Enterprise-Portale/Terminologie-Management

Babels Türme

29.06.2001
Portale leben von Inhalten - also letztlich von Informationen. Um diese für den effizienten Gebrauch zu erschließen, genügt es nicht, intern eine Suchmaschine einzusetzen. Glossare und Taxonomien sind erforderlich, damit die Nutzer finden, was sie wirklich suchen. Von Stefan Kremer und Gerold Riempp*

Portale sind elektronische Fenster auf zusammengehörige Dienstleistungen aus der Sicht eines bestimmten Benutzers. Business-to-Employee-(B-to-E-)Portale richten sich an die eigenen Mitarbeiter und bieten nach einem Single-Login einheitlichen Zugriff auf zahlreiche elektronische Services und unterschiedliche unternehmensinterne sowie externe Informationssysteme. Die Dienstleistungen und Informationen werden dabei über ein standardisiertes Frontend wie etwa Web-Browser, PDAs oder WAP-Handys dargestellt und sind rollenspezifisch gebündelt.

So haben die Mitarbeiter eines Call-Centers über "ihr" B-to-E-Portal beispielsweise andere Funktionen und Sichten auf die integrierten Informationsquellen als die Vertriebsmitarbeiter im Außendienst. Über das Rollenkonzept hinaus existiert meist noch die Möglichkeit zur individuellen Personalisierung des Portals, bei der ein Nutzer selbst aus den angebotenen Inhalten auswählen und somit seine individuelle Oberfläche gestalten kann. So weit zur Theorie.

Namen sind weder Schall noch RauchIn der Realität ist jedoch eine Reihe von Defiziten bei Portalen zu beobachten. Beispielsweise verursacht die ungenaue Benennung von Dokumenten oder Navigationselementen im Portal Probleme bei der Orientierung der Nutzer. Die Navigationselemente "FIA" und "Neue Produkte" in der Auflistung der Produkte auf der Website einer Privatbank lassen sicherlich kaum Rückschlüsse auf die dort eingeordneten Dienstleistungen zu. FIA steht dort übrigens für "Fit im Alter".

Bei einer Anfrage über die integrierte Volltextsuche werden jedoch nicht die Dokumente aufgelistet, die der Mitarbeiter erwartet hätte. Dabei existieren diese Dokumente aus dem gesuchten Themenkreis tatsächlich. Populäres Beispiel: Auf der Website eines großen Herstellers von Netzwerkkomponenten sucht man vergeblich nach dem "technical manual" eines bestimmten Routers, obwohl diese Unterlagen vorhanden sind.

Eine uneinheitliche Klassifizierung erschwert darüber hinaus das sinnvolle Ablegen oder Auffinden von Dokumenten. In der Projektdatenbank einer renomierten Beratungsgesellschaft werden etwa die Kategorien "Customer-Relationship-Management" (CRM), "Themen" und "Tools & Vendors" zur Verschlagwortung von Dokumenten verwendet. Die eindeutige Einordnung gestaltet sich jedoch problematisch, da für den Bereich CRM auch "Tools & Vendors" existieren. Begriffe werden außerdem missverständlich oder "abteilungsspezifisch" verwendet. Häufig muss daher bei Kollegen nachgefragt werden, welcher Sachverhalt im jeweiligen Kontext eigentlich gemeint ist.

Begriffe sauber abgrenzenDiese Defizite lassen sich im Wesentlichen auf folgende Ursachen zurückführen: Der Gestaltung der Navigation eines Portals liegt keine klar strukturierte und sauber abgegrenzte Begriffswelt zugrunde. Dem Web-Master bleibt daher nichts anderes übrig, als die Navigation auf Zuruf zu gestalten. Die Suchfunktion liefert aufgrund fehlerhafter, fehlender oder uneinheitlicher Verschlagwortung von elektronischen Dokumenten unbefriedigende Ergebnisse. Ursachen sind vor allem nicht vorhandene Begriffssysteme oder die mangelhafte Unterstützung der User bei der Erfassung.

So sollte beispielsweise geregelt sein, ob ein Dokument mit dem Wert "Knowledge Management", "Wissensmanagement", "Wissens-Management", "KM" oder "Knowledge-Management" klassifiziert wird. Eine geringe Bedeutungsabgrenzung oder ein vager Begriffsinhalt führen zu missverständlichen Begriffsverwendungen zwischen Mitarbeitern. Schnelllebige Modeworte verschärfen diese Problematik noch.

Abhilfe kann ein modernes Terminologie-Management schaffen. Es befasst sich mit der Erstellung und Pflege eines Begriffs- und Benennungssystems für ein konkretes Fachgebiet, beispielsweise Knowledge-Management, Customer-Relationship-Management oder Supply-Chain-Management im Kontext der jeweiligen Organisation. Dabei werden ganz konkrete Ziele für Portale verfolgt:

-der Aufbau von konsistenten und strukturierten Navigationssystemen,

-die Verbesserung der Ergebnisse von Suchanfragen (quantitativ und qualitativ),

-eine Herleitung von systematischen Ablagestrukturen und

-die Verbesserung der Kommunikation durch Vereinheitlichung wichtiger Begriffe im Sprachgebrauch.

Syntax und SemantikDiese Ziele können erreicht werden, indem bei Begriffen sowohl die Syntax (der formale Aufbau von Wörtern) als auch die Semantik (die Bedeutung von Wörtern und deren Zusammenhängen) kontrolliert werden. Mit den zwei Werkzeugen "Glossar" und "Taxonomie" gelingt der Schritt vom Wildwuchs zu eben jenem Grad an Ordnung, der die Nutzer unterstützt und die Systeme sinnvoll gestaltbar macht, ohne zum Selbstzweck und Overkill zu werden. Das Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen arbeitet im Kompetenzzentrum Customer-Knowledge-Management gemeinsam mit zahlreichen Unternehmen unter anderem am Thema Terminologie-Management. Die im Folgenden erwähnten Fälle und Beispiele stammen aus dieser Zusammenarbeit.

Glossare verwalten als "Begriffswörterbücher" die Benennungen und Bedeutungen von Worten, die in einem fachlichen Zusammenhang stehen. Sie tragen dadurch zu einer kontrollierten Semantik bei. Durch die Definition des Begriffs "Leistungserbringer" in einem unternehmensweit verfügbaren Glossar erreicht eine Krankenversicherung zum Beispiel, dass alle Unternehmensbereiche eine einheitliche Vorstellung von diesem Begriff und seiner Verwendung bekommen. Das klingt zunächst banal, ist aber in großen Unternehmen unabdingbar, um ein babylonisches Sprachgewirr zu vermeiden.

Für die Glossareinträge werden dabei in einem Definitionsrahmen bestimmte Attribute festgelegt, die ein Begriffswort charakterisieren. Neben der Eintragung von Benennung, Begriffsinhalt und Quelle werden hier auch erweiterte Attribute (beispielsweise Sprache oder Synonyme) sowie Kontrollattribute (wie etwa Primärschlüssel, Version oder Verfallsdatum) eingepflegt.

Sinnvolle AuswahlDer Aufwand für die "Standardisierung" von Begriffen darf nicht unterschätzt werden, denn bei den ersten Begriffen vergeht nicht selten eine Stunde oder mehr für die Abstimmung. Mit jedem weiteren Begriff funktioniert es jedoch zunehmend schneller. Es empfiehlt sich daher, nur die für das Unternehmen wichtigsten Begriffe in einem Glossar zu definieren, um den Erfassungs- und Pflegeaufwand minimal zu halten. Als Daumenregel kann gelten, dass auch in großen Unternehmen nicht mehr als rund 1000 Begriffe sinnvoll und nutzbringend gepflegt werden können und sollten.

Im Gegensatz zum Glossar, das einzelne Begriffe erläutert, dient eine Taxonomie der Klassifikation von Begriffen und ihren Beziehungen in einem (meist hierarchischen) Ordnungssystem, oft auch als Begriffsbaum bezeichnet. Dadurch wird im Wesentlichen die Syntax von Begriffen festgelegt. Durch eine Taxonomie ist es etwa möglich, elektronische Dokumente in einem Portal einheitlich zu verschlagworten und damit leichter auffindbar zu machen. Auch die Navigationsleiste eines Portals wird durch eine einheitlich angewandte Taxonomie verständlich und dadurch leichter bedienbar.

Nun genügt es nicht, ein Glossar und eine Taxonomie einmalig erstellt zu haben. Begriffe verändern sich ständig und durchlaufen dabei einen Lebenszyklus ("Term Life Cycle", siehe Grafik Seite 59). Mit dem Aufkommen des World Wide Web wurde der Begriff "Homepage" von einem "free keyword" langsam zu einer "Vorzugsbenennung". Heute wird der Begriff immer seltener benutzt und ist nur noch ein Synonym zu der inzwischen dominanten "Website". Bei Klassifikation und Suche schießt man also auf bewegliche Ziele - in internationalen Unternehmen zumeist auch noch in mehreren Sprachen.

Daher stellt sich die Frage, ob bei Begriffsänderungen alle Dokumente reklassifiziert werden müssen oder ob sich der neue und der alte Begriff als Synonyme verwenden und ensprechend in den Thesaurus einer Suchmaschine einbinden lassen. Die Erfahrung zeigt, dass die Pflege mehrsprachlicher Taxonomien mit Synonymen letztendlich effizienter ist als eine ständige Neu-Klassifikation von Dokumenten. Moderne Suchmaschinen übernehmen auch schon einen Teil der Taxonomiepflege durch Automatismen.

Auf jeden Fall sollten aufgrund des "Term Life Cycle" frühzeitig Bewirtschaftungsprozesse für Glossare und Taxonomien definiert und implementiert werden, um der ständigen Veränderung unserer Begriffswelten gerecht zu werden. Bei Glossaren unterscheidet man die "Begriffsaufnahme", die alle Aktivitäten im Zusammenhang mit einer erstmaligen Erfassung von Begriffen umfasst, und die "Begriffsüberarbeitung". Hierbei geht es um notwendige Modifikationen von Begriffen. Die "Begriffsarchivierung" schließlich löst veraltete Termini aus dem operativen Wortschatz eines Unternehmens heraus.

Um eine Taxonomie zu entwickeln, werden zunächst die in einem Unternehmen vorhandenen Informationen in Gruppen eingeteilt. So ist eine Gliederung nach Produkten, Dienstleistungen, Prozessen, Kunden oder anderen Kriterien möglich. Für diese taxonomischen Dimensionen lassen sich entsprechende Attribute sowie dazugehörige Werte festlegen. Bei einem Kreditinstitut wäre in der Dienstleistungs-Dimension beispielsweise das Attribut "Vermögensbildung" mit den möglichen Werten "Fondssparen", "Lebensversicherung" und "Bausparen" denkbar.

Die Erfassung der Attribute und Werte einer taxonomischen Dimension muss durch entsprechende Fachabteilungen beziehungsweise Fachvertreter erfolgen, da diese in ihrem jeweiligen Bereich die größte Kenntnis der Begriffe und Begriffsbeziehungen aufweisen. Den Abschluss des erstmaligen Aufbaus einer Taxonomie bildet die Bereitstellung der gewonnenen Begriffe und Relationen für die jeweilige Zielgruppe, etwa über eine Schlüsseldatenbank zur Klassifizierung von elektronischen Dokumenten.

Nachdem man am Anfang eines Terminologie-Management-Projektes alles perfekt machen will, kommt rasch die Einsicht in notwendige Vereinfachungen. So schmolz der Definitionsrahmen eines unternehmensweit verfügbaren Glossars bei einer großen Schweizer Krankenversicherung von anfänglich 45 auf schließlich acht Attribute zusammen, um die Praktikabilität zu erhöhen und den Erfassungsaufwand zu verringern. Basierend auf diesem Rahmenwerk plant das Unternehmen, innerhalb von drei Monaten die 150 wichtigsten Begriffe in vier Sprachen unternehmenseinheitlich zu definieren.

Branchenstandards helfenDer Aufbau von Glossaren und Taxonomien wird durch bestehende Branchen- oder Industriestandards erleichtert. Normungsinstitute, Industrie- und Handelskammern oder auch große Konzerne der jeweiligen Branche bieten hierfür eine gute Ausgangsbasis. Innerhalb eines Unternehmens können hilfreiche Informationen oft auch aus den ERP-Systemen herangezogen werden. Diese liefern beispielsweise eine bewährte Klassifikation und Benennung von Kunden, Produkten, Regionen oder Organisationseinheiten.

Auch lässt sich die Pflege und Bewirtschaftung von Glossaren durch IT-Unterstützung erheblich vereinfachen. An erster Stelle steht hier der Aufbau einer Glossar- und Taxonomiedatenbank. Der Zugriff durch einen großen Nutzerkreis, etwa über ein B-to-E-Portal, wird dabei von vielen Herstellern bereits standardmäßig angeboten (Trados "Multiterm Web Access", Star AG "Termstar/Webterm"). Die strukturierten und repetitiven Pflegeprozesse des Terminologie-Managements lassen sich zusätzlich gut durch Workflow-Management-Systeme unterstützen.

Eine teilautomatische Erstellung von Taxonomien wird mittlerweile von einigen Herstellern angeboten. Hierzu zählen beispielsweise Semio mit "Taxonomy", Autonomys "Portal-in-a-Box", der "Intelligent Classifier" von Verity, der "Knowledge Discovery Server" aus dem Hause Lotus oder SERs "Brainware". Dabei werden entweder vorgegebene Begriffsbäume auf Dokumentenbestände angewandt, oder es wird aus vorhandenen Dokumenten ein Begriffsbaum extrahiert und offengelegt.

Begriffsbaum-SchulenDer Intelligent Classifier der Firma Verity bietet zum Beispiel die Möglichkeit, den extrahierten Begriffsbaum zu editieren und dabei die bei seinem Aufbau verwendeten Regeln einzusehen und zu verändern. Als Ergebnis entsteht für die Nutzer eines B-to-E-Portals eine Navigationsstruktur mit Kategorien und Unterkategorien, wie sie beispielsweise aus dem Web von Yahoo bekannt ist.

Auch der Knowledge Discover Server (KDS) von Lotus ermöglicht eine navigierbare Kategorienstruktur über die Knowledge Map (K-Map), wobei jedoch die Backend-Komponente des Lotus-Produkt anders als bei Verity konzipiert ist. Der KDS nimmt selbständig eine Kategorisierung zum Zeitpunkt der Dokumentenindexierung vor. Dazu werden die in den Dokumenten enthaltenen Begriffe analysiert. Die so in Kategorien der K-Map eingeordneten Dokumente können anschließend von einem Administrator per Drag-and-Drop in andere Kategorien verschoben werden, wodurch das System seine Zuordnungsregeln adaptiert und sozusagen "lernt".

Derartige Werkzeuge vereinfachen den erstmaligen Aufbau von Glossaren und Taxonomien erheblich. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Beherrschung des "Term Life Cycle" vor allem eine organisatorische Herausforderung für die Unternehmen darstellt. Ohne ein ausgefeiltes Bewirtschaftungskonzept landen terminologische Instrumente für gewöhnlich schnell in der Kategorie "Sonstiges".

*Stefan Kremer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI) der Universität St. Gallen. Gerold Riempp ist Projektleiter des Kompetenzzentrums Customer-Knowledge-Management am IWI der Universität St. Gallen (ccckm.iwi.unisg.ch).

Abb: Begriffswandel

Begriffe verändern sich ständig und durchlaufen einen Lebenszyklus. Daher genügt es nicht, ein Glossar und eine Taxonomie einmalig zu erstellen. Quelle: Kremer/Riempp, IWI St. Gallen