Strukturschwache Regionen Profitieren vom Run auf Europa

Beispiel Schottland: Attraktives Gebiet für Investoren aus Übersee

21.12.1990

CW-Bericht, Christoph Witte

Viele Unternehmen aus USA, Japan und dem südostasiatischen Raum haben in den vergangenen zehn Jahren begonnen, neben ihren Vertriebsniederlassungen in den einzelnen europäischen Nationen Produktions- und sogar Entwicklungsstandorte aufzubauen. Diese siedelten sie vorzugsweise in den wirtschaftlich schwachen europäischen "Randgebieten" wie Schottland, Irland, Spanien oder Portugal an. Dort erhielten sie nicht nur preiswerte Kredite und Subventionen, sondern auch billige, aber durchaus qualifizierte Arbeitskräfte.

Auf diese Weise faßten außereuropäische Companys Fuß in Europa und können nun ihre EG-Kunden unter Umgehung hoher Einfuhrzölle beliefern. Darüber hinaus läßt es sich mit Produktionsstätten vor Ort sehr viel flexibler auf die Bedürfnisse des jeweiligen Landes eingehen.

Neben den USA tun sich in erster Linie japanische Unternehmen mit Direktinvestitionen hervor. So flossen zwischen 1951 und 1989 rund 45 Milliarden Dollar von Japan nach Europa. Dabei erhöhten sich die Direktinvestitionen seit 1985 jährlich um 66 Prozent.

Japanisches Kapital in Großbritannien

Allein im Geschäftsjahr 1989 belief sich die Summe, die die Söhne Nippons in der Alten Welt investierten, auf 14,8 Milliarden Dollar. Wobei japanische Unternehmen, einer Studie des IFO-Instituts zufolge, in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Investitionstypen bevorzugen. In der Studie heißt es: "Während in Großbritannien, der Bundesrepublik Deutschland und in den Benelux-Staaten die Gründung einer 100prozentigen Tochter die beliebteste Investitionsform ist, bedienen sich in Südeuropajapanische Unternehmen bevorzugt des Joint-ventures, der Beteiligung oder der Akquisition."

Interessanterweise floß 1989 mehr als ein Drittel des insgesamt eingesetzen japanischen Kapitals nach Großbritannien, nämlich 5,2 Milliarden Mark. Für diese Dominanz der Briten sieht das IFO-Institut folgenden Grund: "Die Konzentration der Kapitalströme auf Großbritannien erklärt sich aus dem Zusammentreffen mehrer für die japanischen Investoren wichtiger Rahmenbedingungen. Neben der englischen Spräche sind dies vor allem die energischen Werbe- und Förderaktivitäten der britischen Zentral- und Regionalregierungen in Richtung japanische Industrie sowie ergänzende Faktoren, wie vergleichsweise niedrige Arbeitskosten und Steuern, kooperative Gewerkschaften und ein offenes Klima für Firmenübernahmen." Außerdem, so der Bericht weiter, würden die potentiellen Investoren das offensive Werben der britischen Regierung als Indikator dafür empfinden, im Land willkommen zu sein. Direkte Subventionen hingegen scheinen für die Attraktivität eines Standortes nicht so wichtig zu sein.

Das belegt auch die Stellungnahme von seiten des japanischen Halbleiter-Herstellers NEC, der seit 1981 eine Produktionsstätte in Schottland betreibt und dort heute 695 Leute beschäftigt. "Für NEC waren die große Verfügbarkeit von Ingenieuren mit Universitätsabschluß, die hohe Zahl der Facharbeiter und die gute Verkehrsinfrastruktur entscheidende Kriterien für die Ansiedlung im schottischen Livingston", erklärte eine Sprecherin des Unternehmens. Doch in diesem Falle spielte noch etwas anderes eine Rolle: Halbleiter-Produzenten benötigen sauberes Wasser zur Reinigung ihrer Chips, und für das ist Schottland - die Region mit den meisten Whisky-Brauereien in Europa - geradezu berühmt, zumindest unter Malt-Whisky-Fans.

Doch heute wirbt nicht nur Großbritannien offensiv um Investoren. Hundertschaften von Vertretern der verschiedensten Regionen buhlen um die Gunst amerikanischer, europäischer und japanischer Unternehmen. Allein in Tokio beispielsweise tummeln sich über 60 nationale und regionale Agenturen, die japanische und andere fernöstliche Unternehmen für eine Ansiedlung in ihrem Land oder ihrer Region gewinnen wollen. Zu ihrem Angebot gehören attraktive Standorte mit preiswert zu erwerbenden Grundstücken und eine Reihe eindrucksvoller finanzieller Anreize.

Im Gegenzug erwartet man von den gewonnenen Unternehmen ein langfristiges Engagement in den oft strukturschwachen Gebieten und die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Diese Art der weltweiten Firmenakquisition betreibt die Scottish Development Agency (SDA) bereits seit vielen Jahren. Im eigenen Lande wird sie von der "Locate in Scotland" (LIS) unterstützt. Die 1981 gegründete Organisation kümmert sich in erster Linie um die Bedürfnisse der potentiellen Investoren vor Ort. Anders gesprochen: Sie wickelt die Aufträge ab, die SDA hereinbringt. Die Organisation arbeitet außerdem eng mit dem "Scottish Offices Industries Department for Scotland" (IDS) zusammen, das autorisiert ist, Zuschüsse und Kredite zu vergeben. Kontrolliert werden alle drei Institutionen vom schottischen Industrieminister, der wiederum dem für Schottland zuständigen Minister in der britischen Regierung berichtet.

Das Konzept scheint aufzugehen. In Schottland haben sich in den vergangenen Jahren neben europäischen viele Unternehmen, insbesondere aus den USA, aber auch aus Japan, niedergelassen. Die schottische Informationssysteme- und Elektronikindustrie - in diesen Bereichen hat die SDA am erfolgreichsten rekrutiert-beschäftigt heute 50 000 Menschen in über 300 Unternehmen. Ein Viertel dieser Firmen kommt aus Übersee und ist für Brötchengeber knapp die Hälfte aller Beschäftigten dieses Industriezweiges. Im Jahr 1989 beispielsweise flossen 72 Prozent aller geplanten Investitionen in Höhe von 852,6 Millionen englischen Pfund (etwa 2,5 Milliarden Mark) in diese Sparte. Dabei kamen 68,2 Prozent der Summe aus den USA. Investoren aus England stellten mit gut 25 Prozent die zweitstärkste Geldgebergruppe. Interessanterweise war der japanisch-asiatische Anteil mit 3,9 Prozent (1988: 26,1 Prozent von 437 Millionen Pfund) immer noch höher als der der europäische mit 2,3 Prozent (1988: 798 Prozent).

Auch wenn sich nach Darstellung der SDA die fortschreitende Entwicklung zum EG-Binnenmarkt nicht konkret in Neu-Ansiedlungen niedergeschlagen hat, kamen doch die meisten Firmen erst nach 1981 in den Norden der britischen Insel. So ließen sich seit 1981 etwa 87 Unternehmen dort nieder; das sind genauso viele wie zwischen 1951 und 1980. Insgesamt beschäftigten US-Unternehmen im vergangenen Jahr 48 605 Mitarbeiter. Aus Europa und Asien bauten in den ersten 30 Jahren der SDA-Tätigkeit 58 Firmen schottische Ableger auf. Zwischen 1981 und 1989 zählte die Organisation immerhin 59 neue Unternehmen aus diesen Regionen.

Hochentwickelte Infrastruktur und gutes Personal

Letztes Beispiel eines amerikanischen Rechnerherstellers, der dort eine Produktion aufgebaut hat, ist der Workstation-Hersteller Sun Microsystems Inc. Das erst vor acht Jahren gegründete kalifornische Unternehmen machte im Geschäftsjahr 1990 weltweit einen Gesamtumsatz von 2,446 Milliarden Dollar. Davon wurden 49 Prozent außerhalb der USA und 28 Prozent in Europa erzielt. Die Etablierung eines Werkes in Europa scheint angesichts dieser Zahlen logisch.

Die Fabrik im schottischen Linlithgow wurde im September 1990 offiziell eröffnet. In der 4000 Quadratmeter großen und etwa 48 Millionen Mark teueren Anlage werden im Endausbau rund 300 Mitarbeiter die Desktop-Maschinen Sparcstation 1 + und IPC produzieren. Zusätzlich fungiert Suns erste Produktionsstätte außerhalb der USA noch als Distributionszentrum für den europäischen Markt.

Für Schottland hat man sich laut Ian Bell, Vice-President European Operations sowie Leiter der schottischen Fabrik, deswegen entschieden, weil "die Region eine hochentwickelte Infrastruktur aufweist und gut geschultes Personal mit hohem Bildungsgrad verfügbar ist".

Außerdem sind die Mitarbeiter - mit denen es im übrigen wegen der gemeinsamen Sprache auch keine Verständigungsschwierigkeiten gibt - preiswerter zu haben als anderswo. Beispielsweise verdient ein normaler Programmierer knapp 12 000 Pfund (etwa 34 000 Mark) im Jahr - in der Bundesrepublik ist ein solcher Spezialist mit zwei bis drei Jahren Berufserfahrung erst ab 55 000 bis 65 000 Mark im Jahr zu haben. Systemanalytiker, die bei uns erst ab 55 000 Mark einsteigen und mit 31 bis 35 Jahren einer Kienbaumstudie zufolge etwa 75 000 Mark mit nach Hause nehmen, arbeiten in Schottland noch für 16 468 Pfund, also für 46 000 Mark.

Finanzielle Anreize spielen gewichtige Rolle

Neben diesen Vorteilen spielen für die Investoren sicher auch die finanziellen Anreize wie Steuerfreiheit auf Zeit, günstige Kredite und Zuschüsse, die in solchen Gebieten normalen weise gegeben werden, eine nicht ungewichtige Rolle. Zwar bekommt man meistens keine klare Auskunft, wenn man nach den Kreditkonditionen oder der Höhe der Zuschüsse fragt, aber es scheint offensichtlich, daß diese "incentives" nicht so unwesentlich sind, wie die Unternehmensvertreter immer Glauben machen wollen. Schließlich verfügen auch andere europäische Regionen über die notwendige Infrastruktur.

Schottland jedenfalls bietet einiges für kostenbewußte Investoren. Nach Angaben der SDA konzentriert man sich vor allem auf drei Bereiche: die Reduktion des benötigten Startkapitals, das schnelle Erreichen von Profitabilität und Liquidität sowie Hilfen bei Ausbildungskosten. Um das zu erreichen, werden im Rahmen der regionalen Auswahlhilfe (Regional Selective Assistance, RSA) sogenannte "Ermessenssubventionen" vergeben, deren Höhe sich nach den Auswirkungen eines geplanten Projektes auf den Arbeitsmarkt des jeweiligen Gebietes richtet. Außerdem gibt es dann Beihilfen zu anfallenden Ausbildungskosten, wenn für den Erfolg des betreffenden Projektes Personalschulung erforderlich ist. Bis zu 80 Prozent der Ausgaben in diesem Bereich werden erstattet.

Festverzinsliche Darlehen von der EIB

Über die SDA und die New Towns - das sind Städte, die sich verstärkt um die Ansiedlung von High-Tech-Firmen bemühen - sind auch auf die Bedürfnisse der Investoren zugeschnittene Grundstücke zu Vorzugsraten zu haben.

Darüber hinaus stehen festverzinsliche Darlehen von der Europäischen Investitionsbank (EIB) für Vorhaben zu Verfügung, durch welche Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert werden. Ähnliche Darlehen vergibt die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) in den Gebieten Strathclyde, Lothian und Fife. Diese Kredite können bis zu 50 Prozent der Kapitalkosten decken.

Die Investitionsabteilung der SDA tätigt selbst in erster Linie Kapital- oder Risikoinvestitionen, allerdings sind nach eigenen Angaben auch Darlehen für Tochterfirmen ausländischer Unternehmen möglich.

Mit Hilfe dieser flankierenden Maßnahmen, einem internationalen Netz vor Vertretungen und einer offensiven Politik gelang es der SDA und der "Locate in Scotland", aus einer strukturschwachen Region zumindest in Ansätzen ein Gegengewicht zu dem sonst auf der britischen Insel herrschenden Nord-Süd-Gefälle aufzubauen.

Eine Region, die es geschafft hat

Nach Angaben der LIS planten ausländische Firmen, die zwischen 1981 und 1989 die Entscheidung für Schottland trafen, die Schaffung 70 000 neuer Arbeitsplätze. Umstritten - weil statistisch nicht erhoben - ist allerdings die Zahl der tatsächlich eingerichteten Arbeitsplätze. Schottland ist nur ein Beispiel für eines der vielen strukturschwachen Gebiete in Europa. Allerdings handelt es sich hier um eine Region, die es geschafft hat, das Interesse über seeischer Investoren zu wecken Viele andere Gebiete wie Spanien, Portugal oder Süditalier bemühen sich oft vergeblich um, die Gunst ausländischen Kapitals.