Noch Zukunftsmusik für kommerzielle Anwendungen:

Bell baut Prozessor mit Josephson-Schaltung

13.08.1982

HOLMDELL, N.J. (cw) - Josephson-Kontakte, auf extrem tiefe Temperatur geleühlte Schaltungen mit viel kürzeren Schaltzeiten als herkömmliche Halbleiterschaltungen, haben in der letzten Zeit als mögliche Alternative zur Halbleitertechnologie vermehrte Aufmerksamkeit hervorgerufen.

Die IBM beispielsweise befaßt sich schon seit Jahren mit dem Josephson-Effekt. Eine Videovorführung auf der im Juni abgehaltenen National Computer Conference (NCC) war der erste öffentliche Hinweis, daß die Company einen Prozessor auf den Markt bringen wird, der auf dieser neuen Technologie beruht.

In einer anderen Ankündigung gaben die Bell Laboratories die Entwicklung eines funktionsfähigen Prozessors mit der bisher umfangreichsten Anwendung von Josephson-Kontakten bekannt. Der Prozessor ist für Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Bildverarbeitungstechniken vorgesehen und besteht aus annähernd 600 der neuen Schaltelemente .

Der Bell-Rechner arbeitet zwar mit der verhältnismäßig langsamen Zykluszeit von 75 Nanosekunden, doch weisen die Forscher darauf hin, daß die eigentliche Schaltzeit nur etwa zwei Nanosekunden, das ist etwas kürzer als bei modernen Halbleiterschaltkreisen, beträgt.

Der Josephson-Effekt tritt ein, wenn die winzigen Kontakte auf eine Temperatur in Nähe des absoluten Nullpunkts abgekühlt und dabei supraleitend werden, das heißt ihren elektrischen Widerstand verlieren. Im Laboratorium ist das wesentlich leichter zu erzielen als in einem zuverlässigen und wirtschaftlichen Prozessor für den kommerziellen Markt.

Dick Slusher, Leiter des Interface Electronics Research Department von Bell ist der Ansicht, daß es noch 15 Jahre dauern kann, bis Josephson-Schaltelemente mit der Halbleitertechnologie konkurrieren. Ein Prozessor könnte zwar schon in etwa fünf Jahren angeboten werden; bis dahin müßten aber von Fertigungsproblemen gelöst werden. Vor allem müsse man ein geeignetes Substrat für die Aufbringung der Josephson-Schaltung finden, das einer Temperatur in der Nähe des absoluten Nullpunkts (-273,15 Grad Celsius) standhält, zuverlässig ist und in Massenproduktion hergestellt werden kann.

Die Bell Laboratories verwenden zur Zeit ein Siliziumsubstrat mit einem Niob-Isolator und einer Blei-Indium-Goldlegierung zur Beschichtung.

Da der Prozessor in flüssiges Helium von -269 Grad Celsius getaucht ist, sind Wartung und Reparatur ein weiteres Problem. Bei Veränderungen an Josephson-Schaltelementen haben sich allerdings Laser als sehr wirksam erwiesen.

Außerdem stellt sich die Frage, wie man die Nutzung de Schaltzeiten der Josephson-Elemente gewährleisten kann: Damit die durch den Prozessor fließenden Ströme ständig Lichtgeschwindigkeit halten, müssen alle Schaltungen des Prozessors sorgfältig in einer Reihe angeordnet werden.

Damit aber nicht genug. Da Halbleiter auf Siliziumbasis grundsätzlich kompatibel sind, können in der Prozessorfertigung die verschiedenen Technologien kombiniert werden. Die in flüssiges Helium getauchten Josephson-Schaltelemente sind dagegen nicht direkt mit Siliziumschaltungen auf Raumtemperatur zu verbinden. Laut Slusher ist das der Grund für die gegenwärtige Zykluszeit des Bell-Prozessors von 75 Nanosekunden.

Der für die Versuche der Bell Laboratories verwendete Chip besteht aus 548 Josephson-Elementen, die paarweise als Josephson-Atto-Webber-Schalter (JAWS) angeordnet sind. Forschungsziel ist die Entwicklung eines Prozessors, der menschliche Sprache erkennt, Bilder mit hoher Geschwindigkeit verarbeiten oder für Simulationen in großem Stil verwendet werden kann, wie sie beispielsweise bei der Wettervorhersage eine Rolle spielen.

*Der Autor gehört zum Washington Bureau der COMPUTERWORLD. Aus der COMPUTERWORLD vom 5. Juli übersetzt von Hans J. Hoelzgen, Böblingen.