Aufforderung zum Streit Dieter Eckbauer

29.10.1993

Haben es die Veranstalter und die Aussteller noetig, die Systems schoenzureden? Sollte sich die informationstechnische Industrie um eine Standortbestimmung aus Anlass der Muenchner DV-Messe im Krisenherbst 1993 bemueht haben, so wurde eine Gelegenheit verpasst. Dass die Erwartungen erfuellt wurden, glaubt wohl niemand - der Besucherrueckgang war deutlich (Seite 1). So drueckt der Abschlussbericht der Messe Muenchen nur die Rat- und Sprachlosigkeit der Brancheninsider aus. Die Industriesprecher ueben sich in einer Duck-dich-Diplomatie, wo Streitlust angesagt waere. Man will einen Silberstreif am Branchenhorizont ausgemacht haben, so das Kommunique, es koenne aber auch sein, dass der Schein truegt.

Dem Systems-Beobachter faellt es nicht schwer, sich diesem Tonfall anzupassen. Falls dem Kolumnisten etwas Wichtiges entgangen sein sollte, dann aenderte sich sein Eindruck, oder er bliebe so, wie er ist. In diesem Punkt geht es ihm wie sicher vielen anderen Besuchern: Man sieht am Messe-Ende den Wald vor lauter Baeumen nicht mehr. Es gehoert ja gerade zum Wesen deutscher DV-Messen, dass sie die Trennung in Fach- und Publikumsmesse aufheben, jedem etwas bieten wollen und damit zwangslaeufig vieles schuldig bleiben. Auch die Systems ist eine Aber-Messe: alles relativ. So reichten die Ausstellermeinungen ueber das Messepublikum von "wenig, aber qualifiziert" bis "nicht sehr viel, aber qualifiziert" - immerhin war man sich in bezug auf das Wishful-Thinking-Ziel einig.

Beim Showteil war das Anfassbare interessanter als etwa der Versuch, Multimediales in einer virtuellen Welt sinnlich wahrnehmbar zu machen - da tappte der Besucher nicht selten im Dunkeln. Bei den neuen RISC-Rechnern, beispielsweise dem Power-PC von IBM, gibt es dagegen das, was der Anwender erwartet: enorme Mehrleistung im Workstation-Bereich zu einem leider fuer viele noch inakzeptablen Preis.

Was auf den RISC-PC zutrifft, gilt fuer Technikzyklen allgemein: Die Pioniere unter den Herstellern und Anwendern muessen gut gepanzert sein. Damit kommen wir auf das zurueck, was die DV- Industrie bewegt: Geht es wirtschaftlich wieder aufwaerts? Wenn Innovation Voraussetzung fuer den Aufschwung ist, dann muss einem um die DV-Branche nicht bange sein. Innovation findet statt: bei der Prozessortechnik, bei objekt-orientierter Software, bei Kommunikationssystemen - nicht in Quantenspruengen, aber die koennten die Anwender eh nicht nachvollziehen.

Wie sieht es in der DV-Branche aus? Unsere Eingangsfrage und die Aufforderung zum Streit. Zum Computer liesse sich sagen, was Bertolt Brecht ueber das Radio bemerkte: "Die Resultate sind beschaemend, seine Moeglichkeiten unbegrenzt. Also ist es eine gute Sache" (Aus dem Beitrag: "Eine epochale Angelegenheit, aber wozu?" von Harro Zimmermann im Feuilleton der "Sueddeutschen Zeitung" vom 23./24. Oktober 1993). Auf dem Plakat eines Systems-Ausstellers stand: "Und was nuetzt Ihnen das alles?" Insofern war die Muenchner Messe durchaus ein Barometer - auch wenn es der Kellner im Messe- Nobel- restaurant ganz anders sah.