Überlebensstrategien kleiner Systemhäuser

Auf Augenhöhe mit den Kunden

09.05.2003
MÜNCHEN (rs) - Sie sind klein und fallen kaum auf, doch in der Summe vereinen sie ein Riesenpotenzial auf sich: In Deutschland tummeln sich schätzungsweise zwischen 6000 und 8000 Systemhäuser. Sie bewegen sich dort, wo die großen Hersteller im Moment so gerne hin möchten - im Mittelstand.

Die deutsche Wirtschaft ist von mittelständischen Betrieben geprägt. Sie erwirtschaften 45 Prozent aller steuerpflichtigen Umsätze, beschäftigen 70 Prozent aller Arbeitnehmer, bilden 80 Prozent aller Lehrlinge aus, tätigen 46 Prozent aller Investitionen und entwickeln 75 Prozent aller Patente. Kein Wunder, dass die IT-Industrie ein Auge auf diese Klientel geworfen hat. "Auch wenn der Einblick in diesen Bereich schwer ist", urteilt Ulrich Kemp, Deutschland-Chef von Fujitsu-Siemens Computers, "es ist auf jeden Fall ein mächtiger Markt."

Doch so attraktiv der Mittelstand auch für die Hersteller sein mag, so schwierig ist er zu erreichen. "Der IT-Durchdringungsgrad und die IT-Reife weisen im Mittelstand erhebliche Unterschiede aus", beobachtet Matthias Zacher von der Meta Group. Vertrauen zählt hier im Endeffekt mehr als jeder noch so gut eingeführte Markenname.

Partner der Hersteller

Wichtigster Partner der Systemhersteller im potenziellen Geschäft mit den Kleinen und Kleinsten sind die Systemhäuser. Doch auch hier ist im Lauf der Jahre ein stark zersplitterter Markt entstanden: Neben den zwei dominierenden Anbietern CC Compunet und Bechtle, die im vergangenen Jahr einen Umsatz von knapp 1,2 Milliarden beziehungsweise 750 Millionen Euro erwirtschafteten, gibt es nur elf weitere Firmen, die im vergangenen Jahr mehr als 100 Millionen Euro einnehmen konnten.

Die schätzungsweise rund 6000 bis 8000 Systemhäuser teilen sich das IT-Geschäft mit dem deutschen Mittelstand, dessen Volumen auf knapp 70 Milliarden Euro geschätzt wird. Wie die Münchner Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner in einer kürzlich durchgeführten Umfrage (siehe Kasten "Systemhaus-Studie") erhob, kämpfen viele von ihnen derzeit mit massiven Finanzierungsproblemen.

Dabei handelt es sich hier nicht nur um Folgen eines Ertragseinbruchs, der auf die Konjunkturkrise zurückzuführen ist, sondern auch um hausgemachte Probleme. "Die Cashcows, also der Hard- und Softwarehandel, wurde zu lange gemolken, während neue margenträchtige Ertragsfelder für die Zukunft nicht frühzeitig identifiziert und aufgebaut wurden", kritisiert Christopher Morell, Berater E-Consulting, bei Wieselhuber.

Offenheit ist das A und O

Eine Reihe von Systemhäusern dürften die gegenwärtige Auslese nicht überstehen. Allerdings gibt es genügend Häuser, die gut positioniert sind. "Überlebenschancen haben nicht nur die ganz großen, sondern auch die ganz kleinen Anbieter", ist Bechtle-Vorstandschef Gerhard Schick überzeugt. Die Kleinen verfügen demnach gegenüber den Big Playern über einen entscheidenden Vorteil: Sie bewegen sich auf Augenhöhe mit ihren Kunden, kennen deren Geschäft und können versprechen, lästige Arbeiten rund um die Hardware- und Softwareumgebung von ihnen fernhalten.

Ein Beispiel für ein kleines Systemhaus, das sich frühzeitig auf die Kundenbedürfnisse eingestellt hat, ist die Steinhilber Schwehr AG mit Sitz in Rottweil. Vor gut drei Jahren entschied sich das Unternehmen, kräftig zu investieren und unter anderem ein eigenes Rechenzentrum zu bauen, um auch Outsourcing anbieten zu können. Die Rechnung ging auf: Zwar hielten sich die Kunden anfangs zurück, doch "in letzter Zeit springen immer mehr auf das Thema an", so der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Eberle.

Entscheidend für den Unternehmenserfolg ist jedoch nicht nur das Angebotsportfolio, sondern die Fähigkeit, die Sprache der Kunden zu sprechen und deren Geschäftsprozesse zu durchschauen. "Unsere größte Kompetenz besteht darin, den Kunden und seine Produkte zu kennen", bringt es Eberles Vorstandskollege Karl Klemm auf den Punkt. Das Unternehmen bietet neben CAD-Systemen mit "Abas" und "Semiramis" zwei ERP-Systeme an und hat sich außerdem auf Netzwerktechniken spezialisiert. Das Angebot wird unter der griffigen Bezeichnung "Computer Komplett" vermarktet, denn mit modischen Anglizismen kann man im Mittelstand keinen Eindruck machen.

Der Schlüssel zum Projekterfolg liegt für Klemm darin, erst einmal eine konstruktive Atmosphäre zu schaffen. Offenheit sei dabei das A und O: Manchmal müssse man den Kunden regelrecht vor den Kopf stoßen und ihm beispielsweise mitteilen, dass ein Projekt mit den vorgesehenen Personen scheitern werde. Für Steinhilber Schwehr hat sich diese Geradlinigkeit ausgezeichnet. Seit 1994 ist das Unternehmen von rund 30 auf mittlerweile 270 Mitarbeiter angewachsen und betreut von zehn Niederlassungen aus rund 1700 Kunden. Zwar rechnet der Vorstand in diesem Jahr nicht unbedingt mit großen Sprüngen, doch ein Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro müsste zu erreichen sein.

Wider die Beratungstheorie

Eine völlig andere Strategie fährt dagegen das kleine Münchner Systemhaus Saynet. Manchem Unternehmensberater würden hier wohl die Haare zu Berge stehen, denn die Bayern denken gar nicht daran, sich aus dem Produktgeschäft zu verabschieden - im Gegenteil. Das Systemhaus, Anfang der 90er Jahre als DV-Pannendienst gegründet, hat erst vor zwei Jahren den Handel stark ausgebaut. "Das reine Systemhaus um die Distribution zu erweitern war ein Schritt gegen die Stagnation", berichtet Vertriebsleiter Klaus Luger. Noch vor gut zwei Jahren hatte die Firma rund 500 Produkte im Angebot, mittlerweile sind es zirka 25 000. Wider die Beratungstheorie scheint die Rechnung aufzugehen. Zwar spürte man auch bei Saynet, dass es im vergangenen Jahr "ruhiger wurde", doch gerade die Erweiterung um den Produkthandel konnte einen Großteil des fehlenden Dienstleistungsgeschäfts auffangen.

Am Beispiel Saynet zeigt sich jedoch auch, wie verwundbar die Systemhäuser sind. Im vergangenen Jahr litt der Anbieter mehrfach an Zahlungsausfällen. Noch immer steht eine Rechnung über 50 000 Euro offen. "Das schmerzt schon", räumt Luger ein. Die übliche Vorsorge, zunächst Erkundigungen über die Zahlungsfähigkeit des Kunden einzuholen, hatte in diesem Fall nicht geholfen.

Systemhäuser müssen also flexibel sein, um zu überleben. Saynet beispielsweise entdeckte eine lukrative Marktnische, als die Münchner für Patentanwaltskanzleien nach einer geeigneten Software für die Kanzlei- und Aktenverwaltung suchten. Das Systemhaus fand das passende Produkt, die Lösung eines australischen Herstellers, der vor zwei Jahren ins Europageschäft einsteigen wollte. Saynet entwickelte die Software weiter und hat mittlerweile nicht nur zufriedene Kunden, sondern auch das Vertriebsrecht im deutschsprachigen Raum für die Lösung erhalten.

Rund fünf Millionen Euro Umsatz erzielte das Unternehmen im vergangenen Jahr. Die Diagnose von Wieselhuber & Partner, derzufolge es den kleinen Systemhäusern an Marketing-Kompetenz fehlt, kann Luger bestätigen, doch Magenschmerzen bereitet ihm dieser Mangel nicht. Denn ein vorgeschriebenes Marketing-Konzept bringe starre Strukturen bei der Werbe- und Preispolitik mit sich und beschränke die Firma genau in dem Punkt, in dem sie als kleiner Anbieter ihren Wettbewerbsvorteil sieht, in der Flexibilität.

Kundenfang über das Internet

Dennoch gibt es durchaus Bereiche, in denen sich Werbung auszahlen kann, beispielsweise um den im November eingerichteten Internet-Handel anzukurbeln: "Jetzt haben wir einen Online-Shop", erzählt Luger, "nur weiß es keiner." Zwar ist er damit zufrieden, dass die Zahl der Besucher auf mittlerweile täglich rund 100 gestiegen ist. "Doch um die Klicks nochmal erheblich zu steigern, muss die Site aktiv beworben werden."

Auf das Internet schwört man auch beim Bremer Hanse Systemhaus. "Unser bester Kunde hat uns im Netz gefunden", berichtet Ralph Bösener, geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens. Bösener und zwei weitere Gesellschafter haben die Firma erst Anfang 2002 offiziell gegründet - in einer Phase also, als das große Geschäft mit IT-Investitionen bereits gelaufen war. Trotzdem sind die auf professionelle Unix-Systeme spezialisierten Hanseaten überzeugt, dass es der richtige Zeitpunkt war. Die durchschnittliche Abschreibungsphase für hochwertige Computersysteme beträgt drei bis fünf Jahre, lautet das Kalkül, und das, so Bösener, ist "ein nicht zu unterschätzender Motor". Neben den drei Gesellschaftern beschäftigt Hanse noch einen Mitarbeiter und erzielte rund 500 000 Euro Umsatz im vergangenen Jahr. Doch auch wenn das Unternehmen noch in den Kinderschuhen steckt - Erfahrungen haben er und seine Kollegen lange genug gesammelt. Bösener selber war bei einem Distributor beschäftigt, wo er die Behäbigkeit eines großen Unternehmens ständig vor Augen geführt bekam. "Da gab es einen festen Verhaltenskodex", beschreibt er das Dilemma. Wenn der Kunde etwas Ungewöhnliches wollte, dann war er bei der Firma falsch aufgehoben. Nachdem so einige Kunden vergrault worden waren, stand der Entschluss fest, es selbst zu versuchen. "Bei uns müssen nicht erst 23 Unterschriften eingeholt werden, bevor irgendetwas geht."

Weniger flexibel gestaltete sich anfangs jedoch die Finanzierung des Geschäfts, die Achillesferse von Hanse und anderen Systemhäusern, die für die Produkte in Vorleistung gehen müssen. Von den Banken war hier keine Hilfe zu erwarten. Hat sich ein Unternehmen noch nicht bewährt, sind auch keine Kredite zu bekommen. Aber auch hier half das Glück ein wenig nach: Für die erste teure Anschaffung, einen Server für 50000 Euro, verlangte der Distributor sofortige Bezahlung, doch Bösener konnte sich auf die Entrichtung der halben Summe einigen und das Geld von einer Partnerfirma leihen.

Und ebenso wie der Lieferant Vertrauen in das Unternehmen gewinnen musste, spielt das Thema auch für die Beziehung zum Kunden eine wichtige Rolle, bestätigt Bösener. Dabei unterscheidet er zwei Gruppen von Kunden: die IT-Erfahrenen und die IT-Unerfahrenen. Während erstere selber beurteilen können, ob das Systemhaus technisch kompetent ist, bleibt im Fall der "naiven" Klientel nur der Faktor Vertrauen: "Der Kunde muss den Eindruck haben, dass man das Richtige für ihn tut." Um aktuelle Produktkenntnisse zu haben, ohne dauernd auf Schulungen zu sein, bedienen sich die Bremer des Internet. "In dem geschützten Bereich der Hersteller sind sehr wichtige Informationen verborgen", sagt der gelernte Physiker. "Und an dem, was passiert, wenn Sie einen Computer einschalten, hat sich in den letzten 20 Jahren nichts geändert."

Systemhaus-Studie

Kleinsein allein reicht nicht

Die Münchner Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner hat knapp 80 mittelständische Unternehmen aus der Branche Systemhäuser und IT-Dienstleister mit einem Umsatz von mindestens fünf Millionen Euro angeschrieben und in persönlichen Telefoninterviews befragt. Die telefonische Beantwortung beziehungsweise Rücksendung von 48 Fragebögen (60 Prozent) bedeutet eine ungewöhnlich hohe Beteiligungsquote.

Die wichtigsten Ergebnisse:

- Externe Stärkung der Kapitalbasis zur Überlebenssicherung wird zunehmend attraktiv.

- Finanzprobleme und Liquiditätsengpässe sind zum großen Teil Folgen strategischer Versäumnisse.

- Übermäßiges Wachstum und fehlendes Kompetenzprofil gelten als häufigste Krisenursache.

- Die Konzentration auf ertragsschwache Geschäftsfelder überwiegt nach wie vor.

- Unternehmensstrukturen sind meist nur in Form von Personalunion vorhanden.

- Keine klaren Differenzierungsmerkmale aus Kundensicht.

- Unzureichende Positionierungsmerkmale - das Systemhaus ist immer noch Alleskönner.

- Den deutschen Systemhäusern fehlt zum großen Teil die Kundensicht, notwendige Marktperspektiven und klare Marketing-Konzepte.

- Es herrscht ein Mangel an branchenfokussierter Service- und Lösungskompetenz.

- Bis auf projektbezogenes Kosten-Controlling fehlt meist der klare Überblick über die Finanzen.

Christopher Morrell, verantwortlich für die Studie "Zukunftssicherung deutscher Systemhäuser", kommt dennoch zu dem Schluss, dass der IT-Markt besonders den mittelständischen Systemhäusern zahlreiche Betätigungsfelder bietet. Er empfiehlt deshalb gerade den "Kleinen" einen Strategieschwenk in das Service- und Dienstleistungsgeschäft sowie das eigene Profil zu schärfen.

Abb: IT-Markt in Deutschland

Mehr als zwei Millionen Unternehmen mit unterschiedlicher IT-Ausstattung bieten kleinen und mittleren Systemhäusern Aussicht auf gute Geschäfte. Quelle: Bechtle