Bei MAP ist Licht am Ende des Tunnels sichtbar MMS auf Ethernet installiert:\ Mehr als nur eine Migrationsstrategie

07.04.1989

Die Euphorie und die zwangsläufig folgende Ernüchterung in Sachen MAP hat den Blick dafür verstellt, daß inzwischen erste Produkte verfügbar sind. Ulrike Häßler von der Aachener ComConsult GmbH skizziert die bundesdeutsche MAP-Marktsituation, geht der Frage nach der Funktionalität der ersten Installationen nach und zeigt mögliche Migrationsstrategien auf.

Die Einführung des Manufacturing Automation Protocols hat sich trotz aller Beführworter vor allem in Deutschland in den letzten Jahren als eine zähe Angelegenheit erwiesen. Die Gründe hierfür sind vielfältig:

- MAP-Produkte haben auf sich warten lassen. Die Hersteller haben immer wieder auf mangelnde Nachfrage von potentiellen Benutzern hingewiesen.

- Die potentiellen Anwender haben auf die mangelhafte Produktsituation verwiesen und auf die nicht ausreichende Stabilität der Standards für Industriekommunikation. (Bild 1. Situation auf dem MAP-Sektor)

Auf diese Weise hat sich vieles verzögert: Standards können nur durch die Anregungen von potentiellen Benutzern und durch aktive Mitarbeit von Herstellern und Benutzern den Anforderungen gerecht werden.

Durch den mangelnden Druck durch Anwender haben Steuerungshersteller keine großen Anstrengungen gemacht, vor dem Einsetzen von konkreten Anfragen mit niedergeschriebenen Verkaufszahlen eine Produktentwicklung zu starten.

Mit dem Verweis auf die schlechte Angebotssituation und mangelhafte

Stabilität der Standards wiederum haben Anwender bisher kaum auch nur Versuchseinrichtungen installiert.

Inzwischen sind sowohl der OSI-Protokoll-Stack als auch die Manufacturing Message Specification (MMS) stabil. Damit haben sich viele Anbieter sicher genug gefühlt, mit neuen oder verbesserten MAP-Produkten auf den Markt zu kommen.

Hersteller von Automatisierungsgeräten forcieren die Entwicklung von MAP-Schnittstellen, und auch die Anwender beginnen jetzt mit der Installation von Testzellen.

Dieser Problemkreis war es aber nicht alleine, der die Entwicklung im MAP-Sektor verzögert hat. Andere Trends spielen hier ebenfalls eine große Rolle:

- Der einzige Hersteller von Automatisierungsgeräten mit einer Produktlinie für die Industriekommunikation, Siemens, hat seinen eigenen Standard: Sinec H1 mit dem Anwendungsprotokoll Sinec AP.

- Das Ethernet hat sich in weiten Bereichen der Industriekommunikation durchgesetzt. Breitbandinstallationen sind in Deutschland selten. Es ist auch nicht abzusehen, daß sich dieser Trend ändert. Zwar macht es für das Applikationsprotokoll MMS keinen Unterschied, ob es auf einem Ethernet oder auf einer Breitband/ Carrierbandinstallation benutzt wird, aber die MAP-Spezifikation klammert diesen Ansatz bis heute aus.

- Breitbandinstallationen sind im Vergleich zum Ethernet teuer und zudem technisch aufwendig bei der Installation.

- Integrierte Lösungen für Kommunikationsschnittstellen mit dem vollen OSI-Protokollstack werden für viele Geräte zu teuer und zu aufwendig im Speicherplatzbedarf. Hier müssen Mini-MAP-Lösungen mit stark eingeschränkter Funktionalität auf der Anwendungsebene als preisgünstigere Alternative angeboten werden.

Verfügbare Produkte heute: MAP-Interfaces

Der Anwender kann unter einer Reihe von Hardware- und Software-Produkten auswählen und selber eine Anwendung entwickeln, um damit ein komplettes, MAP-fähiges System aufzubauen und die nötige Erfahrung in der Installation und Anwendungsprogrammierung erarbeiten. (Bild 2: Hardware- und Software-Architektur)

MAP-Controllerboards und -Modems bieten die Funktionalität der OSI-Ebenen 1 bis 7: Je nach Modem ermöglichen sie den Zugriff auf Breitband- oder Carrierbandinstallationen, und die OSI-Software bis zur Anwendungsebene läuft auf dem Controller auf einem, eigenen Prozessor.

Für den PC-Bus gibt es einen MAP-3.0-Controller von Concord mit dem vollen OSI-Protokollstack. Concord ist sehr früh mit diesem Produkt auf den Markt gegangen, so daß bereits eine große Anzahl von Benutzern intensive Erfahrungen im Umgang mit MAP-Controller sammeln konnten.

In diesem Quartal kommt mit dem MAP-3.0-Controller von Computro 1 ein weiteres Interface auf den deutschen Markt.

Die MAP-Boards von Motorola und Computrol sind bauidentisch und aus einer gemeinsamen Entwicklung abgeleitet. Aber während sich Motorola auf VME-Bus-Systeme konzentriert, wird Computrol die Interfaces zu anderen Bus-Systemen anbieten.

Die Firma INI (Ungermann Bass), die noch MAP-2.1-Produkte angeboten hat, hat sich nach der Übernahme durch Tandem Computers Inc. aus dem MAP-Markt zurückgezogen. (Bild 3: Hardware-Produkte)

Bisher waren die nötigen Modems für Breitband- und Carrierbandinterfaces als Beistellbox lieferbar. Vom zweiten Quartal '89 an werden auch die Modems auf einem Board angeboten. Eine Chip-Lösung für das Carrierband wird es von Siemens geben. Die Entwicklung des Breitband-Modems als On-Board-Chip bereitet noch technische Schwierigkeiten. Die Kosten für MAP-Carrierband-Interfaces liegen zur Zeit zwischen 6000 bis 14 000 Mark je nach Bus-System, für Breitbandinstallationen erhöhen sich diese Kosten um etwa 1 000 Mark.

Unter den Computerherstellern hat sich Hewlett-Packard durch die Ankündigung einer MAP-3.0-Anbindung mit MMS auf der HP 9000 noch in diesem Jahr für MAP ausgesprochen.

Auf den VAX-Systemen sind MAP-3.0-Anwendungen durch den Einsatz von Third-Party-Produkten möglich. In diesem Sinne gibt es jetzt auch eine MAP 3.0-Lösung für die Micro-VAX von AEG-Computrol: das Q-Bus-Interface und MMS-Software unter VMS.

Verfügbare Produkte heute: MMS-Software

Der Markt für MMS-Software war bisher in der Hand der amerikanischen Firma Sisco. Sisco hat bereits 1987 für die MMS Draft 6-Version das Software-Paket MMS = EASE verkaufen können und so in der Entwicklung von MMS-Software einen großen Vorsprung erreicht. Zwar haben auf Veranstaltungen wie dem Enterprise Network Event (ENE) in Baltimore im Sommer '88 und auf der Systec '88 in München auch andere Anbieter MMS-Lösungen vorgestellt, aber zumeist hat hinter diesen Anwendungen Sisco-Software gestanden.

Seit 1989 hat auch Sisco Konkurrenz bekommen: Zum einem wird von ComConsult das Softwarepaket MSP von der amerikanischen Firma Commsoft angeboten, zum anderen wird auch Retix als bekannter Anbieter von OSI-Software in der zweiten Jahreshälfte 1989 sein MMS-Programmpaket anbieten.

Die Programmpakete MMS-Ease von Sisco und MSP-1 von Commsoft sind für MS-DOS und VMS lieferbar, in den nächsten Monaten dann auch für Unix-Systeme, und arbeiten mit den zuvor genannten MAP-Boards.

MMS-Ease und MSP-1 sind in "C" geschrieben und auch das Retix-Produkt wird eine "C"-Lösung sein. Die Kosten sowohl für MMS-Ease-Lizenzen als auch für MSP-Lizenzen liegen bei etwa 2000 Mark. Von allen Anbietern ist der Quelltext für Portierungen verfügbar.

Ohne die Kosten für die nötige Anwendung liegt der Preis für eine MAP-Carrierband- oder Breitband-Schnittstelle also bei 8000 Mark für PC-Bus-Systeme und bis zu 16 000 Mark für andere Bus-Systeme, inklusive den Kosten für die nötige MMS-Lizenz. Für eine erste Laboranwendung muß der Benutzer zwei bis vier Mann-Jahre an Einarbeitung und Software-Entwicklung rechnen. (Bild 4: Kosten für PC-Anwendungen)

Anwenderaktivitäten und Laborversuche

Seit Anfang '89 beginnen die ersten großen Anwender mit der Know-how-Sammlung und der Installation der ersten Laborversuche. Bei den meisten Anwendern besteht der Laborversuch aus einer PC-Anwendung, bei der PCs mit MAP-Inteface und MMS-Software in einer Carrierbandinstallation benutzt werden. Ziel der Laborversuche ist es, die ersten Erfahrungen in der Anwendungsprogrammierung mit MMS-Programmpaketen zu gewinnen und im eigenen Hause die verfügbaren Produkte zu testen.

Die meisten Fertigungszellen sind für 1990 geplant, in den Fertigungszellen - zumeist auch auf Carrierbandbasis - soll zum einen Erfahrung in der Produktion gewonnen werden, auf der anderen Seite aber auch die Akzeptanz von seiten der Produktion ausgelotet werden.

Da nicht damit zu rechnen ist, daß vor 1990 integrierte Lösungen für Steuerungen auf dem Markt sein werden, sind für die meisten Fertigungszellen Vorschaltrechner geplant. (Bild 5: MAP 1989 und 1990)

Drei Einsatzgebiete haben sich hier herauskristallisiert:

- Anwendungen mit speicherprogrammierbaren Steuerungen:

Im SPS-Bereich ist eine sehr eingeschränkte MMS-Funktionalität geplant, die sich im wesentlichen auf das Lesen und Schreiben von Variablenwerten konzentriert.

- Anwendungen mit numerischen Steuerungen mit DNC-Fähigkeit:

Im CNC-Sektor wird eine umfassendere Funktionalität gefordert. Laden und Entladen von NC-Programmen und -Dateien, Lesen und Schreiben von Variablenwerten wie etwa von Tabellen und Statusmeldungen.

- Anwendungen in der Prozeßleittechnik:

Ebenso wie im SPS-Bereich ist hier vor allem das Lesen und Schreiben von Variablenwerten Ziel der ersten Anwendungen.

Vier mögliche Migrationsstrategien

Wenn sich auch der von der MAP propagierte Breitbandeinsatz in Deutschland nicht so einfach übernehmen läßt, so wird doch MMS als der wesentliche Gewinn aus der MAP-Spezifikation angesehen.

Eine Reihe von Strategien für den Übergang von herstellerspezifischen

Kommunikationsanwendungen zu MMS-Anwendungen liegen vor:

- Vorschaltlösungen mit Anbindung an herstellerspezifische Anwendungsprotokolle

Vorschaltlösungen auf PC-Basis sind ein geeignetes Mittel, Automatisierungsgeräte mit DNC-Fähigkeit mit einer einheitlichen Kommunikationsschnittstelle zu versehen. Vorschaltungen sind Gateways, die auf der einen Seite ein Interface zum MAP-Netz haben und auf der anderen Seite das herstellerspezifische Anwendungsprotokoll unterstützen. Über Vorschaltungen lassen sich mehrere Geräte gleichzeitig anschließen, so daß die Schnittstellenkosten so reduziert werden.

- MMS über TCP/EP

TCP/IP ist ein weitverbreitetes Kommunikationsprotokoll, so daß die Anwendung von MMS über TCP/ IP sehr nahe liegt. Die OSI-Ebenen zwischen Transport und MMS werden zur Zeit, da noch keine abgeschlossenen Companion-Standards vorliegen, nicht benötigt. MMS-PDUs können direkt auf dem Transport-Layer aufgesetzt werden. Der Aufwand bei TCP/IP-Anwendungen liegt in einem Adressierungsverfahren, das starke Unterschiede zur

Adressierung in OSI aufweist und das geeignet umgesetzt werden muß.

Um zu garantieren, daß PDUs sofort vom TCP/IP an das Netzwerk geleitet werden, muß die "Push"-Option des TCP/IP-Protokolls benutzt werden. Im normalen Sendemodus würde TCP/IP sonst mit der Weiterleitung der PDUs warten, bis sein Sendepuffer voll ist.

Diese Lösung kann so lange benutzt werden, bis die Anwendung von Companion-Standards nötig wird. Mit der Einbindung von Companion-Standards wird die Umsetzung von Syntax auf dem Presentation Layer erforderlich.

- MMS über Ethernet

Der Benutzung von MMS über Ethernet stehen keine technischen Probleme gegenüber. Allerdings gibt es noch keine Ethernet-Controller mit dem vollen OSI-Protokollstack, so daß entweder derselbe Ansatz gewählt werden muß wie beim TCP-Ansatz, nämlich MMS direkt auf den Transport-Layer zu plazieren, oder die Ebenen zwischen Transport und MMS müßten als Softwarelösung eingebunden werden. Ethernet-Schnittstellen mit den OSI-Protokollen bis Transport werden in Zukunft auch in

einer breiteren Auswahl zur Verfügung stehen, da die Sinec H1-Schnittstelle für viele Hersteller und Benutzer richtungsweisend ist.

MMS über Ethernet ist mit Sicherheit nicht nur eine Migrationsstrategie, sondern wird eine weitverbreitete Lösung in der Fertigungsindustrie.

- Übergang von Sinec AP zu MMS

Der Übergang von Sinec AP zu MMS ist die von Siemens geplante Migrationsstrategie. Während das Sinec-AP-Protokoll in seiner jetzigen Ausbaustufe nur einen Datentransfer und das Lesen und Schreiben von Variablen bietet, werden die technologischen Funktionen mit den nächsten Ausbaustufen immer mehr an MMS-Funktionalität anbieten.