Turbotechniken aus den Forschungslabors

Beim Mobilfunk von morgen ist UMTS Schnee von gestern

14.07.2000
ULM (jha) - Europa ist Spitze - zumindest was die mobile Kommunikation betrifft. Damit das so bleibt, arbeiten hiesige Forscher an drahtlosen Übertragungsverfahren, die die künftige dritten Mobilfunkgeneration hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit in den Schatten stellen.

Bei der Versteigerung der UMTS-Lizenzen werden einige Carrier Milliardensummen für eine Technik zahlen, die nach Ansicht der Forscher schon bald an ihre Leistungsgrenzen stößt: "Man wird mit den drahtlosen Datenraten eines UMTS-Systems nicht zufrieden sein", orakelt etwa Bernhard Walke, Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationsnetze, Elektrotechnik und Informationstechnik an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen. Das Problem der dritten und neuesten Mobilfunkgeneration: Nur im stationären Betrieb bietet sie eine maximale Übertragungsrate von 2 Mbit/s, bewegt sich das Endgerät im Auto oder im Zug allerdings sehr schnell, reduziert sich dieser Wert auf 128 Kbit/s - also gerademal zweifache ISDN-Geschwindigkeit.

Beide Werte gelten zudem nur für einen Mobilfunkteilnehmer pro UMTS-Ausleuchtzellen. Funken jedoch mehrere Anwender gleichzeitig (jede UMTS-Zelle unterstützt bis zu 45 Endgeräte), müssen sie sich die verfügbare Bandbreite teilen. Skeptiker frotzeln bereits, die mobile Multimedia-Welt drohe zu einer drahtlosen World-Wide-Wait-Variante zu verkommen.

Etwas verklausuliert beschreibt Werner Wiesbeck vom Institut für Höchstfrequenztechnik an der Universität Karlsruhe das Dilemma des UMTS-Standards: "GSM ist inzwischen extrem leistungsfähig geworden. Der Entwicklungssprung durch die nächste Mobilfunkgeneration fällt daher sehr bescheiden aus. Als die UMTS-Väter die Technik vor einigen Jahren entwarfen, waren die Leistungsunterschiede dagegen sehr viel gravierender."

Im Klartext heißt das: Die bei der UMTS-Auktion erfolgreichen Anbieter erkaufen sich für Milliardensummen nur einen geringen Leistungszuwachs. Das gilt zwar nur für die Datenübertragungsraten, doch gerade auf dieses Feature liegt das Hauptaugenmerk bei der Errichtung von UMTS-Netzen, denn GSM-Netze decken bereits die Sprachkommunikation ab. Da kann sich fast der Carrier glücklich schätzen, der bei der Auktion leer ausgeht - zumal die Forscher auch für die Zukurzgekommenen eine Lösung aus dem Ärmel zaubern können, nämlich "Hiperlan/2" (siehe Kasten).

Dazu präsentierte RWTH-Professor Walke auf dem Symposium "Mobilkommunikation von morgen", auf dem die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojekte vorgestellt wurden, ein etwas exotisch anmutendes Verfahren (siehe nebenstehende Grafik). Es sieht die Errichtung eines drahtlosen Datenübertragungssystems auf Hiperlan/2-Basis vor. Da diese Technik für lokale Installationen konzipiert ist und Hiperlan/2 daher lediglich eine Reichweite von 200 Metern umfasst, ist eine flächendeckende Versorgung nahezu unmöglich.

Die braucht das Kommunikationsmodell von Walke allerdings auch nicht. Der Uni-Professor hat eine alternative Lösung erdacht.

So genannte Mediapoints werden entlang von Verkehrswegen und an vielbesuchten Orten installiert. Im Falle eines Autobahnszenarios überschwemmt diese Basisstation ein Auto mit Hiperlan/2-Terminal regelrecht mit einer Datenflut, sobald es eine Ausleuchtzone passiert. Walke schätzt, dass ein Mediapoint innerhalb kürzester Zeit über 100 Megabyte an Informationen in das mobile Endgeräte schwemmen kann. Der umgekehrte Weg des Datenstroms ist genauso möglich.

Mit einem Trick möchte Walke die Reichweite von Hiperlan/2-Installationen zudem ein wenig ausdehnen. Mobile Endgeräte, die sich am Rande einer Ausleuchtzone befinden, könnten als Relaisstation Hiperlan/2-Terminals außerhalb der Reichweite eines Mediapoints anbinden. Von einem Hiperlan/2-Versorgungspunkt weit entfernte Handys würden in diesem Szenario Kontakt zum nächstgelegenen Hiperlan/2-Endgerät aufnehmen, das wiederum das nächstgelegene Terminal kontaktiert. Diese Reihe wird fortgesetzt, bis ein angesprochenes Endgerät sich im Versorgungsbereich eines Mediapoint befindet. Unendlich viele dieser Hops sind unrealistisch, Walke schätzt, dass zwei bis drei Sprünge von Endgerät zu Endgerät möglich sind.

Der Forscher der Universität Karlsruhe ist sich sicher, dass all diejenigen "Hiperlan/2-Installationen aufbauen, die keine UMTS-Lizenz erhalten haben. Diese Carrier haben das Geld, um derartige Netze schnell zu realisieren." Während die UMTS-Mobilfunker schon vor dem Aufbau ihrer Netze hohe Summen für die jeweilige Lizenz zahlen müssen, funkt Hiperlan im lizenzfreien Frequenzspektrum oberhalb von fünf Gigahertz. Und als besonderes Bonbon verspricht Walke den Betreibern noch eine Qualität an Dienstegüten (Durchsatzraten, Verzögerungszeiten, Bitfehlerraten und Unterbrechungswahrscheinlichkeiten), die ihresgleichen sucht.

Die Technik, die Walke mit Vehemenz vertritt, ist zum Großteil aus dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 40 Millionen Mark geförderten Forschungsprojekts "ATM Mobil" entstanden. Die Arbeiten wurden nun zum Abschluss gebracht. Aus der Förderung der Mobilfunkentwicklung zog sich das Ministerium damit allerdings nicht zurück, konzentriert sich nun aber auf ein anderes Vorhaben. Mit rund 32 Millionen Mark steht die Behörde von Bildungsministerin Edelgard Bulmahn für das Forschungsprojekt "UMTS Plus" im Wort. Die Techniker sind damit aufgerufen, die Schwächen der dritten Mobilfunkgeneration (wie etwa die für Übertragung von MultimediaInhalten schwache Bandbreite) einzudämmen. Insbesondere wollen die Protagonisten die Möglichkeiten zu einem breitbandigen Downlink austarieren. "Die UMTS-Standardisierung ist fünf bis sechs Jahre hinter der Realität zurück", erläutert Professor Wiesbeck von der Universität Karlsruhe das Problem. Sinn und Zweck von UMTS Plus ist daher, die neue Mobilfunkgeneration den aktuellen Bedürfnissen anzupassen.

UMTS Plus ist ein Verbundvorhaben, das sich in drei Forschungsschwerpunkte untergliedert. Das Teilvorhaben "Software Radio Based Access System" (Sorbas) hat zum Ziel, Mobilfunkendgeräte und -basisstationen möglichst weitgehend in Software zu implementieren. Die Idealvorstellung, außer dem Hochfrequenz-Teil sämtliche Komponenten in Software zu implementieren, dürfte kaum zu verwirklichen sein. Dennoch haben die Ingenieure den Ehrgeiz, den Übergang von Hard- in Software möglichst nah an die Hochfrequenzhardware zu verschieben, denn sie haben einige sich daraus ergebende Vorteile im Auge.

Multimedia im AutoSo ließen sich zum einen Entwicklungszyklen für Mobilfunksysteme erheblich reduzieren. Updates zur Fehlerkorrektur und bei geänderten Standards könnten schneller eingespielt werden. Schließlich wäre der Betrieb von Standard- und Carrier-übergreifenden Basisstationen und digitale Frontends möglich, um die Vorteile und Kapazitäten von Mobilfunkverfahren wie Hiperlan/2, GSM und UMTS zu kombinieren.

Die zweite Arbeitsgruppe firmiert unter der Bezeichnung "Interoperabilität für die Videokommunikation in verteilten Netzen" (Invinet). Sie soll die Basis für Multimedia-Dienste in mobilen Endgeräten schaffen. Ein Beispiel dafür ist ein Informationssystem, das Bilder über das aktuelle Verkehrsaufkommen an neuralgischen Straßenknotenpunkten überträgt. Pendler könnten sich während oder vor der Fahrt zu ihrer Arbeitsstelle über mögliche Staus informieren und diese weiträumig umfahren.

Für die Darstellung von Videoinformationen auf einem UMTS-Endgerät sind die derzeitigen Übertragungsraten allerdings nach Ansicht der Forscher zu gering. Mechanismen, mit denen sich die Übertragung an die vorhandenen Netzressourcen anpasst, sind in der UMTS-Spezifikation nicht vorgesehen. Außerdem existiert kein ausreichender Fehlerschutz bei der Videokommunikation über Funkstrecken, um etwa Dienstegüten zu garantieren. Das Entwicklungsvorhaben der Arbeitsgruppe konzentriert sich darauf, diese Schwachstellen auszuräumen. Dabei setzten sie auf MPEG 4, einen Kompressionstandard für Videoinformationen.

Invinet bereitet damit asymmetrische Dienste vor, bei denen die Kunden schmalbandige Anfragen initiieren, die einen breitbandigen Informationsfluss zum Endgerät auslösen. Sie muss sich dabei in den vom UMTS-Standard gesetzten Bandbreitengrenzen bewegen. Diese Einschränkungen versucht dagegen die Arbeitgruppe namens "Comcar" (Communication and Mobility by Cellular Advanced Radio) zu umschiffen. Sie soll Lösungen entwickeln, um Mobilfunkteilnehmer in Fahrzeugen mit breitbandigen Multimedia- und Telematikdiensten zu versorgen.

Die Forschungsgruppe wagt sich mit ihrem Vorhaben auf ein Terrain mit politischem Zündstoff. Comcar entwickelt Kommunikationstechniken, die den Frequenzbereich zwischen 470 und 862 Megahertz nutzen sollen. Dieses Funkspektrum ist allerdings von den Rundfunkanstalten für die terrestrische Übertragung von Fernsehprogrammen belegt. Nun hat sich ein Streit zwischen UMTS-Plus-Verfechtern und dem Institut für Rundfunktechnik (IRT), der Forschungs- und Entwicklungseinrichtung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, an der Frage entzündet, ob dieses Frequenzband ausgelastet ist oder ob dort weitere Broadcast-Dienste gesendet werden können.

Keine der beiden Seiten streitet ab, dass die Bedeutung des terrestrischen Rundfunks schwindet. Lediglich 13 Prozent der Bevölkerung empfangen heute Fernsehprogramme über eine herkömmliche Hausantenne, der Rest lässt sich die Bilder via Satellit und Kabelnetz schicken. RWTH-Professor Wiesbeck ist sich daher sicher: "Die Rundfunkanstalten hätten genug Kapazitäten zur Verfügung, um etwas abzugeben. Wir wollen ja nicht das gesamte Frequenzband, sondern nur einige wenige 100 Megahertz." Sein unkonventioneller Vorschlag: Man schenkt den 13 Prozent der Haushalte mit terrestrischer Antenne einen Satellitenempfänger, und schon wären die Frequenzen frei. "Finanziell ist das kein Problem", behauptet Wiesbeck.

Streit um RundfunkfrequenzenBissig kommentiert Henning Wilkens, Sprecher der Geschäftsleitung des IRT in München, die Überlegungen der Gegenseite: "Die UMTS-Kollegen schwelgen in ihren Business-Träumen und erwarten einen exponentiellen Anstieg ihres Geschäfts. Immer wenn neue Dienste-Ideen entstehen, die Frequenzen benötigen, wird neidisch auf den Rundfunk geschaut." Doch die betreffenden Frequenzbänder sind weltweit einheitlich für die terrestrische Aussendung vorgesehen, den Überlegungen der Comcar-Arbeitsgruppe wird kein Erfolg beschieden sein, "weil dies international überhaupt nicht konsensfähig ist", so Wilkens.

Doch im Detail sind Annährungsversuche zwischen den Kontrahenten zu erkennen. Hoffnung besteht, weil die Rundfunkanstalten nur Broadcast-Dienste übernehmen dürfen und die Comcar-Verfechter ihre Services wie Verkehrsinformationssysteme auf diese Anforderung zugeschnitten haben. "Der Download von allgemein verfügbaren Informationen ist eine Aufgabe, die dem Rundfunk zufallen könnte, weil dieser Dienst keine individuelle Kommunikation darstellt", weicht Wiesbeck die Fronten auf.

Mit dieser Argumentation kann sich Wilkens zwar nicht anfreunden, anderswo hält er allerdings Kompromisse für denkbar. Wenn die Sender von der analogen auf die digitale Übertragung umstellen, könnten bestimmte Teile des Spektrum frei werden. Die ließen sich für UMTS-Zellen zur Verfügung stellen. Eine flächendeckende Bereitstellung von Bändern schließt laut Wilkens jedoch aus. Zudem werden die künftigen Besitzer von UMTS-Lizenzen auf derartige Lösungen zur Leistungssteigerung ihrer Installationen warten müssen, denn der letzte analoge Sender stellt frühestens im Jahr 2010 seinen Betrieb ein.

Der Hiperlan/2-StandardHiperlan/2 ist ein Standard der Arbeitsgruppe Broadband Radio Access Networks innerhalb des European Telecommunications Standards Institute (Etsi/Bran). Zur Übertragung wird das Frequenzband oberhalb von fünf Gigahertz verwendet, die Bandbreite beträgt 25 Mbit/s, ist also deutlich höher als UMTS-Transferraten. Hiperlan/2 wird von Etsi/Bran als Wireless ATM bezeichnet und hat eine Reichweite von bis zu 200 Metern.

Das Verfahren ist vornehmlich für lokale Installationen vorgesehen. Um eine durchgehende drahtlose ATM-Übertragung zu gewährleisten, haben sich die Etsi/Bran-Verantwortlichen auf zwei weitere Standards geeinigt. "Hiperaccess" ist eine drahtlose ATM- und IP-Variante für den Local Loop und überträgt Daten mit ebenfalls 25 Mbit/s. Dabei kann Hiperaccess eine Entfernung von bis zu fünf Kilometern überbrücken. Gesendet wird auch hier im Fünf-Gigahertz-Bereich.

Die zweite komplementäre Technik ist "Hiperlink". Sie lässt sich salopp als drahtlose Backbone-Technik innerhalb einer Hiperlan-Installation beschreiben.Hiperlink stellt das Bindeglied zwischen den lokalen Hiperlan/2-Installationen und der Local-Loop-Technik Hiperaccess dar. Die Datenrate entspricht mit 155 Mbit/s gängigen drahtgebundenen Backbone-Verfahren. Dabei lassen sich Entfernungen von bis zu 150 Metern überbrücken. Das verwendete Frequenzband liegt im 17-Gigahertz-Bereich und kann wie das Fünf-Gigahertz-Spektrum lizenzfrei betrieben werden.

Sehr ruhig geworden ist es um den ältesten Standard der Etsi-Bran-Familie. "Hiperlan/1" wurde als drahtlose Ethernet-Variante entworfen. Die Transferrate wurde auf 20 Mbit/s ausgelegt, die sich über eine Distanz von bis zu 50 Metern übertragen lässt. Der Standard ist bereits vor einigen Jahren von der europäischen Standardorganisation ratifiziert worden, bis heute gibt es aber keine Produkte. Das liegt unter anderem auch daran, dass mit dem IEEE-Standard 802.11 eine konkurrierende Norm existiert. Anders als Etsi/Bran mit Hiperlan/1 arbeitet das IEEE an der Ausweitung seines Elaborats etwa um die Infrarot-Übertragung weiter.

Abb1:UMTS-Alternative

Eine Hiperlan/2-installation strebt keine flächendeckende Versorgung an. Passiert etwa ein Fahrzeug eine Ausleuchtzone, empfängt es derart viele Informationen, dass das Endgerät mit der Verarbeitung eine Weile beschäftigt ist. Quelle: Walke/RWTH Aachen

Abb2:Das Comcar-Konzept

Heikles Unterfangen: Die Arbeitsgruppe Comcar möchte breitbandige Informationsdienste über die Frequenzen der Rundfunkanstalten senden. Diese haben eigenen Angaben zufolge aber keine Kapazitäten zu vergeben. Quelle: Ericsson Research