Internationale Vernetzung der Verwaltungen ist ein Muss

Behoerden und Aemter brauchen modernste Informationssysteme

08.01.1993

Die Verwirklichung der Einheit Europas ist ohne moderne Verwaltungsstrukturen nicht denkbar. Die Zusammenarbeit von Behoerden innerhalb der EG auf Gebieten wie Steuergesetzgebung, EG-Marktordnungsrecht und Aussenwirtschaftskontrolle begleitet die zunehmende Internationalisierung der Wirtschaftsbeziehungen. Dem Einsatz leistungsfaehiger Informationssysteme und deren Vernetzung ueber unterschiedliche Grenzen hinweg kommt hierbei eine Schluesselrolle zu.

Die dabei von der oeffentlichen Verwaltung zu bewaeltigenden Aufgaben sind sehr komplex. Der europaeische Binnenmark wird 343 Millionen EG-Buerger umfassen. In den Organen der Europaeischen Gemeinschaft (Kommission, Ministerrat, Parlament) sind rund 23 000 Personen taetig. Zwischen den politischen und administrativen Organisationen bestehen vielschichtige Beziehungen. Eine Flut von Richtlinien, Mitteilungen und Empfehlungen ist von den Verwaltungsbeamten zu registrieren und umzusetzen. Fast alle Verwaltungsbereiche sind auf zeitgemaessen Einsatz von Informationstechnik angewiesen, um einigermassen buergernah sein zu koennen.

Informationsaustausch ist unverzichtbar

Schon die deutsche Vereinigung hat gezeigt, welche Bedeutung der Aufbau effizienter oeffentlicher Verwaltungen fuer den wirtschaftlichen Aufschwung hat. Erst wenn Verwaltungen ausreichende Informationen zur Situation der Wirtschaft in strukturschwachen Regionen zur Verfuegung haben, kann eine gezielte Wirtschaftsfoerderung in die Wege geleitet werden, um potente Investoren fuer diese Gebiete zu gewinnen. Aehnliches gilt fuer die Grundbuch- und Liegenschaftsaemter sowie die mit gewerberechtlichen Fragen befassten Verwaltungen.

Die EG-Behoerden sind darauf angewiesen, die Kenntnisse der nationalen Verwaltungen zu buendeln. Informationen von Verwaltungsbehoerden eines Mitgliedsstaates brauchen die Verwaltungsbehoerden der uebrigen EG-Mitgliedslaender bei ihrer Arbeit schon jetzt dringend.

Nationale Verwaltungsbehoerden sehen sich immer haeufiger mit Fragestellungen auf EG-Ebenen konfrontiert, zu deren Beantwortung Wissen aus anderen Mitgliedslaendern zur Verfuegung stehen muss. So koennte ein zwischen den verschiedenen nationalen Verwaltungen bestehendes Informationssystem Daten ueber Unternehmen bereithalten, die es ermoeglichen, relativ schnell und unbuerokratisch verschiedene Partner aus unterschiedlichen EG-Mitgliedsstaaten zusammenzubringen. Die dadurch moegliche, gezielte wirtschaftliche Zusammenarbeit ist insbesondere fuer mittelstaendische Betriebe von grossem Interesse.

Vielfaeltige Herausforderungen bringt der Binnenmarkt auch fuer die Verwaltungen auf regionaler und kommunaler Ebene. So muessen fuer eine Vielzahl von europaweiten Planungsaufgaben bei der Stadt- und Regionalentwicklung geografische und kartografische Informationen erfasst und bereitgestellt werden.

Eine Datenbank koennte die einschlaegigen Informationen zentral verwalten. Die verfuegbaren Daten waeren dann zum Beispiel fuer die Planung von Ver- und Entsorgungswegen und Strassen verwendbar.

International flexibler werden mnuss auch die Arbeitsvermittlung. Um fuer einen Stellensuchenden mit einer speziellen Qualifikation eine bestimmte Stelle europaweit ausfindig machen zu koennen, bedarf es einiger Anstrengungen, die bisher durch nationale Arbeitsvermittlungs-Monopole behindert wurden.

Von allergroesster Wichtigkeit ist der Informationsaustausch zwischen den jeweiligen Standardisierungsinitiativen und Normungsinstituten sowie deren nationalen Spiegelgremien. Nach Schaetzungen der EG-Kommission werden bis Ende 1992 mindestens 800 zusaetzliche europaeische Standards verabschiedet werden muessen, um den gemeinsamen Markt verwiwirklichen zu koennen. Die nationalen Normen werden zunehmend durch europaeische Normen oder Vornormen ersetzt werden. Dies beinhaltet, dass EG-Richtlinien zur Harmonisierung des Binnenmarktes nur noch Schutzziele definieren (Maschinenrichtlinie, Niederspannungsrichtlinien, Telekommunikations-Endgeraete-Richtlinie etc.), aber fuer technische Spezifikationen die entsprechenden europaeischen Normen Ausgangsbasis sind. Die Normungsorganisationen CEN, Cenelec und Etsi, die europaeische Normen verabschieden und zuvor in enger Zusammenarbeit mit den internationalen Standardisierungsorganisationen ISO, IEC und CCITT/CCIR definieren, spielen hierbei eine massgebende Rolle.

Um den notwendigen Informationsfluss zwischen nationalen Behoerden und Verwaltungen auf Gemeinschaftsebene zu bewaeltigen, sind innovative, leistungsfaehige und vernetzte IT-Systene unverzichtbar. Die EG und ihre Mitgliedsstaaten haben der Schaffung intelligenter Kommunikationssysteme erste Prioritaet eingeraeumt. Bereits 1991 wurde im Amtsblatt der Europaeischem Gemeinschaft eine Ausschreibung zur Durchfuehrung des Sonderprogrammes ueber Telematikdienste von allgemeinem Interesse veroeffentlicht. Beim European Nervous System (ENS), dem Einsatz von Telematiksystemen in Verwaltungen, geht es vor allem um die europaweite Vernetzung von Administrationen der EG-Mitgliedsstaaten. Hierfuer ist ein Budget in Hoehe von 41,3 Millionen ECU fuer die naechsten fuenf Jahre vorgesehen.

Im dritten Rahmenprogramm der EG umfasst der Bereich "Telematic Systems" neben den "Transeuropean Networks between Administrations" noch eine Reihe weiterer Programme wie "Drive", "Delta" und "AIM", die sich mit dem Einsatz von Telematiksystemen in Verkehrsleitsystemen, fuer Lernprozesse und in der Medizin befassen. Fuer all diese Vorhaben stehen insgesamt Foerdermittel in Hoehe von zirka 330 Millionen ECU zur Verfuegung. Bereits laufende Gemeinschaftsprojekte der EG-Kommission wie "Caddia", "Insis" und "Tedis" foerdern den verstaerkten Einsatz der Datenverarbeitung in den Beziehungen der nationalen mit den europaeischen Verwaltungen. Hier bietet sich ein erhebliches Nutzenpotential fuer die Anwender von solchen Systemen und zugleich die Chance fuer die europaeische Computerindustrie, innovative Hard- und Softwareloesungen anzubieten.

Ourtsourcing ist eine Alternative

Ein mit Telematics vergleichbares Programm laeuft auch in den USA. Dort wurde 1989 die "High Performance Computing and Communication-Initiative" (HPCCI) ins Leben gerufen. Dieses komplexe, von acht US-Bundesverwaltungen vorangetriebene, Projekt wird von der einheimischen Industrie durch die "Computer Systems Policy Group" (CSPP) unterstuetzt. 1992 stehen dem HPCCI-Programm 654 Millionen Dollar zur Verfuegung, fuer 1993 ist ein Finanzrahmen von 803 Millionen Dollar vorgesehen. Ueber "Eurobit" steht die deutsche IT-Industrie in engem Kontakt zu den Aktivitaeten der CSPP.

Die DV-Systeme der oeffentlichen Verwaltungen sind angesichts der wachsenden administrativen Aufgaben oft ueberfordert. Die Verantwortlichen muessen sich deshalb mit neuen Konzepten und Technologien auseinandersetzen. Studien weisen darauf hin, dass die Einbindung von Informationssystemen in die haeufig kundenorientierte Dienstleistung sich oft schwierig gestaltet.

Es ist in erster Linie Aufgabe von Politik und Verwaltung selbst, sich hier aufgeschlossener zu zeigen, Buergernaehe zu praktizieren und geschickter ueber Aus- und Weiterbildung zu informieren. Die IT-Industrie hat auch hier die Chance, ihre innovativen Produkte und Dienstleistungen zur Verfuegung zu stellen und entsprechende Verwaltungsorganisationen aufzubauen.

Eine Moeglichkeit, der steigenden Informationsflut in den Verwaltungen Herr zu werden, ist der Aufbau von kleinen, dezentralen und vernetzten Systemen vor Ort mit Anbindung an eine zentrale Datenverarbeitung. Wachsende Informationskosten und die Notwendigkeit zum Kosten-Management auch im Behoerdenbereich regen die Kommunen an, sich mit einer anderen Möglichkeit, nämlich dem Outsourcing, also der Auslagerung von Datenverarbeitung in regionale Rechenzentren, vertraut zu machen.

Der deutsche Markt fuer Outsourcing erreichte 1991 ein Gesamtvolumen von 9,5 Milliarden Mark. Bis 1994 wird mit einem Umfang von 17 Milliarden Mark auf des Segment "Professional Services", etwa 7 Milliarden Mark auf Systemintegration und zirka eine Milliarde Mark auf "Facilities Management". Durch Outsourcing lassen sich zum Beispiel ohne eigene Investitionen moderne Technologien nutzen und fehlendes Know-how auf wirtschaftliche Art erwerben.

In deutschen Verwaltungen stoesst Outsourcing aber bisher noch auf relativ wenig Gegenliebe. Ganz anders sieht das in den EG-Mitgliedstaaten Grossbritannien und Frankreich aus.

Entscheidungen, die heute im Bereich der IT getroffen werden, sind von keiner geringen Tragweite. Die öffentlichen Auftraege umfassen nach Schaetzungen der zustaendigen EG-Kommission von Ende 1991 etwa 15 Prozent des Marktanteils der Industrie. Dies zeigt, welche Potentiale hier noch zu erschliessen sind. Das Gesamtvolumen des deutschen IT-Marktes betrug 1991 nach vorliegenden Schaetzungen von IDG zirka 27 Milliarden US-Dollar. Das Volumen des Weltmarktes wird auf etwa 327 Milliarden und der europaeische Markt auf rund 115 Milliarden US-Dollar geschaetzt.

Die öffentlichen Verwaltungen in ganz Europa werden sich zunehmend als Dienstleistungsanbieter dem freien Wettbewerb mit der Wirtschaft stellen muessen. IV-Systeme unterstuetzen die Behoerden bei ihren Entscheidungsprozessen und liefern Informationen, die als Grundlage fuer Verwaltungsakte dienen.

Die Komplexitaet der geplanten Informationssysteme und Dienste, die Zahl der Beteiligten und die Vielzahl der Informationen erfordern weitere intensive Studien und Forschungsarbeiten in Bezug auf Architekturen und das Management dieser europaweiten Netze. Der Schwerpunkt der Arbeiten wird dabei vorrangig auf Aspekte wie Kommunikationsfaehigkeit, gemeinsame Normen, Architekturen und Funktionsspezifikationen, Benutzeraktzeptanz, Datenintegritaet und Vertraulichkeit zu legen sein.

In einer ersten Bestandsaufnahme der fuer den Binnenmarkt erforderlichen Telematikvorhaben haben die Kommunissionsstellen zwoelf grosse Arbeitsbereiche identifiziert:

- Indirekte Steuern,

- Zoelle,

- Grenzkontrollen,

- veterinaerrechtliche Statistiken,

- pflanzenschutzrechtliche Statistiken,

- soziale Angelegenheiten,

- Verkehr,

- Unterricht und Bildung,

- Binnenmarkt und gewerbliche Wirtschaft, Beachtung der Wettbewerbsregeln innerhalb der Gemeinschaft,

- Energie sowie

- Verbraucherschutz.

Teis entwickelt für die Verwaltungen

Die Kommission hat festgegesllt, dass es sich in 70 Prozent aller Faelle, in denen unter Verwaltungsbehoerden der Mitgliedsstaaten und mit den Gemeinschaftsorganen bisher Informationen uebermittelt wurden, um Abfragen von Datenbanken oder dezentralen Informationssystemen handelt. Der Informationsaustausch in den restlichen 30 Prozent erfolgte ueber E-Mail oder Videotext.

Den oeffentlichen Verwaltungen muss beim Zusammenwachsen von Europa eine funktions- und leistungsfaehige Infrastruktur mit entsprechenden

Applikationen zur Verfuegung stehen. Fuer den Bereich Telematiksysteme in Verwaltungen (Transeuropean Networks) haben Vertreter von ueber 300 Organisationen aus verschiedenen Bereichen von Wirtschaft und oeffentlicher Verwaltung eine Liste von etwa 150 Anwendungen erstellt.

Spezielle Ordnungskriterien waren dabei Kommunikationsanforderungen und Betriebsbedingungen. In diesem Zusammenhang ist die 1992 erfolgte Gruendung des gemeinsamen Unternehemens "Teis" der drei Computerunternehmen Bull, Olivetti und Siemens-Nixdorf Informationssysteme (SNI) zu erwaehnen. Teis soll Systeme und Anwendungen fuer gesamteuropaeische oeffentliche Verwaltungen entwickeln und vorantreiben.

* Guenther Moeller ist Geschaeftsfuehrer des Fachverbandes Informationstechnik im VDMA und im ZVEI.