Beratung jetzt schon für 1988?

28.04.1978

Immer schon haben die Computer-Hersteller ihre Kunden und Interessenten beraten. Daß das sehr aufwendig sein kann, führte zu viel Zähneknirschen. Besonders ärgerlich ist ihnen der oftmals riesige Aufwand für sogenannte "Alibi-Ausschreibungen", bei denen eigentlich schon von vornherein feststeht, wer den Auftrag erhalten soll.

Clevere Kunden haben sich als "Graue Leistung" mit dem Wink auf den künftigen Auftrag ganze Unternehmens-Organisations-Konzepte von den Anwendungs-Spezialisten der Hersteller erarbeiten lassen, die bei freien Beratern viele Mannjahre gekostet hätten.

Dem einen Riegel vorzuschieben, bemühen sich die Hersteller schon seit Entbündelung der Software aus dem Einheits-Preis-Paket. Unbundling der Beratungs-Leistung wurde seither immer dort angestrebt, wo der Aufwand für die Erfüllung der Kundenwünsche in keinem angemessenen Verhältnis mehr zur Höhe des Auftrags und auch der Chance, ihn zu erhalten, steht. Schon vor vielen Jahren begann bei IBM die "Truppe Schulz-Wolfgramm" den "Vertrieb Projekte" aufzubauen. Heute beschäftigen Werkverträge, Beratungsverträge und in komplizierten Fällen Verträge über Systems Management Services viele hundert IBM-Spezialisten. Diese Dienstleistungen werden - vermutlich ebenfalls zähneknirschend - von den Anwendern immer mehr in Anspruch genommen.

Ende des Null-Tarifs

Es war also keineswegs eine Überraschung, daß die Honeywell Bull AG auf ihrer hannoverschen Jahres-Presse-Konferenz verkündete, man wolle ebenfalls verstärkt ins Consulting Business einsteigen. HB-Vorstand Dr. J. Tschirren: "Wir sind in jeder Entscheidungsphase des Kunden bereit, mit neuen Organisationskonzepten zur Problemlösung beizutragen." Gegen Entgelt, versteht sich. Muß der Anwender jetzt sogar für die übliche Kundenbetreuung bezahlen? Zum einen steht gar nicht fest, was "üblich" ist. Zum anderen wird Konkurrenz-Druck das verhindern. Gemeint ist, daß den Herstellern nicht mehr zugemutet werden könne, für Groß-Projekte, die über viele Jahre laufen, ganze Organisations-Konzepte für schlüsselfertige, unternehmensindividuelle Lösungen zum Null-Tarif bereitzustellen.

Das war früher einfacher und deshalb auch billiger. Heute aber sind ganz neuartige, sehr komplexe EDV-Möglichkeiten und -Techniken zu berücksichtigen. Distributed Processing, Minicomputer, Mikroprozessoren, Netzwerk-Technik und so weiter, und so weiter. Tschirren in Hannover: "Für die DV-Technik ist eine neue Zeitepoche angebrochen. Die Umstellung auf Distributed Systems Environment ist eine Revolution, vergleichbar dem Übergang zur EDV."

Das sind starke Worte. Bei Honeywell-Bull folgert man daraus, daß Groß-Anwender mindestens acht bis neun Jahre im voraus planen müssen, wenn sie die neuen technischen Möglichkeiten zum Nutzen ihrer Unternehmen schnellstmöglichst effizient einsetzen wollen. Wer aber weiß denn schon, welche Unternehmens-Konzepte und Mengengerüste Vorgabe für die Organisation und Datenverarbeitung im Jahre 1988 sein werden? Für die Entscheidung zwischen zentraler Steuerung und Kontrolle und dezentraler Flexibilität gilt es bereits heute, für die nächsten acht bis neun Jahre die HB-Standard-Frage zu beantworten: Für welche Informationsempfänger sollen welche Informationen, an welcher Stelle, in welchem Zusammenhang, in welcher Aktualität und Periodizität, in welcher Qualität und auf welcher Abstraktionsebene erfaßt, gespeichert, verarbeitet und bereitgestellt werden?

Wer das hört, wird sicher verunsichert sein. Und das wiederum hilft bekanntlich, das Beratungsgeschäft anzukurbeln. Solche Motive weisen die Honeyweller brüsk zurück. Vielmehr ist man stolz darauf, als erster Computer-Hersteller so offen und so deutlich gesagt zu haben, daß alle Planung für Großobjekte, die mit kürzeren Zeit-Horizonten arbeitet, heute nicht mehr zu optimalen Lösungen führen kann.