Besser leben jenseits der Festanstellung

01.02.2007
Von Heike Littger und Anja Dilk,
Sie arbeiten so, wie es ihnen gefällt. Die Vertreter der digitalen Arbeitswelt legen auf Selbständigkeit Wert und nehmen dafür manche Einschränkungen in Kauf.

Jan sucht sich nur Projekte aus, die ihm Spaß machen. Stunden absitzen in einer Firma ist ihm ein Grauen. Rainer möchte sich nicht nur um Java, sondern auch um seine Kinder kümmern. Am liebsten programmiert er unter einem Baum am Wörthsee. Moritz liebt die Vielfalt und seine Musik. In seiner kleinen Webagentur kann er beides verwirklichen.

Hier lesen Sie ...

  • was die Arbeit der Internet-Freiberufler auszeichnet;

  • mit welchen Problemen Web-Selbständige zu kämpfen haben;

  • warum Online-Freelancer ihre Selbständigkeit nicht aufopfern möchten.

"Wir nennen es Arbeit"

Sie arbeiten im Café oder im Stadtpark. Die neue Generation freiberuflicher Entwickler versucht, Freiheit, Spaß und Geldverdienen unter einen Hut zu bringen. (Foto: Powerbooktrance)
Sie arbeiten im Café oder im Stadtpark. Die neue Generation freiberuflicher Entwickler versucht, Freiheit, Spaß und Geldverdienen unter einen Hut zu bringen. (Foto: Powerbooktrance)

Die Arbeitsformen sind im Wandel. Die Zeiten der Festanstellung auf Lebenszeit sind längst vorbei. In der Netzwerkökonomie der Zukunft wächst vor allem eine Gruppe: die mobilen Freiberufler, die vernetzt sind mit Gleichgesinnten. Schon jetzt gibt es Unternehmen, in denen die Hälfte der Mitarbeiter nicht fest angestellt ist. Sie kommen und gehen für einzelne Projekte, sie nehmen Aufträge an und stellen eigene Initiativen auf die Beine.

Spaß an der Arbeit und eine spannende Aufgabe sind ihnen wichtiger als Geld, Karriere und Status. Sie vermarkten sich über Blogs oder virtuelle Netzwerke, ordern über Ebay und Amazon, tragen Laptop und Handy stets unterm Arm. Der Alltag in engen Firmenfluren ist ihnen ebenso fremd wie suspekt. Was Sascha Lobo und Holm Friebe vom Berliner Netzwerk "Zentrale Intelligenz Agentur" in ihrem Buch "Wir nennen es Arbeit" (Wilhelm Heyne Verlag, München 2006, 304 Seiten, 17,95 Euro, ISBN 3-453-12092-2) treffend beschrieben haben, findet sich längst an allen Ecken der Republik, gerade in der IT-Branche: Menschen, die das Korsett der alten Arbeitswelt abstreifen und mit Hilfe der digitalen Technik selbstbestimmt leben und arbeiten. Die computerwoche hat drei Vertreter der neuen digitalen Arbeitswelt porträtiert.

Jan Bölsche, 33 Jahre, Entwickler aus Berlin

Jan Bölsche: 'Ich genieße den Luxus, dann zu arbeiten, wenn der eigene Flow am besten strömt.'
Jan Bölsche: 'Ich genieße den Luxus, dann zu arbeiten, wenn der eigene Flow am besten strömt.'
Foto: Jan Bölsche

Das Licht hinter der langen Glasfront des Café "Mir" schimmert weit über die Pflastersteine der Görlitzer Straße. Zwei Studenten eilen die Graffiti besprühte Backsteinmauer am Park entlang. Durch den roten Samt hinter der Eingangstür des Kiezcafés in Berlin-Kreuzberg dringt das Klappern von Geschirr. An den Nierentischen neben der Bar haben die Besucher ihre weißen Apple-Laptops aufgeklappt. In weiche Sessel gesunken klicken sie sich mit schnellen Fingern ins Netz. Jan Bölsche nimmt einen Schluck Latte Macchiato. Er ist Stammgast im "Mir". Oft kommt er zum Frühstück hierher, manchmal um zehn Uhr morgens, manchmal am späten Nachmittag. Je nachdem, ob er mal wieder in einer Nacht- oder in einer Tagarbeitsphase lebt. Zieht er dann immer den Laptop aus der Tasche, wie das so üblich sein soll in der digitalen Bohème? Bölsche grinst. "Selten, meist brauche ich für meine Arbeit zu viel Hardware." Gut, dass sein Büro, das "Haus der frohen Zukunft", gleich um die Ecke liegt.

Bölsche liebt dieses Leben. Die Freiheit, sich Projekte auszusuchen, die ihm Spaß machen. Die ihn inhaltlich locken oder technisch faszinieren. Den Luxus, dann zu arbeiten, wenn der "eigene Flow am besten strömt", wenn er alles andere um sich herum vergisst und nicht mehr aufhören kann, egal ob nachts um vier oder morgens um elf Uhr. Die Freude, den Computer auszuschalten, wenn draußen die Sonne lacht oder ihn Freunde auf einen langen Kaffee einladen. Die Möglichkeit, den Laptop unter den Arm zu klemmen und den Stadtstrand zum Arbeitsplatz zu machen. Seit 1998 ist der Entwickler selbständig. Festanstellung ist für ihn "ähnlich wie Strafvollzug". Die Anwesenheitskultur, die endlosen Meetings, diese quälend ineffiziente Art des Arbeitens.

Das hat er längst hinter sich. Für ein Praktikum bei Pixelpark hatte er Mitte der 90er Jahre sein Informatikstudium abgebrochen. Mit Elan stolperte er in die erwachende New-Economy-Welt, nach 14 Tagen war er fest angestellter Entwickler bei der Pixelpark-Tochter Musicpark. Einen Sommer lang verschmolzen Leben und Arbeit, für die Nächte ließ die Geschäftsleitung Liegestühle in den Fluren aufstellen. "Gelohnt hat sich der Einsatz nie", erinnert sich Bölsche und nennt es seinen "ersten Dämpfer in Sachen Festanstellung". Nach dem Aus von Musicpark 1997 war Schluss mit Glamour und Partys bei Sony Music, stattdessen hatte der Entwickler Websites für Sparkassen zu bauen oder Datenbanken zu programmieren. 1998 kündigte Bölsche bei Pixelpark, was er nicht bereute.

Durststrecken bleiben nicht aus

Seitdem erlebte er tolle Zeiten, nahm Aufträge in Paris und Mallorca an oder gewann zusammen mit seinem Kollegen Patrik Rau vor zwei Jahren den hamburg@work-Award. Auch Durststrecken hatte er zu überstehen, wie im Jahr 2004, als viele Unternehmen nicht mehr in Multimediaprojekte investierten, und er "sich wirklich anfing, Sorgen zu machen". Aber wieder fest angestellt? Niemals. Wo blieben da Herzensprojekte wie die riesenmaschine.de, ein optimistischer Blog über neue Gadges, Hardware und Multimedia, den er mit seinen Freunden von der Zentralen Intelligenz Agentur seit 2005 mit Inhalten füttert? Der dem "intellektuellen Netzwerk" nicht nur den Grimme Preis einbrachte, sondern dank Tausender Klicks mittlerweile auch ordentliche Werbeerträge abwirft.

Bölsche leert sein Kaffeeglas und steht auf. Er hat heute noch einiges vor. Das ist so, wenn man im Job viele Stränge gleichzeitig verfolgt. "Das ist doch eine schöne, spannende Art zu arbeiten. Oder nicht?"

Rainer Buesch, 52 Jahre, Java-Programmierer aus Ottobrunn bei München

Rainer Buesch: 'Ich wollte meine Kinder nicht nur am Wochenende sehen.'
Rainer Buesch: 'Ich wollte meine Kinder nicht nur am Wochenende sehen.'
Foto: Rainer Buesch

Nachdem Rainer Buesch 1986 Vater geworden war, wollte er sich nicht mehr nur um den Job, sondern auch um den Nachwuchs kümmern. Also ging er zu seinem Chef und bat ihn um eine Vier-Tage-Woche. Zur damaligen Zeit ein Novum, ein Präzedenzfall, ein Skandal. Nur unter Vorbehalt akzeptierte sein damaliger Arbeitgeber Bueschs Forderung immer noch besser, als den CAD-Spezialisten ganz zu verlieren. Doch 1992 musste die Firma an der Personalschraube drehen, und Buesch stand ohne Arbeit da. Und sein neuer Arbeitgeber ließ ihm keine Wahl: voll oder gar nicht.

Zuerst willigte der studierte Physiker ein, doch bald merkte er: "Das will ich nicht. Ich will meine Kinder nicht nur am Wochenende sehen." Zusammen mit einem Partner gründete er seine erste Firma: Istec. Ihr Produkt, eine Metadatenbank, fand reges Interesse, aber keine Abnehmer. Sparen hieß überall die Devise. Zwölf Monate hielten die beiden durch, dann trennten sie sich.

In den folgenden Jahren arbeitete Buesch als Trainer für Unix und Datenbanken. Bis er 1995 Java kennen lernte: "Das war Liebe auf den ersten Blick." Wenn er von seinen Schulungen bei Sun oder Informix nach Hause kam, setzte er sich in seinem zwölf Quadratmeter großen Büro vor den Rechner und tüftelte bis tief in die Nacht an einem cleveren Client-Server- und Datenbank-Framework, das er seit 2005 unter dem Namen "Esprit-Technologie" vermarktet. Die Kinder sind mittlerweile groß und gehen ihre eigenen Wege.

Einige Unternehmen setzen Esprit bereits ein. Die Hydro Aluminium in Hamburg kontrolliert damit Fertigungsprozesse, die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover physikalische Veränderungen in der Erde. Und Buesch ist davon überzeugt: Das Produkt ist reif für den großen Markt.

Seine Kündigung bereut Buesch bis heute nicht. Es gibt gute Argumente für eine Festanstellung: die soziale Absicherung und das regelmäßige Gehalt am Monatsende auf dem Konto. Doch genau das tun zu können, was einen wirklich interessiert, ist ihm wichtiger. "Ich möchte für meine Ideen und Leistungen bezahlt werden, und möchte Software so entwickeln können, wie ich sie für gut halte." Für seine Tätigkeit reicht ihm sein Home Office mit Blick ins Grüne. Und wenn es mal mehr sein muss, packt er seinen Computer ein und fährt an den nahe gelegenen Wörthsee. Unter einem Baum am Ufer sitzen und programmieren das ist kaum zu toppen. Vielleicht von den Bahamas. Dort möchte er irgendwann hinfliegen. Mit Laptop, versteht sich.

Moritz Sauer, 32 Jahre, Web-Designer und Buchautor aus Wesseling

Moritz Sauer: 'Es ist anstrengend, mehrgleisig zu fahren.'
Moritz Sauer: 'Es ist anstrengend, mehrgleisig zu fahren.'

Wesseling ist für Moritz Sauer eine hässliche Stadt. Hässlich, aber billig. Und das ist im Moment, das einzige, was zählt. 1000, manchmal 1500 Euro fließen pro Monat in seine Kasse. Da will er sich keine Wohnung im nahe gelegenen Köln leisten. Lieber packt er ab und an seinen Laptop in die Reisetasche und fährt zu seinem Freund nach Berlin. Vor einem Jahr hat er sich dort gleich für mehrere Monate einquartiert und Tag und Nacht an seinem aktuellen Buch geschrieben: "Weblogs Podcasting und Online Journalismus".

Berlin gefällt dem 32-Jährigen gut, doch bis jetzt ist er immer wieder in seine Heimat zurückgekehrt: "Die Rheinländer sind einfach lustiger." Außerdem kann er "ab vom Schuss" besser den Überblick über seine diversen Jobs und Projekte behalten.

Nach seinem Pädagogikstudium stieg Sauer als Online-Redakteur bei popkomm.de ein. Die Betreiber wünschten sich ein cooles Musikportal rund um die Musikmesse, es gab viel Geld. Doch 2002 wurde das Internet-Portal von heute auf morgen eingestellt und die Mitarbeiter entlassen.

Für Sauer ein Schock: "Damals glaubte ich noch an eine Festanstellung auf Lebenszeit." Doch die war nicht in Sicht. Also kaufte er sich vom staatlichen Überbrückungsgeld einen Laptop mit zwei großen Monitorboxen - "Musik ist ganz wichtig" - und machte sich selbständig.

Am Anfang schrieb er für die Magazine "Intro" und "De:bug", später auch für "c't", "keyboards" und "Internet Intern". Heute gestaltet und betreut er zudem mit seiner kleinen Webagentur Klick-Konzept.de Auftritte mittelständischer Firmen. Darüber hinaus hält er Seminare für Online-Journalisten ab, steht auf dem Podium, wenn es um Blogs, Podcasts oder Netlabels geht, und unterhält sein Online-Magazin www.phlow.net - mittlerweile Dreh- und Angelpunkt für überzeugte Netzbewohner, die sich auch noch für elektronische Musik begeistern. 2004 wurde Phlow für den Grimme Award nominiert.

"Es ist anstrengend, mehrgleisig zu fahren", räumt Sauer ein. "Aber es ist überaus befriedigend." Deswegen glaubt er auch nicht, dass er wieder in einem geregelten Job landen wird. Einen solchen bekam er zwar immer wieder angeboten, doch entweder stimmte der Inhalt oder die Bezahlung nicht. Der einzige Posten, bei dem er schwach werden würde: Chefredakteur eines Printmagazins für Netzkultur. Dafür würde er "seine Freiheit opfern". Aber da es eine solche Offerte in näherer Zukunft wohl nicht geben wird, feilt er lieber an seinem nächsten Projekt: eine Community für alle, die ihre Musik kostenfrei ins Netz stellen und sich dabei gegenseitig unterstützen wollen. (hk)

*Anja Dilk und Heike Littger arbeiten als freie Journalistinnen in Berlin und München.