Arbeitskreis Dezentrale Datenverarbeitung (ADD) stiftet Preis:

Arbeiten im Spannungsfeld Theorie/Praxis

11.07.1980

HEIDELBERG (bi) - Die vier deutschen Bürocomputer-Größen haben einen Preis, benannt "Wirtschaftsinformatik, gestiftet. Kienzle, Nixdorf, Triumph/ Adler und Philips wollen damit solche Dissertationen oder Diplomarbeiten aus dem EDV-Fach honorieren, die wissenschaftlich-kritisch und gleichzeitig praxisnah das Thema "Computer am Arbeitsplatz behandeln. Die Belohnungen konnten sich als Erster Ralf Nordhauß - In summa von 5000 Mark - für seine Arbeit "Methodik der Hardware- und Software-Auswahl beider Einführung der EDV in einem Fachverlag abholen und als Zweiter Dietmar von Polenz, der mit dem Thema "Materialwirtschaft mit kleinen EDV-Systemen das Rennen um 3000 Mark gewann. Elf Arbeiten wurden der Jury vorgelegt. Damit aber die Herren Hochschullehrer nicht im Hintergrund blieben, hängte man an die Preisverleihung aus gegebenem Anlaß eine Podiumsdiskussion an mit dem Thema "Wirtschaftsinformatik zwischen Theorie und Praxis .

Teilnehmer waren die Professoren Mertens (Nürnberg), Scheer (Saarbrücken), Stahlknecht (Berlin) und Thome (Heidelberg) sowie die "Praktiker Dr. Berger (Nixdorf), Dr. Hoffmann (Kienzle), Dr. Lepp (Triumph/ Adler) und Linssen (Philips). Ort des Geschehens: Aula der Alten Universität Heidelberg. Die Diskussion wurde geleitet von Klaus Schütte, Vorsitzender der Fachgruppe Datenverarbeitung im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater BDU e. V.

Folgende Themen bildeten Schwerpunkte der Diskussion:

- Was ist überhaupt Wirtschaftsinformatik?

- Welche Anforderungen stellt die Praxis an den Wirtschaftsinformatiker?

- Wie sehen die Hochschulvertreter das Spannungsfeld Theorie - Praxis im Bereich der Wirtschaftsinformatik?

- Wie kann man die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis im Bereich Wirtschaftsinformatik verbessern?

Man war sich einig, daß die noch junge Wissenschaftsdisziplin "Wirtschaftsinformatik in der schnellebigen DV-Szene ihre genaue Position noch nicht gefunden hat. Sie ist ein Teil des Anwendungsbereiches der Informatik in Wirtschaft und Verwaltung und unterscheidet sich von der reinen Informatik, deren Thema die Theorie der Informationsverarbeitung und die Arbeitsweise der DV-Anlagen ist.

Wesentliche Inhalte der Wirtschaftsinformatik sind die Kenntnisse der Arbeitsabläufe rund um den Computer, die Entwicklung von Informationssystemen, die Techniken des "software engineering sowie Verfahren zur Untersuchung der Wirtschaftlichkeit des Einsatzes von automatischer Datenverarbeitung. Das reine Studium der Wirtschaftsinformatik hat weitgehend noch Versuchscharakter (Duisburg, Darmstadt, demnächst Dortmund), der Normalfall ist die Wirtschaftsinformatik als Spezial- oder Vertiefungsfach innerhalb eines Studiums der Betriebswirtschaftslehre.

Der Wirtschaftsinformatiker?

Im Bezug auf die Anforderungen der Praxis an den Wirtschaftsinformatiker mußten die "Praktiker" zugestehen, daß es noch keinen konkreten Anforderungskatalog für den Wirtschaftsinformatiker gibt. Gesucht wird ein Mitarbeiter, der sowohl in der Datenverarbeitung als auch in der Betriebswirtschaft zu Hause ist. Für die Wirtschaft zählen ein gewisses Maß an Praxis und Erfahrung sowie Kenntnisse in den Bereichen Programmierung, Organisation und Systemanalyse. Diese Kenntnisse müssen vom Wirtschaftsinformatiker in einer komplizierten realen Organisationsumgebung umgesetzt werden um unternehmerisch entscheiden zu können, um Probleme zu bewältigen die nicht immer die EDV betreffen, in jedem Fall aber durch die EDV stark geprägt werden.

"Konkrete" Mängel an der Ausbildung des Wirtschaftsinformatikers konnten von den Vertretern der Praxis merkwürdigerweise nicht genannt werden. Deutlich wurde jedoch ein gewisses Unbehagen über die fehlende Einheitlichkeit des "schillernden" Begriffs der Wirtschaftsinformatik, dessen Inhalt zu wenig transparent sei und der die eigentlichen Probleme an zu abstrakten Beispielen zu durchdringen versucht.

Hinzu kommen nach Ansicht der Wirtschaft Verhaltensschwierigkeiten der Universitätsabgänger im sozialen Umfeld des Betriebes, bedingt durch fehlende Erfahrung in Gruppen- und Projektarbeiten, aber auch durch eine vor allem in finanzieller Hinsicht vorhandene Überheblichkeit der Absolventen und ein zu geringes Anspruchsniveau der Universitäten.

Fazit der Praktiker: "Qualifizierte Bewerber sind rar!"

Zu diesem Punkt kam dann Kritik aus den Reihen der Hochschulvertreter am Blickwinkel der Wirtschaft. Die Universitäten könnten in ihrer Ausbildung von Wirtschaftsinformatikern keine Rücksicht nehmen auf branchenspezifisches Know-how. Die Existenz der konkreten Probleme müßte zwar zur Kenntnis genommen werden, vor allem aber erscheine es wichtig, den zukünftigen Wirtschaftsinformatikern die wesentlichen Zusammenhänge und das logische Denken zu vermitteln, damit sich für sie später in der Praxis vielfältige Einsatzmöglichkeiten ergeben. Fallstudien werden in die Lehre miteinbezogen, dann aber allgemein abstrahiert. In diesem Zusammenhang wurde die Frage gestellt, ob die Wirtschaft nicht einfach zu hohe Anforderungen gerade an die frisch von der Universität kommenden jungen Wirtschaftsinformatiker stellt. Zwar gaben die Hochschulvertreter Mängel in der Ausbildung der Wirtschaftsinformatiker durchaus zu; sie führten sie auf die zu hohen Studentenzahlen zurück: "Wie soll man 800 Studenten einer Vorlesung Gruppenarbeit und Verhalten in einem sozialen Umfeld beibringen? Wie soll man mit 100 bis 200 Studenten einen Programmierkurs in effizienter Weise abhalten?" Nicht zuletzt verhindern auch finanzielle Restriktionen eine bessere Ausbildung, das wurde deutlich.

Es ist ein Entgegenkommen der Wirtschaft notwendig, vor allem was die kleinen Computer anbelangt. Aus dem unmittelbaren Umgang mit der Maschine kann der angehende Wirtschaftsinformatiker wichtige Erfahrungen für seine Tätigkeit in der Praxis gewinnen, Erfahrungen, die in der Anonymität der Groß-EDV heutiger Universitätsrechenzentren verloren gehen.

Die Diskussionsteilnehmer wurden sich einig, daß die Zukunft sowohl Wirtschaft als auch Universitäten die Aufgabe stellt, Theorie und Praxis sinnvoll zu koppeln, sei es durch Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Lehrstühlen an Entwicklungsaufgaben, durch Vergabe von Diplomarbeiten aus der Wirtschaftspraxis oder indem Arbeitsplätze und Computer für Praktika zur Verfügung gestellt werden. Die Wirtschaft soll den Forschern die Gelegenheit geben, ihr betriebswirtschaftliches Know-how mit den Systementwicklern zu diskutieren, die Universitäten hingegen sind aufgefordert, bei der Einrichtung von Studiengängen der Wirtschaftsinformatik das Wissen der Praxis zu berücksichtigen und Wirtschaftspraktikern speziell im Rahmen von Seminaren die Möglichkeit des direkten Kontaktes mit den zukünftigen Wirtschaftsinformatikern zu geben.

Positive Einzelbeispiele für die Zusammenarbeit zwischen Theorie und Praxis wurden in der Diskussion mehrfach genannt.