"Je weniger Einschränkungen, desto rascher ein universales Informationsnetz":

AT&T-Kurs: Basisnormen zwischen den Systemen

11.11.1983

Von Herstellern der Fernmelde- und Computerindustrie ebenso wie von den nationalen Postverwaltungen werden derzeit unterschiedliche Strategien entwickelt, einerseits die je eigenen Markt- beziehungsweise Monopolpositionen zu halten, andererseits aber doch weltweit Kompatibilität der vorhandenen und erst recht zukünftiger Systeme zu erreichen. Mehr oder weniger halbherzig wird ein weltweites ISDN (Integrated Services Ditigal Network) befürwortet. Welche Haltung in dieser entscheidenden Diskussion AT&T einnimmt, geht aus den folgenden Ausführungen von AT&T Chairman of the Board Charles L. Brown hervor, die er anläßlich der Eröffnung der Telecom 83 in Genf machte.

In den letzten Jahren erfuhren die spezialisierten elektronischen Informationsnetze ein phänomenales Wachstum, wobei gewisse Netze ausschließlich auf die Bedürfnisse einzelner Organisationen ausgelegt, andere allgemein benutzbar waren. Das Angebot reicht von integrierten Sprach- und Datennetzen bis zu digitalen Hochleistungs-Fernsprechnetzen, Datenpaket-Vermittlungssystemen, Bild-Konferenzschaltungen und auf Software beruhenden Systemen für die Interaktion - ja sogar die Integration - mit und von bislang nicht kompatiblen Computersystemen.

Auch wenn die meisten dieser Systeme für den inländischen Gebrauch entwickelt wurden, besteht kein Grund, daß sie nicht weltweit eingesetzt werden sollten oder könnten. Tatsächlich würden viele potentielle Vorteile dieser neuesten Fernmeldesysteme ungenutzt bleiben, sollten sie nicht international eingesetzt werden. Und die Verlierer wären wir alle.

Genauso, wie die universale Verkopplung der Telefonie während den vergangenen Jahrzehnten Gegenstand größter Anstrengungen war sollte nach meiner Ansicht die Verwirklichung des universalen Zugriffs auf Informationen eines unserer wichtigsten Ziele für die vor uns liegende Zeit sein.

Es liegt auf der Hand, daß eine der grundlegenden Voraussetzungen zur Erreichung dieses Ziels die Entwicklung von Normen ist, welche die weltweite Verknüpfung - und damit die Verbreitung - moderner Kommunikationssysteme erleichtern und stimulieren.

Natürlich sind weltweite Vereinbarungen über Normen jeglicher Art nie leicht zu erzielen. Oft bilden widersprüchliche nationale Interessen aber auch konkurrriende technologische Lösungen in Systemarchitektur, Protokollen und ähnlichen Gebieten, die Haupthindernisse.

ISDN setzt einheitlichen Begriffsrahmen

Auch wenn einzelne Wege vielversprechend sein mögen, so ist die Suche nach Abkommen über Normen, welche die Weiterentwicklung von weltweit einsetzbaren, fortschrittlichen Fernmeldenetzen und -dienstleistungen erleichtern und fördern, von höchster Bedeutung.

Dies bedeutet nun aber keinesfalls, daß die Forschung im Fernmeldewesen in jedem Lande nach einem gemeinsamen Schema betrieben werden sollte. Ein solches Vorgehen wäre weder durchführbar noch wünschenswert. Was wir brauchen, ist eine Vereinbarung über gewisse grundsätzliche Standards, damit Systeme einfach, wirtschaftlich und auf verständliche Art grenzüberschreitend verbunden werden können.

Einer der wichtigsten - und gleichzeitig vielversprechendsten - Schritte zur Verwirklichung dieses Vorhabens ist die kontinuierliche Weiterentwicklung des Konzeptes für ein integriertes digitales Fernmeldenetz (ISDN = Integrated Systems Digital Network). Auch wenn dieses ISDN kein Rezept zur Lösung aller Probleme ist, entspricht es doch vielen fundamentalen Anforderungen in bezug auf Kompatibilität und Allgemeingültigkeit. Vor allem aber setzt es einen einheitlichen Begriffsrahmen, um künftige Entwicklungen des Fernmeldewesens national, regional und weltweit übereinstimmend zu lenken.

Ich erwarte allerdings nicht, daß das ISDN Konzept zu einem einzigen Netz pro Land oder sogar zu einem einzigen, voll integrierten weltweiten Netz führen wird. Ich sehe eher verschiedene Wege. In einigen Ländern, zum Beispiel den USA, werden wahrscheinlich mehrere ISDN-Netze entstehen. Andere Nationen werden sich für ein einziges Allzweck-Netz entscheiden. In gewissen Teilen der Welt dürften regionale, mehrere Länder umfassende ISDN-Systeme aufgebaut werden.

Wie dem auch sei, wir können uns auf gewisse Basisnormen einigen, welche die Verbindung zwischen diesen unterschiedlichen Systemen gewährleisten; so liegt die Realisierung eines dem weltumspannenden ISDN gleichwertigen Netzes absolut im Bereiche des Machbaren.

Die größte Hürde, die wir in Zukunft bei der Verwirklichung eines weltweiten Informationsnetzes zu überwinden haben, ist nicht technischer, sondern politischer oder wirtschaftlicher Art.

Im Bereich des internationalen Fernmeldewesens existieren heute zwei gegenläufige Tendenzen. Einerseits besteht eine steigende Nachfrage für mehr und bessere internationale Fernmeldeleistungen, weitgehend gefördert durch die vermehrte weltweite Ausweitung von Handel und Finanz. Diese expandierende Entwicklung wird jedoch durch einen weiterverbreitenden - und steigenden - Hang zum Protektionismus gebremst.

Tarifliche und andere Barrieren

Sowohl in Industrienationen als auch in Entwicklungsländern werden tarifliche und andere Barrieren errichtet, um die einheimische Telekommunikationsindustrie so weit wie möglich vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. In letzter Zeit wurde auch versucht, diese Schranken auf den Informationsfluß von Land zu Land - insbesondere auf rechnergestützte Informationen - auszudehnen.

Einige dieser Maßnahmen zum Schutze nationaler Fernmelde- und Informatikindustrien werden in Erkenntnis der wachsenden Bedeutung dieser Industriezweige für die künftige wirtschaftliche Entwicklung, ergriffen. Andere der gegen den internationalen Datenfluß gerichteten Einschränkungen werden aus Überlegungen des Datenschutzes, nationaler Sicherheit und der Souveränität angewandt.

Auch wenn man für einige dieser Maßnahmen Verständnis aufbringen kann, besteht doch die Gefahr, daß ihre kumulative Wirkung die Weiterentwicklung des Fernmeldewesens und der informationsverarbeitenden Industrie im Inland als auch international stark behindert. Dies wiederum hätte äußerst negative Auswirkungen auf den Fortschrittin anderen informationsintensiven Wirtschaftssektoren .

Verlockende Pratiken als Bumerang

So verlockend solche Praktiken auch erscheinen mögen, erweisen sie sich meist als Bumerang für das sie ausübende Land. Bestimmungen, die dem Publikum den Zugang zu den modernsten und leistungsfähigsten Erzeugnissen verwehren, erschweren die Innovation und fördern Ineffizienz.

Es ist nicht meine Aufgabe, an dieser Stelle einzelne solcher Bestimmungen zur Diskussion zu stellen. Ich möchte nur für ein Umfeld für Regulierungen plädieren, das die weltweite Entwicklung und Ausdehnung aller Arten von Telekommunikationsmitteln fördert statt einschränkt.

Mir scheint, je weniger Einschränkungen wir der Anwendung neuer Informationstechnologien und den über sie fließenden Informationen entgegensetzen, desto rascher können wir ein universales Informationsnetz aufbauen.

Ich bin der Ansicht, daß wir uns in bezug auf die Gestaltung des zukünftigen weltweiten Fernmeldewesens an einem Scheideweg befinden. Dabei sehe ich zwei Möglichkeiten: Entweder verfolgen wir einen expansiven Kurs und streben eine internationale Zusammenarbeit an, oder aber wir wählen einen restriktiven Kurs und verschanzen uns hinter Protektionismus und nationalem Prestigedenken.

Ich möchte dazu anregen, Strategien zu entwickeln, die für alle Beteiligten verwertbare Ergebnisse zeitigen, anstatt nationalistischen Überlegungen zu erliegen, die unweigerlich zu Gewinner/Verlierer-Situationen führen. Dasselbe gilt auch für protektionistisch gefärbte Strategien, bei denen am Ende oft alle Beteiligten als Verlierer dastehen.

Antworten auf viele Fragen in Griffnähe

Damit besteht jedoch noch keine Garantie, daß wir mit unseren Vorhaben leicht und rasch vorankommen, denn wir haben noch recht komplexe Fragen zu beantworten. Zum Beispiel:

- Wie können wir sicherstellen, daß die Entwicklung in der Telekommunikation nicht an den Entwicklungsländern vorbeigeht, wie dies bei der industriellen Revolution der Fall war?

- Wie können wir den entsprechenden Technologietransfer zu Bedingungen durchführen, die einerseits für ärmere Länder erschwinglich, und andererseits für die massiv in Forschung und Entwicklung investierenden Länder angemessen sind?

- Wie können wir den freien Informationsfluß anstreben und trotzdem legitime nationale Bedenken in bezug auf Persönlichkeitsschutz, Sicherheit und Souveränität berücksichtigen?

- Wie können wir die wachsende Verschiedenartigkeit bei Systemen und Herstellern ohne übermäßige Zersplitterung nationaler und internationaler Fernmelde-Infrastrukturen unter einen Hut bringen?

- Wie können wir genügend große Anreize schaffen, um Nationen zur Zusammenarbeit in der Entwicklung umfänglicher, übernationaler Schemen für Netzwerkbetriebssysteme zu motivieren?

Dies sind nur einige von vielen Aufgaben, die uns erwarten und die davon bin ich überzeugt, alle zu lösten sind. Ich möchte sogar behaupten, daß die Antworten auf viele dieser Fragen in Griffnähe sind.