Arbeitslosigkeit und Maschinensturm: Zwangsfolgen der Rationalisierung?Leiter der EDV und Organisation Schubert und Saltzer AG, Ingolstadt

15.12.1978

Problemstellung: Macht sich ein Organisator in unserem Unternehmen Gedanken über sein Tun und dessen Folgen, sieht er seine tägliche Arbeit nur unter dem wirtschaftlichen oder auch unter dem sozialen menschlichen Aspekt? Was passiert mit den Menschen, die durch die Arbeit des Organisators um ihren Arbeitsplatz gebracht werden, und was werden diese Arbeitslosen tun? Das sind Fragen, die immer stärkeres Gewicht bei unserer Arbeit erhalten. Liest man die IBM-Nachrichten, so gibt es keine Ausgabe, die nicht auf der ersten Seite Aufsätze über "Neuordnung unternehmerischer Ziele, Leistungsdruck, Herausforderung, Planung individuellen Lebens und Legitimationskrise der Wissenschaft" veröffentlicht. Krisen sind das nicht mehr, es sind handfeste ungelöste soziale Probleme, die ihren Ursprung in unserer Marktwirtschaft haben.

Solange ein Unternehmen nach Gewinn streben muß, bleibt die Rationalisierung, die Entwicklung, die kostengünstige Produktion ein zentrales Anliegen. Die einzige wirklich noch zu realisierende Kosteneinsparung liegt im Personalbereich. Bis zu 60 Prozent wird ein Unternehmen von den Personalkosten belastet. Der wesentlich andere Kostenblock ist das Material. Alle anderen Kosten sind entweder uninteressant gering oder unbeeinflußbar. Spezialisten sind im Unternehmen eingesetzt, ständig über rationelle Arbeitsmethoden nachzudenken. Die Organisatoren und DV-Chefs lösen die ihnen gestellten Aufgaben gut. Der EDV-Chef schlägt rationelle Methoden vor. Er kann sich nur durchsetzen, wenn er Arbeitsplätze durch seine Maßnahmen wegfallen lassen kann. Danach wird seine Arbeit als gut oder weniger gut eingruppiert.

Er fragt nicht, welche Ergebnisse im personellen, menschlichen Bereich ausgelost werden. Er hat die Aufgabe, Ablaufe zu rationalisieren; seine Kompetenz bricht dort ab, wo das menschliche Problem beginnt. Was tun wir mit den freiwerdenden Mitarbeitern? Er könnte auch hier das Unternehmen beraten. Die Fachabteilungen wünschen aber einen solchen Rat nicht. Die Personalabteilung sieht zuwenig in die Ablauforganisation und kennt

nicht ausreichend die Qualifikation die ein Mitarbeiter an einem bestimmten Arbeitsplatz haben mußte.

Wenn jetzt weiter rationalisiert wird geht das auf Kosten von mehr Arbeitslosen. Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, werden die Unternehmen weiterhin auf gute Organisatoren und damit auf Rationalisierungs-Spezialisten angewiesen sein. Aber der

Einsatz von Instrumenten zur Rationalisierung hat erst begonnen. Die Spitze des Eisberges ist erst zu sehen. Die DV-Integration und die Ausbreitung von DV-Systemen wird in den nächsten Jahren enorm zunehmen. Distributing Processing, Wordprocessing, Telex-Sammelsysteme, Betriebsdatenerfassung, Numeric-Control, Computer- und Mikrofilm, Roboter, das sind einige bekannte Schlagwörter. Bisher wurde Datenverarbeitung partiell betrieben. Man stritt um Bytes, sammelte Grunddaten, war mit Datenbanksystemen beschäftigt. Die erste Welle der industriellen Rationalisierung betraf Lohn und Gehalt, Buchhaltung, Fertigungssteuerung und die Materialwirtschaft. Hier probte man den Computereinsatz mit wenig Engagement im Bereich der Personalreduzierung. Heute ist das anders. Laut Euro-Data-Studie 72 werden 500 000 Terminals in Europa eingesetzt. 1985 sollen es 1,7 Millionen sein. Bei CPUs ein ähnliches Bild. Heute: 120 000; 1985: 283 000.

In der Hardwareproduktion werden keine wesentlichen Marktanteile nach Deutschland fallen, und deswegen werden hier keine bedeutenden Mengen an Arbeitsplätzen neu entstehen. Systeme werden in den USA entwickelt und nach Deutschland exportiert. Auch die deutschen Renommieradressen Siemens und Nixdorf beziehen wesentliches Know-how, Hardware und sogar Software aus den USA. IBM ist nicht zu schlagen. Sind doch seit dem Einsatz von CICS spektakuläre Ablösungen von IBM-Anlagen seltener geworden.

Die Hardware entscheidet nicht mehr. Sie wird nur in der benötigten Größenordnung auf dem technologischen Stand gehalten und sie kommt aus den Vereinigten Staaten. Sicherlich werden Systeme komplizierter und mehr Spezialisten wird man in den Unternehmen selbst ausbilden, weil es am Markt nichts Qualifiziertes zu unternehmenserträglichen Kosten einzustellen gibt. Der junge EDV-Kaufmann mit hoher solider Schulausbildung wird einen großen Markt haben Consulting- und Ausbildungsfirmen werden weiterhin Potential an qualifizierten Mitarbeitern aufnehmen, um die Unternehmen bei ihren DV-Strukturen und Ablaufproblemen zu unterstützen. Aber das sind nur geringe Mengen an Mitarbeitern, die neue Arbeitsplätze auch in den Unternehmen erhalten, gegenüber den freigesetzten Arbeitsplätzen. Wesentlicher ist da schon die Anzahl der Arbeitsplätze, die die Kommunen, der Staat, die Dienstleistungsunternehmen anbieten werden.

Radikal ist der Mitarbeiter im Unternehmen nicht. Leistungsorientiert, arbeitswillig, unpolitisch und seßhaft, so stellt er sich dar. Es werden keine Probleme aus dem Unternehmen nach außen wachsen, sondern von außen ins Unternehmen getragen. Objektiv berichtet die Tagespresse nicht über die Datenverarbeitung, ihre Aufgaben und ihren Einsatz. Negativ-Informations-Selektionen sind Trumpf - oder haben sie schon mal gelesen, daß der Computer eines Finanzamtes einen Steuerbescheid richtig bearbeitet hat? Ich nicht. Das Computermonster wird kolportiert: Was wird die Folge sein?

Der Mensch im Betrieb, der Erklärung für Maßnahmen, Pläne und Publicity-Entscheidungen erwartet, wird nicht ausreichend informiert. Er kann aber auch die ihm angebotenen Einblicke nicht sachlich prüfen und daraus für sein Berufsleben Entscheidungen treffen. Sicher wird heute in den Unternehmen nicht mehr gearbeitet, sondern weniger, menschlicher, vernünftiger als vor 30 Jahren. Will man einen lebensfähigen, selbständigen Unternehmensbereich erhalten, so wird der Druck auf den Mitarbeiter in der Zukunft verstärkt werden, aber es muß genügend Arbeit da sein, um das Rationalisierungsspiel weiterzutreiben. Der soziale Wandel, den die EDV-Technik mit auslöste, ist irreversibel. Derjenige, der die Vergangenheit besser findet, kann sie nicht wieder zurückholen, um die heute drängenden Probleme zu lösen. In der Tiwäre DV-Feindlichkeit heute genauso sinnlos wie die Maschinenstürmerei im 19. Jahrhundert. Aber auf eine solche Strömung haben wir uns einzustellen. Die Arbeitslosen, die durch Rationalisierungsmaßnahmen der Unternehmen ihre Arbeitsplätze verlieren, werden staatliche Maßnahmen in Gang setzen, um zuerst den Hardwarelieferanten Auflagen zu machen. Das Unternehmen, das diese Maschinen einsetzt, wird sich mit weiteren Sozialabgaben auseinandersetzen müssen, denn der Staat wird das Heer der Arbeitslosen nicht ernähren können.