Auch in Second Life gelten Gesetze

26.07.2007
Von Karolin Nelles 
Wer die 3D-Welt im Internet für einen rechtsfreien Raum hält, ist auf dem Holzweg. Bewohner der virtuellen Parallelwelt müssen sich an Regeln halten.

Die virtuelle 3D-Welt Second Life im World Wide Web liegt im Trend. Mittlerweile tummeln sich dort rund 7,8 Millionen Besucher aus Ländern rund um den Globus. Das Spannende an diesem Telemedium ist, dass sich virtuelle und reale Welt vermischen. Menschen bewegen sich in einem irrealen Kosmos, der jedoch eng mit der wirklichen Welt verknüpft ist: Die Währung in Second Life der Linden Dollar lässt sich in handfeste amerikanische Dollar umtauschen. Universitätsvorlesungen und Geschäftstreffen werden abgehalten, und es gibt unzählige Verweise auf Internet-Seiten. Second Life ist zudem voll mit Werbung für "reale" Produkte.

Fünf Tipps für Firmen

Bei Präsenzen und Shops sollten Sie stets der Impressumspflicht genügen. Möglichkeiten zur Einsicht in das Impressum bieten beispielsweise Nachrichten an den Eingängen und Klickpunkte an anderen stark besuchten Stellen.

Insbesondere bei der Schaltung von Werbung ist es ratsam, die allgemein anerkannten Rechtsstandards zu beachten.

Machen Sie bei Angeboten und Werbung immer kenntlich, ob es sich um rein in der virtuellen Welt stattfindende Tätigkeiten handelt oder ob ein Realitätsbezug vorhanden ist, zum Beispiel bei Werbung für ein Internet-Gewinnspiel.

Verdeutlichen Sie durch die jeweilige Sprache und Aushänge, auf welchen Markt das Angebot oder Geschäft zielt. Das schafft zumindest etwas mehr Rechtssicherheit, weil klarer wird, welches Recht im Streitfall anzuwenden ist.

Mit dem Aufbau einer Präsenz ist es nicht getan. Kontrolle ist das Stichwort. So sollten nicht nur die Räume ständig überwacht werden, um unerlaubte Handlungen unverzüglich zu unterbinden. Auch das angeheuerte Personal in Form von Second-Life-Bewohnern sollte regelmäßig kontrolliert werden. Diese Überprüfung muss sich auch auf die Inspektion von anderen Second-Life-Bereichen erstrecken, um Marken- und Urheberrechtsverletzungen Dritter zu unterbinden.

Fünf Tipps für Verbraucher

Geben Sie gegenüber Dritten nie Ihre wirkliche Identität oder andere personenbezogene Daten preis. Sie wissen nicht, wer sich hinter einem Avatar verbirgt und was mit diesen Informationen passiert. Bitte beachten Sie auch, dass andere Ihre Gespräche und Kommentare mithören können, solange Sie sich nicht im IM-Modus (Instant Messaging) mit jemandem unterhalten.

Folgen Sie, insbesondere was mögliche Straftaten wie Beleidigung, Betrug und Verbrei-tung von Pornografie anbelangt, dem gleichen Rechtsverständnis und denselben Moralvorstellungen wie im realen Leben. In Second Life sind Sie nur bedingt anonym.

Geschäfte in Second Life sind mit einem wesentlich höheren Risiko verbunden als im realen Leben. Der Betreiber hat hinsichtlich seines Wechselkurses, der Schließung von Konten und der Beendigung von Second Life relativ freie Hand. Auf das Geld, das Sie in der virtuellen Welt anlegen, sollten Sie keinesfalls angewiesen sein.

Da der bisherige Jugendschutz innerhalb von Second Life völlig unzureichend ist, sollten Erziehungsberechtigte die entsprechenden Aktivitäten ihrer Kinder genau beobachten.

Anstatt Linden Dollars zu kaufen, sollten die vielen Möglichkeiten genutzt werden, durch bestimmte Tätigkeiten und Verhaltensweisen innerhalb von Second Life Geld zu verdienen. Hierdurch halten Sie Ihr finanzielles Risiko gering.

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592084: Second Life wann eine Präsenz sich lohnt.

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was Firmen und Verbraucher beachten sollten, um rechtlich auf der sicheren Seite zu bleiben;

welche Rechtsverletzungen in der virtuellen Welt am häufigsten vorkommen;

warum es schwer ist, Verstöße zu ahnden und sein Recht durchzusetzen.

Diese enge Verknüpfung von virtuellem und realem Leben hat die Diskussion darüber angeheizt, ob Second Life rechtlich genügend abgesichert ist. Denn das künstliche Universum im Web hat auch seine Schattenseiten. Die Palette der Rechtsverstöße reicht vom Drogen- und Waffenhandel bis hin zur Kinderpornografie. Ein rechtsfreier Raum, in dem jeder tun und lassen kann, was er will, ist Second Life aber nicht. Neben den vom Betreiber Linden Lab aufgestellten Regeln und Nutzungsbedingungen gilt auch das in der realen Welt vorgegebene Recht.

Auch virtuelle Geschäfte sind Rechtsgeschäfte

Deutsches Recht lässt sich aber immer nur dann anwenden, wenn ein Vorgang in Second Life einen Bezug zu Deutschland hat oder ein in Deutschland Ansässiger beteiligt ist. Ein erster Anhaltspunkt dafür ist die Sprache. Auch wenn die deutsche Second-Life-Version noch auf sich warten lässt, gibt es jetzt schon Bereiche mit einem klaren Bezug zu Deutschland wie das Apfelland oder den T-Online-Strand.

Beim Kauf von Gegenständen oder Grundstücken aus Bits und Bytes berührt sich die virtuelle Welt mit der sonstigen Realität, da die Umtauschmöglichkeit der Linden Dollar jeden Kauf auch zu einem Rechtsgeschäft in der wirklichen Welt macht. Hier will der Gesetzgeber mitreden. Zu beachten ist jedoch, dass bei einem Auto- oder Hauskauf in Second Life im juristischen Sinne kein Sachkauf, sondern ein Rechtskauf stattfindet. Denn natürlich erhält der Käufer bei dem Geschäft kein gegenständliches Produkt. Er besitzt lediglich das Recht, den virtuellen Gegenstand in Second Life zu nutzen.

Auch Firmen sollten sich der rechtlichen Relevanz ihrer Second-Life-Aktivitäten bewusst sein. Unternehmen nutzen die virtuelle Welt überwiegend als Werbeplattform. Dabei geht es primär darum, Präsenz zu zeigen, sich dadurch als dynamisch und "trendy" darzustellen und für wenig Geld in die Schlagzeilen zu gelangen.

Wer diesen Weg wählt, muss sich jedoch um die Einhaltung geltenden Rechts kümmern. Am T-Online-Strand etwa tummeln sich die Massen zum Tanzen, Sonnen und Chatten. Hier gibt es Sicherheitspersonal, das den Bereich überwacht und illegale Aktivitäten verhindern soll. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um einfache Nutzer, die einen entsprechenden Job innerhalb von Second Life angeboten bekommen haben. Es ist fraglich, ob dies ausreicht, um Haftungsrisiken auszuschließen.

Unternehmen sollten virtuelle Grundstücke genau überwachen

Keineswegs lässt sich ausschließen, dass ein Unternehmen für rechtswidrige Handlungen auf seinem Grundstück zur Verantwortung gezogen wird. Bei Unterlassungsansprüchen wegen Urheberrechts- oder Markenverletzungen kommt es stets darauf an, ob das Unternehmen verpflichtet war, seinen Verantwortungsbereich zu prüfen und gegebenenfalls einzuschreiten. Dies ist spätestens nach konkreten Hinweisen auf Rechtsverletzungen der Fall.

Zurzeit treten fünf Typen von Rechtsverletzungen immer wieder auf:

Fälschungen von Identitäten

Viele Unternehmen sind mit ihrem Logo und ihren Produkten in Second Life vertreten, obwohl sie gar nichts davon wissen. So hat eine Studie der Agentur P4M kürzlich aufgedeckt, dass 59 Prozent der Marken in Second Life Fälschungen sind. Konkrete Hinweise auf diese Markenverletzungen werden durch Linden Lab offensichtlich ignoriert, obwohl der Betreiber stets beteuert, dass Gesetzesverstößen umgehend nachgegangen werde. Da Second Life auch für deutsche Nutzer zugänglich ist, ist Linden aber spätestens dann, wenn Fälschungen nach konkreten Hinweisen nicht innerhalb einer angemessenen Zeit entfernt werden, zur Haftung verpflichtet. Allerdings ist es aufwändig, den Betreiber in Deutschland vor Gericht zu bringen. International aufgestellte Unternehmen sollten für solche Fälle eher Rechtsschutz innerhalb der USA anstreben.

Raubkopien und Übernahme fremder Leistungen

Ob Gebäude, Texte, Bilder oder Musik, all diese Dinge genießen den rechtlichen Schutz des Urheber- und Wettbewerbsrechts. Viele Nutzer von Second Life gehen darüber hinweg und bilden in der realen Welt existierende Gebäude wie etwa im Second-Life-Bereich "Preußen" das Brandenburger Tor oder den Fernsehturm vom Berliner Alexanderplatz inklusive der berühmten Uhr nach. Die Stadt Berlin teilte mit, sie sei nur "teilweise" involviert gewesen, und der Senat habe an einem solchen Projekt überhaupt kein Interesse. Auch die ungefragte Übernahme digitaler Abbildungen von Häusern, Shops und Produkten greift immer stärker um sich. Dies verletzt die Urheberrechte des ursprünglichen Erstellers.

Fehlende Rechtsbelehrung

Shops und Präsenzen von Unternehmen müssen auch in Second Life gemäß dem Telemediengesetz ihrer Impressumspflicht genügen. Bislang jedoch verfügt kaum eine Firmenniederlassung über ein solches Impressum. Dies ließe sich beispielsweise als Notecard versenden, sobald der Nutzer bei dem Shop beziehungsweise der virtuellen Location ankommt. Ferner könnte es an Eingängen aufgestellt werden. Bei Shops, die Waren wie zum Beispiel Musik auch für die reale Welt anbieten, müssen die Anbieter ihre Informationspflichten nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch erfüllen. Das ist vorgeschrieben, soweit ein deutscher Avatar in diesen Läden einkauft. Dazu gehört eine ausführliche Belehrung über ein Widerrufs- oder Rückgaberecht. Auch dies geschieht in dem virtuellen Paralleluniversum nur äußerst selten.

Mangelnder Schutz Minderjähriger

Linden Lab selbst schreibt vor, dass die Nutzer von Second Life mindestens 18 Jahre alt sein müssen. 13- bis 17-Jährigen steht nur ein speziell angepasstes "Teen Second Life" zur Verfügung. Eine wirksame Altersüberprüfung findet jedoch nicht statt. Werden innerhalb von Second Life Inhalte zugänglich gemacht, die nicht für Minderjährige geeignet sind, müssten nach Jugendmedienschutzstaatsvertrag angemessene technische Vorkehrungen getroffen werden, um diese Angebote vor dem Zugriff Minderjähriger zu schützen. Hier steht der Anbieter in der Pflicht, solange er seinen Dienst auch in Deutschland zugänglich macht.

Pornografie

In die negativen Schlagzeilen geraten ist Second Life in den vergangenen Monaten vor allem wegen der Verbreitung von Kinderpornografie. Zu Recht hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) darauf hingewiesen, dass Geschlechtsverkehr mit kindlichen Avataren als Kinderpornografie gilt und daher unter Strafe steht. Auch das Vertreiben von pornografischen Inhalten in Second Life erfüllt einen Straftatbestand, wenn der Käufer ein Minderjähriger ist. Inzwischen ermitteln bereits die Landeskriminalämter.

Bessere Vollstreckung wichtiger als Gesetze

Linden Lab kämpft jedoch auch an ganz anderen Fronten mit gewaltigen Rechtsproblemen. Der Betreiber kann jederzeit nach freiem Ermessen seinen Wechselkurs von Linden Dollar in US-Dollar festsetzen. Von einem Tag auf den anderen könnte es also zu einer Inflation kommen. Des Weiteren steht es dem Second-Life-Schöpfer jederzeit offen, die virtuelle Welt einfach zu schließen. Auch könnte das ganze System kollabieren und Linden Lab in die Insolvenz rutschen. Für die bereits gezahlten Dollars gibt es keine finanzielle Absicherung, wie es in Deutschland zum Beispiel im Versicherungswesen der Fall ist. Linden Lab ist somit eigentlich ein Fall für die Finanzaufsicht.

Wegen der Unsicherheit, welches Recht wann anzuwenden ist und vor allem, wie es wirksam vollstreckt werden kann, wird die Forderung nach einem Gesetz für Umgebungen wie Second Life immer lauter. So hat sich kürzlich Peter Fleissner, Wissenschaftler am International Center for Information Ethics (ICIE), für ein Gesetzeswerk stark gemacht, in dem vor allem die Grundrechte festgehalten und mehr Rechtssicherheit für virtuelle Welten geschaffen werden sollen. Ob dies tatsächlich in die Tat umgesetzt wird, ist zu bezweifeln. Der nationale Gesetzgeber kann jedenfalls nicht viel tun. Entsprechende Bestrebungen müssten international in Angriff genommen werden. Bevor jedoch ein eigenes Second-Life-Gesetz geschaffen wird, sollten die Verantwortlichen daran arbeiten, über Staatsgrenzen hinweg die Zusammenarbeit in Sachen Vollstreckung von Entscheidungen und Weitergabe von Daten zur internationalen Kriminalitätsbekämpfung zu verbessern. (ba)