Online-Recruiting/In der IT-Welt werden die Karten neu gemischt

Arbeitgeber müssen um Bewerber buhlen

02.02.2001
Die heiss umworbenen Computerspezialisten werden dort gesucht, wo sie sich am wohlsten fühlen - im Internet. Axel Westerwelle* nimmt die digitalen Annäherungsversuche der Arbeitgeber unter die Lupe.

Die Suche nach Nachwuchskräften via Internet setzt sich durch. Das Kunstwort "E-Cruiting" steht als Synonym vor allem für eines: Alle Parteien gewinnen Zeit. In acht Minuten ist beim E-Cruiting alles erledigt, wozu man im realen Leben Wochen braucht. Nach acht Minuten sind der Bewerber und der Personalmitarbeiter zu einem Vorstellungsgespräch verabredet oder nicht. In dieser Zeit haben sie sich im virtuellen Raum beschnuppert und abgeklopft. Der elektronische Bewerbungsbogen sollte allerdings vorher ausgefüllt worden sein. Doch auch dieser Vorgang ist schneller erledigt, als eine herkömmliche Mappe zusammenzustellen, sie in den Briefkasten zu werfen, eine Eingangsbestätigung zu erhalten und auf eine Einladung beziehungsweise Absage zu warten. Absagen gehen ebenfalls schneller über die Bühne, aber sie sind nicht so schmerzhaft wie im realen Leben: Wer ein unpassendes Profil in eine Job-Datenbank eingibt, bekommt auch keine Anfragen - das ist alles.

Gesucht werden vor allem technologisch und wirtschaftlich gut ausgebildete Köpfe. Um sie ist der bereits legendäre "war of talents" ausgebrochen. Denn egal, wie tief der Nemax noch fallen wird, mit dem Internet geht es weiter steil nach oben - auch wenn im Moment eine Verschnaufpause herrscht. Auch die so genannten Zukunftsbranchen wie Telekommunikation und Multimedia expandieren weiter - und für alle E-Projekte werden Leute benötigt. Bereits während des Studiums werden Informatiker und alle anderen IT-Spezialisten heftig umworben und oft mit hohen Gehältern noch vor dem Examen weggeködert. Heute werden die begehrten Kräfte dort gesucht, wo sie sich - beruflich wie privat - am meisten aufhalten: im Internet. Inzwischen sind die Methoden und die Software mancher Human-Resources-Consultants besser als die von Interpol. Auch der konservativste Personalexperte muss sich heute damit abfinden, dass er nicht viele Wahlmöglichkeiten hat. Es ist nicht die Frage, ob, sondern nur noch wie und über welche (digitalen) Wege der Nachwuchs gesucht und angesprochen wird.

E-Cruiting oder Jobansprache via Web ist aber nicht automatisch ein erfolgreiches Instrument für alle Zielgruppen. Die Personen, die vorher keine Arbeitsstelle gefunden haben, finden auch durch E-Cruiting keine. Geringes Ausbildungsniveau, hohes Alter und wenig Computerkenntnisse sind auch hier K. o.-Kriterien. Anders sieht die Situation bei Menschen aus, die aktuell keinen Beruf ausüben, aber gute Lebensläufe oder andere Zertifikate digital vorweisen können: Alleinerziehende, körperlich Behinderte, Freelancer, Rentner, Quereinsteiger etc. - sie alle haben durch E-Cruiting bessere Chancen, weil erst einmal das zählt, was sie zu bieten haben, nämlich die fachlichen und sozialen Fähigkeiten. Erst später unterhält man sich darüber, welches "Handikap" sie im Moment daran hindert, einen Job auch "klassisch" physisch vor Ort auszuüben, und wie man das Problem lösen kann.

In den rasch wachsenden Angeboten von Expertennetzwerken(www.gulp.de, www.smarterwork.de, www.meome.de, www.fragen24.de ) stellen auch diese Menschen ihr Know-how zur Verfügung und stellen somit ein zweifaches E-Cruiting dar: Experten werden zu Firmenanforderungen befragt, bevor eine digitale Mappe an Unternehmen verschickt wird, und die Fachleute selber werden regelmäßig von Beratern oder Personalern bezüglich der eigenen Jobzukunft angesprochen. Ein anderes Beispiel sind Diplomarbeiten-Börsen: Ehe mühsam erstellte wissenschaftliche Arbeiten in den Regalen "verschimmeln", bieten die studentischen Autoren sie im Internet über spezielle Agenturen zum Verkauf. Die Unternehmen erhalten für wenig Geld wertvolle Forschungsergebnisse und einen deutlichen Hinweis auf die Hochschulabsolventen, die in den entsprechenden Wunschgebieten fit sind.

Unternehmen, die erkannt haben, wie wichtig und vor allem wie knapp die Ressource Mensch in der IT-Welt derzeit ist, werden von sich aus aktiv, um den begehrten Nachwuchs auf sich aufmerksam zu machen: Siemens hat mit "Challenge Unlimited" eine Simulation für Bewerber ins Netz gestellt, welche die User in schwierige Spielsituationen bringt. Mit Hilfe von Auswertungsverfahren, mit denen die Fähigkeiten der Teilnehmer entschlüsselt werden sollen, entstand nach Angaben des Münchener Konzerns ein erfolgreiches Recruiting-Instrument. Mit einer ähnlichen Methode arbeitet die Cyquest AG in Hamburg, die erst kürzlich das "Millionenspiel" und die "Karrierejagd" entwickelt hat. Auch hier wird auf spielerische Art und Weise versucht, Kandidaten näher kennen zu lernen und letztlich zu vermitteln.

Einzelne Firmenvertreter haben mittlerweile die Zeichen der Zeit erkannt. Sie fragen sich, was ein gutes Produktimage dem Unternehmen bringt, wenn es nicht zur Beschaffung von Nachwuchskräften eingesetzt wird. So bringt Audi sein "Vorsprung durch Technik"-Image auch beim Recruiting zum Einsatz. Die Autobauer lassen jeden Monat interessierte und interessante berufstätige Jungingenieure mit einem speziellen Newsletter-Angebot beschicken, das exakt auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abgestimmt ist. Die Hoffnung ist mehr als berechtigt, dass die Ingenieurtalente, die irgendwann ihren Job wechseln werden, sich bei dem Arbeitgeber bewerben, der sie monatlich frei Haus mit interessanten News versorgt hat. Die positiven Reaktionen der Ingenieure geben den Verantwortlichen Recht. Audi greift bei der redaktionellen und technischen Umsetzung auf spezialisierte Full-Service-Jobcompanies zurück.

Andere Unternehmen wiederum eröffnen eigene elektronische Foren auf ihren Web-Seiten mit dem Ziel, Gemeinschaften (Communities) zu bilden, die sich fachbezogen miteinander unterhalten und austauschen. Beobachter versuchen herauszufinden, ob geeignete Kandidaten dabei sind, die angesprochen werden könnten. Allerdings scheitern diese Versuche häufig an der fehlenden professionellen Betreuung der Websites.

Einer der erfolgreichen Startups des Jahres 2000 - die weltweit erste virtuelle 3-D-Jobmesse www.jobfair24.de - hat es geschafft, mit ihrem Angebot besonders Informatiker, die entweder einen Job suchen oder bereits in ihrem Beruf arbeiten, anzusprechen. Diese Technik-affinen User werden von den 3-D-Animationen der Messehallen und -stände angezogen. Das Nutzen so genannter Avatare als Darsteller des eigenen Ich im Cyberspace übt auf diese Zielgruppe eine große Anziehungskraft aus. Auf dieser Jobmesse unterhalten sich auf der einen Seite die Bewerber an den Ständen anonym mit Personalern. Erst wenn sie sicher sind, dass sie den Job haben wollen, lüften sie ihre Identität. Auf der anderen Seite sollte das Unternehmen in vielen Details Auskunft geben - denn man kann ja nicht wissen, welches Kronjuwel sich möglicherweise hinter dem Pseudonym "Muschel" verbirgt. Die Zeiten haben sich in der Tat - zum Vorteil der Kandidaten - geändert: Diese können sich ungehemmt mit Fachwissen und Ausdrucksweise profilieren und werden nicht nach der Farbe ihrer Schuhe oder Ähnlichem beurteilt. Die Bewerber haben zudem keine Anfahrtswege und kein Lampenfieber.

Die Nachteile gegenüber den "klassischen" Bewerbungsmöglichkeiten müssen aber auch erwähnt werden. Elektronische Bewerbungsmappen und das so genannte Matching - eine Methode, bei der aus standardisierten Daten die gewünschten herausgefiltert werden -, sind Individualitätskiller: konform, uniform und sachlich. Individualität ist (erst einmal) nicht gefragt - nur das, was die Bewerber fachlichsachlich zu bieten haben. Hierin liegt aber auch ein Gutes: Alle potenziellen Kandidaten verfügen über die gleichen Chancen. Blender und Windeier haben (solange sie nicht dreist lügen) keine Chance, ihre schüchternen Konkurrenten auszustechen. Wenn alle fachlichen Kriterien gecheckt worden sind, müssen die drei wichtigen Faktoren für den Arbeitsvertrag geprüft werden: Persönlichkeit, Soft Skills und Sympathie - und dafür braucht man nach wie vor das persönliche Gespräch.

Der eigentliche Erfolg des E-Cruiting liegt somit in der Kombination klassischer Offline-Maßnahmen. Firmen, die dieses hybride Modell anbieten können (zum Beispiel monster.de in Zusammenarbeit mit der Personalberatung TMP oder jobfair24 mit der Characters Recruiting Messe), schaffen es, den Bewerbern einen umfassenden Service zu bieten und auch den Firmenkunden ein One-Stop-Shopping möglich zu machen.

* Dr. Axel Westerwelle ist Gründer und Vorstand der Westerwelle Consulting & Media AG (www.westerwelle.de) in Hamburg.