Beim zweiten Mal wird alles besser

11.04.2005
Von Syra Thiel
Sie sind das erste Mal gescheitert, haben die Lehren daraus gezogen und nehmen einen neuen Anlauf - Existenzgründer, die die zweite Chance nutzen, können auf einen unbezahlbaren Erfahrungsschatz aufbauen.

Als Verlierer habe ich mich nie gefühlt. Ich war mir sicher, dass ich es durchziehen kann." Auch nach dem Scheitern des ersten Anlaufs glaubte Jan Mirko Hüllemann, dass seine Idee, eine virtuelle Kasse für Internet-Händler aufzubauen, funktioniert. Nach Ansicht des 35-Jährigen waren Verzögerungen und interne Streitigkeiten beim ersten Versuch wesentlich auf äußere Umstände zurückzuführen. Im August 2003 hatte der studierte Volkswirt mit zwei Partnern die Heidelberger Payment gegründet. Die drei hinterlegten Stammkapital und warteten auf die Genehmigung der Behörden. Aufgrund des sensiblen Geschäftsbereiches zog sich die Prüfung durch die Ämter hin. Um aufs Tempo zu drücken wurde ein Anwalt eingeschaltet. Das kostete die Jungunternehmer zusätzlich 12000 Euro, brachte aber trotzdem erst Ende November 2003 die Genehmigung - zu einem Zeitpunkt, als aufgrund der schwindenden finanziellen Ressourcen die Spannungen zwischen den Gesellschaftern auf einem Höhepunkt angekommen waren. Im Januar 2004 trennten sich die Gründer. Hüllemann suchte sich zwei neue Partner und führte mit diesen ab Februar 2004 die Firma weiter, zu deren Kunden mittlerweile bekannte Namen zählen.

Die Erfahrungen mit seinen vorherigen Partnern haben Hüllemann geprägt. Bei seinem zweiten Anlauf achtete er mehr darauf, dass die Mitstreiter neben den fachlichen Qualifikationen auch menschlich zu ihm passten. "Die jetzige Mannschaft ist ein absoluter Traum. Wir ticken ähnlich und verfolgen die gleichen Ziele. Alle Teammitglieder haben langjährige Branchenerfahrung und denken unternehmerisch."

Aufgegeben hat auch Jörg Wurzer nie. Im Jahr 2000 verfolgte er mit mehreren Partnern eine Strategie, die ganz der Wachstumseuphorie jener Zeit entsprach. "Wir waren ein starkes Management und wollten schnell expandieren - auch über Fremdkapital." Das konnten sie nach dem Platzen der Blase am Neuen Markt Mitte 2000 nicht mehr. Ihr Team zerfiel. Das ausbleibende hohe Einkommen und die schwindenden Rücklagen ließen die Gesellschafter einen nach dem anderen aussteigen. Ein Jahr später wurde ihre Firma I-Office liquidiert.

Letztes Geld eingesetzt

Die anfängliche Enttäuschung - Wurzer hätte damals gern noch weitergemacht - verarbeitete der damals 33-Jährige, indem er neuen Mut in Kalifornien tankte. "In den USA wird das Scheitern einer Existenzgründung als eine Chance gesehen, bei null zu beginnen. Hier wird es leider als Ende begriffen", so Wurzers ernüchternde Bilanz. Emotional gestärkt kam er nach Deutschland zurück. Der promovierte Philosoph entschied sich nach einigen Wochen, einen neuen Anlauf zu wagen. Er kratzte sein letztes Geld zusammen und suchte über das Internet neue Partner für seine Idee. Bei Christian Magnus und Christian Trutz stimmte auch die Chemie, und die drei entwickelten zusammen den "IQser", eine Software, die sämtliche elektronischen Quellen wie E-Mails, Daten und Datenbanken auf dem Rechner des Benutzers nach Begriffen durchsucht.

Große Beträge versickerten

Der Vorteil für den Benutzer besteht darin, dass die Informationen in übersichtliche Zusammenhänge gestellt werden - eine Arbeitserleichterung, die insbesondere Forschungs- und Entwicklungsabteilungen schätzen. "Durch unser damaliges Scheitern habe ich verinnerlicht, dass der Wert eines Unternehmens langfristig durch die Hochwertigkeit des Produkts oder der Dienstleistung bestimmt wird. Darum setzen wir alles daran, für den IQser Alleinstellungsmerkmale zu generieren." Das bedeutete eine Forschungs- und Entwicklungsphase von über zwei Jahren. In dieser Zeit hielten sich die Gründer finanziell vor allem durch ihre Nebenjobs über Wasser. Seit Oktober 2004 leistet sich IQser einen operativen Vertrieb und wächst beständig.

Zweitstarter steigern den Umsatz schneller und schaffen mehr Arbeitsplätze als Erstgründer - zu diesem Ergebnis kam eine Untersuchung der Boston Consulting Group. Der Befund dieser internationalen Studie stützt sich auf die Angaben von 73 besonders schnell wachsenden Unternehmen aus 18 europäischen Staaten, von denen ein Drittel von Wiederholungsgründern geführt wird. Auch die Studie "Restart - Eine zweite Chance für gescheiterte Unternehmer?" des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn bricht eine Lanze für ehemals gescheiterte Unternehmer. Deren Erfolgschancen entsprächen denen von Erstgründern. Die aus dem Scheitern erwachsenen Nachteile wie etwa verlorenes Geld gleichen Zweitstarter nach Auffassung der Bonner zumindest teilweise durch ihr Erfahrungswissen aus. Wiederholungsgründer erzielen ein signifikant höheres Einkommen als Erstgründer. Erst ab fünf oder mehr Gründungsversuchen schlägt dieser Befund in sein Gegenteil um.

Auch Reinhard Munzel kann erst von den Einnahmen aus seiner zweiten Gründung leben. Der Familienvater vermag damit mittlerweile sogar seine Kredite für das erste und zweite Geschäft zu tilgen. "Mit der Gründung eines Internet-Cafés", erinnert sich der Architekt an den ersten Versuch, "hatten wir uns als Mitzwanziger einen Traum erfüllt. Wir spielten alle gern an Computern und dachten 1998, dass so ein Lokal eine tolle Geschäftsidee ist." Da sich jedoch keiner in der persönlichen Verantwortung sah, wurden wichtige Entscheidungen eher beiläufig getroffen, große Beträge versickerten und wurden für Dinge ausgegeben, die keinen Kunden interessierten. Als sich die Konkurrenz 2001 vervielfachte und die Preise verfielen, gaben die sieben Gründer auf. Der damals 28-jährige Munzel traf diese Entscheidung mit gemischten Gefühlen: "Einerseits war ich traurig. Ich hatte viel Herzblut investiert. Auf der anderen Seite war ich erleichtert, dass die Geldvernichtung endlich aufhörte."

Kosten immer im Blick

Im Mai 2000 gründete er mit zwei Ex-Kommilitonen die Firma Archimedix. Da war er zwar noch im Internet-Café engagiert, wusste aber bereits, dass er beruflich in eine andere Richtung gehen würde. Als Experten für digitale Rekonstruktionen haben sich Munzel und seine Partner Marc Möller und Philipp Putschbach darauf spezialisiert, Wissen anschaulich zu vermitteln. Sie entwickeln unter anderem Terminalpräsentationen für Museen wie die für die Stadt Hanau zur römischen Geschichte oder auch 3-D-Präsentationen für Unternehmen wie die Allianz Lebensversicherungs AG. Munzel verliert die Kosten nicht mehr aus dem Blick. "Mit dem Internet-Cafe haben wir viel fremdes Geld verbrannt. Jetzt wollen wir allein über unsere Aufträge wachsen."

Alte Unternehmertugenden

Eine Rückbesinnung auf traditionelle unternehmerische Werte beobachtet auch Claudia Erben, Geschäftsführerin des Forums Kiedrich, eines bundesweiten Gründer- und Mentorennetzwerks, bei vielen Zweitgründern. Wiederholungsgründer gäben das Geld nicht nur vorsichtiger aus, sie kontrollierten auch konsequent die Kosten. Neben der geringeren Kapitalausstattung, die überwiegend aus privaten Darlehen stamme, habe das auch mit den gewonnenen Erfahrungen zu tun. "Wer selbständig war, weiß auch, wenn er damit gescheitert ist, worauf es ankommt." Für die erfahrene Netzwerkerin ist es ein Glück, dass "ein Großteil der Gründer" - das Institut für Mittelstandsforschung Bonn geht von 20 bis 30 Prozent aus - es zum zweiten Mal wagen. Sonst hätte Deutschland noch mehr Arbeitslose zu beklagen. Erben wünscht sich eine "Kultur der zweiten Chance". "In Deutschland gründen 49,3 Prozent der Nichtselbständigen deshalb keinen eigenen Laden, weil sie Angst davor haben, zu scheitern. Wenn wir das Scheitern als normales Risiko betrachten und nicht als persönliches Versagen, dann werden wir zukünftig Wiederholer auch als erfahrene Unternehmer wahrnehmen und sie dementsprechend behandeln." (hk)