Technikgestützte Sachbearbeitung vor Ort bekommt Boden unter den Füßen:

Auf dem Weg in die Telearbeitsgesellschaft

18.03.1988

FRANKFURT - "Kinder, Küche und Computer" ist kein Thema mehr, wenn von Telearbeit die Rede ist. Ihr Nutzen reicht nämlich weiter: Vor allem als Mischfonn zwischen Schreibtisch und Heim hat Fernarbeit, so die Aussagen einer Studie des Berliner IZT Instituts, in nahezu allen Branchen Zukunft.

"Derzeit ist die Öffentlichkeit weder über die qualitative noch über die quantitative Entwicklung der Telearbeit in den unterschiedlichen Wirtschaftssparten im Bild', postuliert Rolf Kreibich. Spekulative Zahlen über die Zunahme der technikgestützten Heimarbeit, darin stimmt der Geschäftsführer des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung IZT in Berlin mit DV-Arbeitsforschern überein, hätten in der Vergangenheit ebenso für Aufregung gesorgt wie spektakuläre Thesen über die sozialen Folgen (siehe CW Nr. 46 vom 14. November 1986 und CW Nr. 12 vom 20. März 1987).

Das IZT erweiterte in einer Untersuchung, die das Rationalisierungs Kuratorium der Deutschen Wirtschaft in Eschborn (RKW) in Auftrag gab, das Spektrum: Für die Berliner gilt als Telearbeit, was mit der "Tendenz zur Dezentralisierung mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechniken" (IuK) zu umschreiben ist. Dazu zählt der "individualisierte Extremfall im Wohnzimmer" ebenso wie das Facilities-Management, beispielsweise die Übernahme der DV-Geschäfte bei Opel durch die Rüsselsheimer Electronic Data System GmbH.

Technikgestützte dezentrale Arbeit bekommt Boden unter den Füßen. Bereits ein Viertel der über 800 befragten Unternehmen aus 22 Branchen hat laut IZT-Studie die Dezentralisierung bei Arbeitsvorgängen durchgeführt oder plant sie. Rundfunkanstalten, das Kredit- und Versicherungswesen sowie der öffentliche Dienst sind dabei Vorreiter. IuK-unterstützt auf den Weg gemacht haben sich ebenfalls die Elektrotechnik und der Automobilbau.

Dabei treten zahlreiche Formen der Dezentralisierung in Erscheinung, wie etwa Satellitenbüros oder mehrere wechselnde Arbeitssitze, vor allem in Ballungsräumen.

Telearbeiter nutzen bei ihrem Job öffentliche Dienste unterschiedlich stark. Traditionelle Einrichtungen wie Telex (39 Prozent), Teletex (18 Prozent) oder Telefax (34 Prozent) liegen vorn. HfD-Leitung, Datex-P und Datex-L beanspruchen zwischen 28, 24 und 15 Prozent. Unbehagen, auch über das geplante bundesdeutsche Telekommunikationsnetz wird laut: "Die ISDN-Sekunde zu 23 Pfennig ist zu teuer."

Bei den Endgeräten führen Datensichtgeräte (47 Prozent) vor PCs (39 Prozent) oder tragbaren Terminals (10 Prozent) die Statistik an.

Vor allem qualifizierte Angestellte und das Management sehen die Berliner Zukunftsforscher als potentielle Nutzer, können sie doch dann Arbeitszeit und -rhythmus in eigener Regie gestalten. Simplere Tätigkeiten, etwa die Texterfassung, sind "aus organisatorischer Sicht Abschußobjekte", weiß Ahmet Cakir vom Ergonomic-Institut für Arbeits- und Sozialforschung in Berlin. Ferngearbeitet wird mit Erfolg in der Programmierung oder DV-Wartung und -Beratung. Vorteile mit der Tele-

50 000 Jobs sind teleheimarboitsverdächtig

Alternative erwirtschaften Banken derzeit bereits in der Kundenbetreu- ung wie in der Sachbearbeitung. "ln der Versicherungswirtschaft gelten", so die Rationalisierungsfachfrau Elisabeth Becker-Töpfer aus dem Hauptvorstand der Gewerkschaft HBV, "bis 50 000 Sachbearbeiterplätze als teleheimarbeitsverdächtig."

Unternehmen bestätigten in der IZT-Umfrage: Telearbeiter erwirtschaften Zusatznutzen. Die neue Arbeitsform rechnet sich nicht nur bei herkömmlichen betriebswirtschaftlichen Kriterien, etwa der Rationalisierung oder einer besseren Arbeits-organisation. Besonders unternehmensstrategische Ziele werden unterstützt: Für Wettbewerbsvorteile vie "größere Nähe am Markt und Kunden, verbesserter Service, Wartung und schnellerer Informationszugang sowie Produktflexibilität", rührt Wilhelm Scheuten, IBM-Ressort Bildung und Informationstechnik in Stuttgart, die Trommel.

Stimmt das Klima im Unternehmen, steht der neuen "Heimarbeit" kaum etwas im Wege. Dazu trägt nach IZT-Ansicht bei, wenn "der Technikeinsatz frühzeitig bewußt gestaltet wird". Fehlen allerdings günstige innerbetriebliche psychologische und soziale Bedingungen, registrierten die Berliner häufig den Abbruch der dezentralen Arbeit oder aber einen hohen Kosteneinsatz dafür. Kommunikationswissenschaftler Axel Zerdick von der Freien Universität Berlin: "Der Faktor Loyalität ist nicht zu unterschätzen." Vor allem dürfen sich Arbeitnehmer im IuK-Netz nicht als "Beschäftigte zweiter Klasse" fühlen. Geht nämlich die Bindung zum Zentralbereich verloren, wächst die Furcht vor Karriereverlusten oder Einbußen bei Qualifikationen und mindert das Engagement.

Allerdings sind die Gewerkschaften bei dem Thema Dezentralisierung bereits auf der Hut. Schon heute beobachten sie nämlich die Spaltung in Stamm- und Randbelegschaften. Zwar wird es, versichern die Berliner Forscher, nicht zu Massenauslagerungen kommen. Doch noch wirft die "Telearbeit" zahlreiche tarifvertragliche, beschäftigungspolitische, arbeits- und nicht zuletzt auch datenschutzrechtliche Fragen auf.