO und ein Mitarbeiter wird für die Anpassungen von JES 2 oder 3 benötigt. Wo liegt dann hier die Effizienz?

Derjenige, der meint, daß eine Umstellung von VSE auf MVS kurzfristig und nebenbei durchzufahren ist, eventuell unter Zuhilfenahme von Beraterfirmen, ist auf dem Irrweg. Je nach Installationsgröße muß mit einem Umstellungsaufwand von fünf bis zehn Mannjahren gerechnet werden.

Für mittelständische Unternehmen bedeutet dies, daß der sogenannte Anwender-Rückstau noch größer wird. Welcher Anwender hat schon Verständnis dafür, daß ein laufendes System zu Lasten der

Systemverfügbarkeit geändert werden muß? Wie lange dauert es, bevor die Systemprogrammierung sich komplett mit dem MVS-Betriebssystem auskennt, mit seinen Ins und Outs? Bevor die MVS-Umgebung zum "Kulturkreis" eines Unternehmens gehört, gehen mindestens drei Jahre ins Land. (...)

Das Bestreben von IBM, für VSE und MVS die Komponenten, die in beiden Betriebssystemen benutzt werden können, mit gleichen Schnittstellen auszustatten, ist sicherlich für IBM eine wirtschaftliche Überlegung. Wenn man die Entwicklungsteams für zum Beispiel CICS, sowohl für VSE wie für MVS, zusammenlegen kann, so liegen die Vorteile klar auf der Hand. Dies heißt aber nicht, daß jetzt plötzlich VSE aufgelöst wird, sondern dies bedeutet, daß ein Entwicklungsteam kompakter und mit mehr Kommunikation untereinander erreicht wird.

In Anbetracht der letzten Weiterentwicklungen des VSE-Betriebssystems in die Marktrichtung VAE und der damit verbundenen Möglichkeit, mehr Adreßräume zu benutzen, damit die 16-MB-Limitation umgangen werden kann, sowie die Forderung der IBM-Benutzergruppe Common Europe, mehrere VAE-Bereiche zur Verfügung zu stellen, ist Am unbedingter Wechsel zu einem MVS-Betriebssystem nur in begrenzten Fällen notwendig.

Schließlich ist es ja möglich, unter Benutzung von VTAM und CICS 1.7 seine Anwendungen über mehrere logische VSE-Maschinen zu verteilen und zwischen vielen Adreßräumen zu kommunizieren, wie man will.

VSE wird nach wie vor das Betriebssystem für Midrange-User sein.

Ton Tilburgs

1. Vorsitzender Common Europe

Deutschland e. V.