Battelle: Erfahrungen mit Inhouse-Netzen in den USA und der Bundesrepublik (1. Folge):So zentral wie nötig - so dezentral wie möglich

24.01.1986

Im Auftrag des Rationalizierungs-Kuratoriums der deutschen Wirtschaft (RKW) hat Battelle Frankfurt den Stand der Anwendungen von Inhouse-Netzen in der Bundesrepublik und in den USA vergleichend untersucht. Neben technischen Aspekten ging es dabei vor allem um wirtschaftliche, personelle und arbeitsorganisatorische Fragen 1).

Das Marktvolumen für Bürokommunikation wird für 1984 für die USA auf etwa 35 Milliarden Mark geschätzt. Integrierte Bürokommunikationssysteme nehmen in den USA erst einen Anteil von etwa zehn Prozent an den Gesamtinvestitionen in Bürokommunikationssysteme ein. Die jährlichen Wachstumsraten, die für die nächsten Jahre für integrierte Systeme mit über 85 Prozent angesetzt werden, sind jedoch beachtlich.

Nicht zuletzt wegen des noch unbefriedigenden Standes der Standardisierung sind die Anfang der 80er Jahre gemachten Voraussagen über das Wachstum des LAN-Marktes bisher nicht eingetroffen. Ein weiteres Markthemmnis für die Diffusion von Inhouse-Netzen in den USA ist nach wie vor herrschende Unsicherheit, welches der diskutierten LAN-Konzepte von IBM neben dem Token Ring tatsächlich realisiert wird. Die integrierte Bürokommunikation durch den Einsatz von LAN steckt deshalb selbst in den USA noch in den Kinderschuhen, das heißt, ist noch lange nicht auf dem Stand, wie er nach den Prospekten und Produktankündigungen der Hersteller eigentlich zu erwarten wäre. Allerdings gibt es auch bei uns eine Reihe von Unternehmen, die die Bürointegration als Ziel erkannt haben und die Anwendern in den USA in nichts nachstehen.

Inhouse-Netze können dezentral wie auch stark zentralisierend aufgebaut werden. In den USA ist die Idee der Dezentralisierung weiter realisiert als bei uns. Dort entscheiden sehr stark die Nutzer - nicht die DV-Abteilung - über die Art und Weise, wie der Computer ins Büro einziehen soll. Oft machen diese dezentralen Nutzer die ersten Versuche in Richtung Inhouse-Netze. Die Anstrengungen richten sich dort jetzt darauf, diese kleinen Netze zu einem Inhouse-Gesamtnetz zusammenfassen. Es wird immer stark dezentral beiben, weil der Leitsatz lautet: "So weit wie möglich dezentral, so weit wie nötig zentral!"

Nicht das vollintegrierte System wird von Anfang an angepeilt, sondern Anwender versuchen, mit Teilverbesserungen eine Arbeitsentlastung sowie Wettbewerbs- und Rationalisierungsvorteile gegenüber der Konkurrenz zu erzielen. Die Nutzung von Inhouse-Netzen für integrierten Daten- und Textverkehr b(..)hin zur Elektronischen Post wird in den USA - offensichtlich anders als in der Bundesrepublik - von einer rasch wachsenden Zahl von Anwendern jetzt stärker ins Auge gefaßt als noch vor zwei bis drei Jahren. Der Übergang auf vollintegrierte Systeme für Daten, Text, Grafik und Sprache bis hin zur Sprachspeicherung (voice mail) wird von einigen Unternehmen in den USA gerade erprobt. Die Schwierigkeiten liegen im technischen wie im organisatorischen Bereich:

- Die Anbieter von Inhouse-Systemen haben offensichtlich lange Zeit die technischen Schwierigkeiten unterschätzt, offene Netze zu realisieren. Probleme bestehen vor allem wegen fehlender beziehungsweise nicht ausreichender Vereinbarungen zu den technischen Standards sowie in den nicht ausreichenden Erfahrungen seitens der Anbieter.

- Es müssen bei den Anwendern operative Abläufe zum Teil völlig neu konzipiert werden.

Gründe für den Netzeinsatz

Die Gründe für den Einsatz von Inhouse-Netzen sind vielfältig. Die häufige Bildung neuer Teams sowie die bereits vorhandene Computerunterstützung der Büroarbeit oder der Wunsch danach sind mit steigenden (Verkabelungs-)Kosten verbunden. Die meisten der befragten Institutionen haben sich anläßlich des Einzugs/Umzugs in ein neues Gebäude oder Stockwerk für ein Inhouse-Netz entschlossen.

Anwender haben auch festgestellt, daß mit einem über das Netz betriebenen Energiemanagement (Optimierung des Energieverbrauchs in den am Netz angeschlossenen Gebäuden) Einsparungen erzielt werden können, die ein Inhouse-Netz binnen kurzem amortisieren. Die Verbesserungen in der (Büro-)Kommunikation, ohnehin viel schwieriger quantitativ/finanziell zu belegen als etwa Energieeinsparungen, entstanden in diesem Fall gewissermaßen als Abfallprodukt.

Die Verbesserung der Bürokommunikation ist für viele Anwender noch kein hinreichender Grund für ein LAN. Die Überlegungen, die den Stand der Anwendung in den USA bisher geprägt haben, waren weniger bestimmt von Rationalisierungsüberlegungen im Sinne von Personalabbau. Vielmehr waren es Fragen, wie und durch welches Integrationsniveau die Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Unternehmens gesteigert werden könnte, ob über neue Leistungsangebote neue Märkte erreichbar würden oder in den bisherigen Betätigungsfeldern wenigstens ein Umsatzwachstum erzielt werden könnte.

Die Experimentierfreudigkeit mit Inhouse-Netzen ist wegen der Kosten wie auch infolge von allgemeinen Mentalitätsunterschieden zwischen deutschen und amerikanischen Managern bei uns deutlich geringer als in den USA. In der Bundesrepublik Deutschland haben Fragen der integrierten Büro- und Telekommunikation meistens noch keine gesonderte Beachtung seitens der Unternehmensleitung gefunden. Häufig sind es die DV-Abteilungen, die die Unternehmensleitungen mit Fragen der modernen Bürokommunikation konfrontieren. DV-Leiter sind aber mit Fragen der integrierten Bürokommunikation in der Regel überfordert.

Anders als in den USA sehen deutsche Unternehmensleitungen die weitere Entwicklung der Bürokommunikation eher unter dem Blickwinkel der Personaleinsparung als der allgemeinen Verbesserung der Wettbewerbsposition gegenüber den Konkurrenten im Markt. In den USA wie bei uns stellen die Hersteller von LAN die Möglichkeiten der Produktivitätssteigerung der Leistungserhöhung und - bei der Textverarbeitung - die Erhöhung der Qualität des Schriftguts in den Vordergrund, wenn sie Anwender gewinnen wollen.

Nach sorgfältigen Vorarbeiten haben alle Anwender zunächst eine Pilotphase durchlaufen. Hierbei wurden meistens mehrere Hersteller zu Testinstallationen kleiner Netze aufgefordert. Zwar ist es den Herstellern nach längerer Zeit dann doch gelungen, auch Geräte verschiedener Hersteller ans Netz anzuschließen. Eine Kommunikation "Jeder-mit-jedem" in einem offenen Netz konnte in vielen Fällen jedoch bis heute nicht einwandfrei und/oder zu einem tragbaren Preis erreicht werden. Die Anwender, die schon 1981 mit Netzkonzepten begonnen haben, sprechen davon, daß die LAN-Produkte zu früh und unfertig auf den Markt geworfen wurden. Es gibt jedoch auch eine Reihe von Anwendern, die bei ihrem offenen Netz mit ihrem Hersteller von Anfang an gute Erfahrung gemacht haben. Dabei handelt es sich um Hersteller, die selbst keine eigenen Endgeräte anbieten.

Die Entscheidung ist schwierig

Inhouse-Netze für das Büro können in Form digitaler Nebenstellenanlagen (NStAnl) oder als Local Area Networks (LAN) realisiert werden. Zudem können die Anwender entscheiden zwischen Basisband- und Breitbandübertragung. Auch hinsichtlich der Übergangsmedien (Telefonkabel, Koaxialkabel, Glasfaserkabel) bestehen - allerdings begrenzte - Wahlmöglichkeiten. Die Entscheidung NStAnl oder LAN, Basisband oder Breitbandübertragung, Telefonkabel, Koaxialkabel oder Glasfaser ist für Anwender schwierig, weil sich erst im Pilotbetrieb beziehungsweise meistens sogar erst im voll ausgebauten Netz zeigt, wie schnell, kollisions- und störungsfrei ein Inhouse-Netz wirklich ist.

Die hohe Priorität der Netz-/Störsicherheit hat dazu geführt, daß viele US-Anwender zur Übertragung Kupfer-Koaxialkabel benutzen, eine Reihe von ihnen bereits auch Lichtwellenleiter.

Das zur Netzauswahl am häufigsten genannte Problem war, daß die Hersteller meist eher die technischen Aspekte im Auge haben, während diese die jeweiligen Nutzergruppen bei den Anwendern eigentlich überhaupt nicht interessieren. Die Nutzer sind daran interessiert, ihre Arbeit mittels eines Netzes effizienter zu gestalten.

Einige Unternehmen haben eine zumindest grobe Kommunikationsanalyse zur Erforschung der Informationsbeziehungen durchgeführt, um die Netzanforderungen seitens der Nutzer auch klar zu definieren. Sofern Nutzer - auch auf der Ebene der Sekretärinnen - gehört wurden, hatte das auch spürbar positive Effekte hinsichtlich Akzeptanz, Arbeitszufriedenheit und Effizienz.

Von den befragten Anwendern konnte keiner eine "wasserdichte" Investitionsbegründung von der Kostenseite her liefern. Eine hinreichend begründbare Kosten-Nutzen-Schätzung ist für Inhouse-Netze nur rein technisch gesehen möglich. Weder im vorhinein noch im nachhinein lassen sich qualitative Veränderungen (beziehungsweise leichtere Kommunikation, schnellere Entscheidung, höhere Qualität des Schriftguts, Qualität der Arbeit etc.) hinreichend exakt in finanziellen Größen angeben.

Auch wegen der Möglichkeit, von Zusatzdiensten (Value-Added-Network-Effects/VAN) eines LAN lassen sich alte gegen neue Kosten der Kommunikation nicht hinreichend exakt gegenüberstellen. Die Mehrzahl der Anwender hält die Installation eines LAN heute noch für eine hundertprozentige Risikoentscheidung, die sie auch ohne umfassende beziehungsweise hinreichend verläßliche Kosten-Nutzen-Schätzung für richtig halten.

Anders als bei uns wird in den USA weniger die Kosteneinsparung - und schon gar nicht die Personalfreisetzung - als Argument von den Herstellern werbend herausgestellt, sondern die Produktivitätserhöhung via Umsatz-/Outputsteigerung. Dies hat dafür geführt, daß eine Akzeptanzbarriere gegenüber LAN in den USA bisher auf der Mitarbeiterebene so gut wie überhaupt nicht zu erkennen ist.

Ohne Zweifel ist mit einer Produktivitätssteigerung zu rechnen das wirkliche Ausmaß ist jedoch bisher schwer objektiv abschätzbar. Die Wirtschaftlichkeit von Inhouse-Netzen wird häufig verwechselt mit der Wirtschaftlichkeit der einzelnen Systemteile, wie Textverarbeitung, Datenverarbeitung, PC-gestützte Informationsverarbeitung etc. Die Schwierigkeit besteht hier darin, die produktivitätssteigernde Wirkung zu ermitteln, die aus der Integration dieser vorher getrennten Büro-Systemteile in einem Inhouse-Netz entsteht. Quantitative Wirtschaftlichkeitsüberlegungen stoßen hier an ihre Grenzen.

Die Anwender in den USA rechnen in der Regel mit einer Produktivitätssteigerung aus dem Netzbetrieb von 10 bis 15 Prozent, die sich über mehrere Jahre von der Pilotinstallation bis zum fehlerfreien Netzbetrieb verteilt. Dies sind Größenordnungen, wie sie auch bei Unternehmen in der Bundesrepublik im Schnitt über mehrere Funktionsebenen hinweg ermittelt wurden. Entscheidendes Leistungskriterium von Büro- und Verwaltungsarbeit ist nach wie vor die Durchlaufzeit. Reduzierungen hier führen automatisch zu Kosteneinsparungen. Der Schlüssel heißt Aufgabenintegration.

Der Abbau von Arbeitsplätzen als Folge eines Inhouse-Netzes ohne Kompensation ist bisher als eher gering zu beurteilen. Kosten- und Wirtschaftlichkeitsargumente als Begründung für eine elektronische Bürokommunikation in Form von Netzen, das heißt der Versuch, neue Geräte und Inhouse-Systeme im Büro durch eine Verringerung menschlicher Arbeitszeit zu rechtfertigen scheinen nach den Ergebnissen unserer Fachgespräche und den vorliegenden Veröffentlichungen bisher noch nicht genügend objektivierbar zu sein. Die Hersteller in den USA werben heute hier mit allgemeinen Hinweisen auf erhöhte Wirtschaftlichkeit im Büro und viel stärker noch bei uns mit Hinweisen auf die Qualität der Arbeit, auf die Humanisierungseffekte am Arbeitsplatz und auf die wettbewerbsverändernden Effekte integrierter Bürokommunikation.

Erst die Praxis des Netzbetriebs macht die Vorteile, aber auch die nach wie vor in Teilbereichen noch ungelösten Probleme deutlich. Sie sind technischer, finanzieller, organisatorischer und personeller Natur.