700 Entlassungen als Auftakt zur Neuorientierung

Bearingpoint startet die Sanierung

10.01.2003
Mit der Entlassung von 700 Mitarbeitern im deutschsprachigen Raum reagiert Bearingpoint auf die anhaltende Schwäche im Projektgeschäft und versucht eine Neuausrichtung. Allein externe Faktoren als Grund für die Probleme des Unternehmens geltend zu machen greift jedoch zu kurz. CW-Bericht, Joachim Hackmann

Bemerkenswert an der von Bearingpoint kürzlich angekündigten Maßnahme zum Stellenabbau ist vor allem das Ausmaß. In Deutschland, Österreich und der Schweiz muss jeder vierte Berater seinen Platz räumen. Statt 2800 arbeiten dann nur noch 2100 Consultants für Bearingpoint. "In den Prognosen der Marktforscher hieß es, dass eine Erholung zur Jahresmitte 2002 zu erwarten sei, deswegen haben wir mit den Maßnahmen noch abgewartet. Spätestens seit dem Frühsommer 2002 war absehbar, dass die Nachfrage stark rückläufig ist", rechtfertigt Peter Melcher, Executive Vice President Europe Middle East Africa Industries bei Bearingpoint, die Entlassungen. Der Bedarfsrückgang, so der Manager, habe etwa die gleiche Größenordnung wie der Stellenabbau, sprich, die Nachfrage ist um 20 bis 25 Prozent eingebrochen. "Salamitaktik ist nicht unser Stil, deshalb haben wir uns für einen klaren Schnitt entschieden. Wir müssen auch den Mitarbeitern, die bleiben, Planungssicherheit bieten", erklärt Melcher.

Vier Unternehmenseinheiten

Mit dem nun angekündigten Abbau des Beraterstamms geht eine Neuorganisation des Geschäfts in vier Unternehmenseinheiten einher. Nahezu unangetastet bleiben die branchenorientierten Geschäftseinheiten. Sie werden in dem Bereich Business Consulting zusammengefasst. Geräumt wird lediglich die TK-Branche, weil die Nachfrage nahezu zum Erliegen gekommen ist. Kunden aus diesem Segment werden nicht mehr auf Landes-, sondern auf Europa-Ebene bedient. Eine besondere Betonung erfährt zudem das internationale Bearingpoint-Angebot durch die neue Global Solutions Delivery. Sie wird länderübergreifende Rollout-Projekte vornehmlich im ERP-Umfeld verantworten. Schließlich bündelt das Management Wartungsdienste sowie das Produkt- und Lizenzgeschäft in der Einheit Technology Procurement Services. Die Basis dieser Aktivitäten bildet das österreichische Systemhaus Infonova, das als Tochtergesellschaft der KPMG Consulting AG zu Bearingpoint stieß. Völlig neu im Portfolio ist das Thema Outsourcing. Unter der Bezeichnung Managed Services wollen die IT-Berater Dienste zur Geschäftsprozessauslagerung anbieten und den Applikationsbetrieb für Kunden übernehmen.

Wandel in der Unternehmenskultur

Die Neuorganisation hat in der angekündigten Form nur für Europa Gültigkeit, wurde aber von der US-Zentrale genehmigt. Damit schlägt Bearingpoint den Weg ein, zumindest in der Alten Welt klare Strukturen und Servicelinien zu etablieren. Das ist durchaus nachvollziehbar, denn in der Vergangenheit krankte der IT-Dienstleister oftmals an dem losen Zusammenschluss und der Eigenständigkeit der nationalen Niederlassungen. "KPMG Consulting war schon seit langem ein Sanierungsfall", argumentiert etwa Pascal Matzke, Analyst der Giga Information Group. "Das heterogene, durch die einzelnen Länderorganisationen aufgespannte Netzwerk hat sich als Nachteil erwiesen, weil man den Kunden kein transparentes und konsistentes Serviceportfolio anbieten konnte."

Der Wandel, den Bearingpoint herbeiführen muss, ist nicht nur organisatorischer, sondern auch kultureller Art. Wie andere Big-Five-Consulting-Organisationen unterhielten auch die IT-Berater von KPMG eine von den Prüfungsgesellschaften übernommene Unternehmensform, in der eine Vielzahl von Partnern entscheidungsbefugt waren. "Die Partner müssen Pfründe aufgeben und sich in eine traditionelle Firmenhierarchie einfügen. Sie müssen sich von ihrer exponierten Stellung verabschieden", erläutert Matzke.

Die heterogene Organisation hat das US-amerikanische Consulting-Haus auch zu der kraftzehrenden und teuren Expansion in regionale Märkte gezwungen. Für die Übernahme der Aktivitäten in Deutschland, Österreich und der Schweiz musste die KPMG Consulting Inc. beispielsweise den hiesigen Partnern aus dem IT-Beratungshaus und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft insgesamt 730 Millionen Euro überweisen. Die heutige Bearingpoint-Gesellschaft ist mittlerweile in 39 Ländern vertreten, nicht jedoch in den Benelux-Staaten und Großbritannien. Dort entschieden sich die Partner, mit Atos Origin zusammenzugehen. Die fehlende Präsenz im britischen Markt dürfte sich vor allem bei internationalen Ausschreibungen der Banken als Makel erweisen.

Die notwendige Expansion in die regionalen Märkte ließ keinen Platz, sich inhaltlich neu aufzustellen. "Bei der öffentlichen Hand, wo derzeit noch ERP-Projekte angestoßen werden, ist Bearingpoint beziehungsweise KPMG Consulting nicht so stark vertreten", berichtet Andreas Burau, Director Consultant bei der Meta Group Deutschland GmbH. Zudem blockierten die Integrationsbemühungen den notwendigen Weg, sich neben dem konjunkturanfälligen Projektgeschäft ein Standbein im Markt für Betriebsdienste aufzubauen.

Neuausrichtung im schwierigen Umfeld

So führte die hiesige KPMG Consulting AG beispielsweise Fusionsgespräche nicht nur mit der US-amerikanischen KPMG Inc., sondern auch mit Atos Origin, Cap Gemini Ernst & Young und Unisys. Weil die letzteren drei unter anderem auch Outsourcing-Services anboten, sparte sich KPMG Consulting den rechtzeitigen Einstieg in dieses Geschäft. Der jetzige Start des Bereichs Managed Services kommt sehr spät.

KPMGs beziehungsweise Bearingpoints Stärke war und ist das gute Know-how der Mitarbeiter im ERP- und speziell SAP-Umfeld, kombiniert mit einem ausgeprägten Branchenwissen. Angesichts der Investitionszurückhaltung bei den Kunden greift diese Kraft derzeit ins Leere. Das Unternehmen hat es entweder versäumt oder war überfordert damit, sich neben dem Projektgeschäft ein krisensicheres Standbein aufzubauen. Für das ehemalige Big-Five-Beratungshaus war die internationale Expansion zwar sehr wichtig, wurde aber nicht erfolgreich genug abgeschlossen. Letztlich muss sich Bearingpoint mitten in der Wirtschaftkrise neu orientieren. Das ist kein ungefährliches Unterfangen für ein börsennotiertes Unternehmen.

Interner Handlungsbedarf

Der kürzlich angekündigte Stellenabbau betrifft nur Berater. Handlungsbedarf besteht aber auch in anderen Bereichen. Seit ihrem Börsengang im Februar 2001 betrieb die US-amerikanische KPMG Consulting Inc., die seit Oktober 2002 unter der Bezeichnung Bearingpoint firmiert, eine sehr aktive Akquisitionspolitik, um die bis dahin selbständig operierenden Schwestergesellschaften in den einzelnen Ländern unter ihrem Dach zu vereinen. Dabei wuchs der administrative Bereich über die Maßen. In der Zeit zwischen Juni und September 2002, in der unter anderem die Übernahme der KPMG Consulting AG im deutschsprachigen Raum stattfand, nahm die Zahl der weltweit einsetzbaren produktiven Mitarbeiter von Bearingpoint durch Übernahmen um 62 Prozent zu. Die nicht beim Kunden tätigen Beschäftigten vermehrten sich hingegen um 179 Prozent.

Die Verantwortlichen bei Bearingpoint sind sich des Problems bewusst. In Europa wird derzeit an einer neuen Organisationsform für interne Bereiche wie Personalwesen, Finanzen und Marketing gearbeitet. Ergebnisse gibt es noch nicht im Detail, doch Melcher kündigte an, dass aufgrund der Größe und Bedeutung von Bearingpoint im deutschsprachigen Raum das europäische Headquarter in Frankfurt am Main sein wird.

Abb: Eckdaten der Bearingpoint-Zentrale

Durch die ausgeprägte Akquisitionspolitik der vergangenen Monate sind nicht nur die Einnahmen stark gestiegen, auch die Zahl der weltweiten Mitarbeiter nahm deutlich zu. Quelle: Bearing Point