IT im Automobilbau/Automobilhersteller testet und entwickelt im Grid

Audi nutzt Linux-Cluster für Simulationen

17.09.2004
Computercluster übernehmen immer häufiger die Aufgabe rechenintensiver Simulationsprozesse. Besonders Crashtests stellen hohe Ansprüche an die Hardwarelandschaft. Die Audi AG hat den Gedanken des Grid Computing umgesetzt und für den CAE-Bereich einen 636 Prozessoren umfassenden Linux-Cluster aus Sun-Servern implementiert. Von Jens Aukst*

Bereits in einer sehr frühen Entwicklunsphase testen die Automobilhersteller, wie sich ein neues Modell in der Praxis verhalten wird. Was früher in aufwändigen realen Versuchen ermittelt wurde, simulieren heute Computer. Insbesondere virtuelle Crashtests reduzieren die Entwicklungskosten erheblich. Ein Computermodell für die Simulation zu erarbeiten ist zwar zeitaufwändig, doch beträgt die Zeitersparnis ein Vielfaches.

Audi führte derartige technische Berechnungen in den achtziger Jahren auf IBM-Mainframes aus, danach auf einem Cray-Vektorrechner mit Workstations für Pre- und Postprocessing. Mitte der neunziger Jahre folgten Risc-Computer von SGI und HP. Im Jahr 2001 implementierte die IT-Abteilung ein Clustersystem. Der Vorteil von Clustern liegt in ihrer hohen Anpassungsfähigkeit.

Berechnungsingenieure verfeinern ihre Modelle auf Basis stochastischer Methoden laufend. Allein durch das Variieren weniger Versuchsparameter entstehen schnell Reihen von einigen hundert Simulationen. Zum hohen Simulationsbedarf trägt außerdem die Vergrößerung der Fahrzeugpalette von Audi bei. Die Zahl der Berechnungen nahm deutlich zu, der vorhandene Cluster reichte nicht mehr aus. Deshalb sondierte Audi im Februar 2004 den Markt nach Systemen, auf denen die Crashtest-Software "Pam-Crash" von ESI und das Programm "Feko" von EMSS zur Berechnung elektromagnetischer Verträglichkeit eingesetzt werden sollten.

"Hauptkriterien waren die äußerst gute Performance, verbunden mit einem attraktiven Preis", erläutert Volker Rutsch, Fachreferent CAE-Applikations-Management bei Audi, seine Entscheidungsgrundlage. Die Audi-Spezialisten suchten nach einem Linux-Cluster mit Intel-IA32-Prozessoren. Die Alternative des "AMD Opteron" konnte aus Zeitgründen nicht hinreichend auf Verlässlichkeit und Stabilität hin untersucht werden. Zudem wäre diese Lösung bei nur etwa zehn Prozent mehr Leistung deutlich teurer gewesen. "Wir schließen den Einsatz dieser Systeme in Zukunft nicht aus. Voraussetzung dafür wären ausreichende Erfahrungswerte", erklärt Rutsch. Grund für die Wahl des IA32-Prozessors war in erster Linie, dass die Mehrzahl der Pam-Crash-Anwender im Laufe der Zeit ihre Datenmodelle auf diese Plattform umgestellt hatte.

Zur Bemessung des Clusters haben die Audi-Spezialisten aus typischen Fällen der täglichen Arbeit Benchmarks erstellt und den Systemanbietern zur Verfügung gestellt. Aufgrund ihrer Auswertungen und des täglichen Berechnungsvolumens wurde die Clusterlandschaft auf 636 Prozessoren ausgelegt. Nach einem direkten Vergleich fiel die Entscheidung auf einen Sun-Fire-V65x-Server und einen 316-Sun-Fire-V60x-Server mit je zwei Dual Xeon 3,06 GHz schnellen Prozessoren. Die mit einem Hauptspeicher von zwei und vier GB bemessenen Server sind mit bis zu vier SCSI-Festplatten je 71,6 GB ausgerüstet. Zehn Nortel-5510-Switches verbinden den Cluster über zwei Gigabit-Ethernet Leitungen via Split MLT (Multi Link Trunking) mit zwei Nortel- Passport-Switches im Audi-LAN.

Eine große Erleichterung

Ersetzt wurden alte Systeme mit einer Gesamt-Prozessor-Taktleistung von rund 300 Gigahertz. So betrachtet taktet der neue Sun-Cluster mit mehr als der sechsfachen Leistung: knapp 2000 GHz. "Ausschlaggebendes Argument für Sun war das gute Preis-Leistungs-Verhältnis", betont Manfred Schilcher, Leiter CA-Applikations-Management bei Audi, die Entscheidung für Sun Microsystems und ergänzt: "Außerdem hat uns die schnelle Auftragsbearbeitung beeindruckt: Vom Bestelltermin bis zur Lieferung vergingen nur fünf Wochen. Innerhalb dieses Zeitraums konnte nur Sun Produktion und Anlieferung gewährleisten." Schließlich wurden die Systeme sogar eine Woche früher geliefert, so dass auch noch die Installation und die Abnahme stattfinden konnten. Der Hintergrund für die kurze Abwicklungszeiten: Sun hat seine Organisa- tionsstruktur um die "Customer Ready Systems" erweitert. Diese Taskforce mit Sitz in Schottland kümmert sich generalstabsmäßig um die Qualitätssicherung und Auslieferung zeitkritischer Aufträge in Europa.

Innerhalb von drei Tagen hat das Team mit der vom Tübinger Systemdienstleister Science und Computing AG entwickelten Cluster-Management-Software "S.Cluster" alle 318 Systeme mit dem Betriebssystem Red Hat Linux 8 bestückt. Hans-Ulrik von Bülow, Senior CAE Systems and Methods Analyst der Audi AG, erklärt die Wahl des Betriebssystems: "Wir setzen das Betriebssystem Red Hat Linux 8.0 aus mehreren Gründen ein: zum einen wegen der Unterstützung der Skalierbarkeit des Systems, zum anderen, weil es im technischen Anwendungsbereich weit verbreitet ist und unsere Mitarbeiter viel Erfahrung damit haben." Für den Remote Access der Clusterknoten ist Sun IPMI (Intelligent Power Management Interface) im Einsatz. "Es ist eine große Erleichterung, die Server aus der Ferne nicht nur zurückzusetzen oder herunterzufahren, sondern sogar einschalten zu können, da die Entfernung zwischen Büro und Rechenzentrum etwa zwei Kilometer beträgt", freut sich Rutsch über den Komfort der intelligenten Steuerung. Für die Ressourcenverteilung im Cluster setzt Audi LSF von Platform Computing ein. Mit dessen Queueing-System können die Rechenkapazitäten strategisch auf einzelne Anwendergruppen verteilt werden.

Auslastung signifikant erhöht

Audi setzt mit dem Cluster die Idee des Grid Computing um. Grundprinzip ist, ankommende Rechenaufträge von der Load- sharing-Software auf die am besten geeigneten und am wenigsten belasteten Rechner zu verteilen. Dadurch lässt sich die Auslastung einer vernetzten Rechnerlandschaft signifikant erhöhen. Gleichzeitig kann für die abteilungs- übergreifende Nutzung exakt festgelegt werden, welcher Nutzungsanteil am Cluster Grid einer Abteilung zugestanden wird. So ist gewährleistet, dass die firmenpolitischen Prioritäten auch bei der Vergabe der IT-Ressourcen eingehalten werden. (bi)

*Jens Aukst ist freier Autor in München.

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