Für Telekom-Chef Ricke ist der Weg noch weit

Applaus für einen Etappensieg

30.05.2003
MÜNCHEN (CW) - Nach seiner ersten Hauptversammlung kann Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke erst einmal durchatmen: Statt Pfiffe wie für seinen Vorgänger Ron Sommer gab es von den Aktionären Applaus. Doch die Probleme sind geblieben. Die hohe Verschuldung sowie strategische Defizite zwingen zum Kurswechsel. Der Traum vom Global Player dürfte größtenteils ausgeträumt sein.

Kai-Uwe Ricke hat alles richtig gemacht: den Vorstand verkleinert, neue Führungsstrukturen geschaffen, den Schuldenabbau in die Wege geleitet, das operative Geschäft stabilisiert. Sechs Monate nach seinem Amtsantritt kann der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom - auf den ersten Blick betrachtet - eine beachtliche Zwischenbilanz vorweisen. Den Lohn für dieser Arbeit erntete Ricke vergangene Woche in der Köln-Arena. Rund 7000 Aktionäre spendeten ihm nach seinem "Rechenschaftsbericht" einen mehr als höflichen Applaus. Doch die Aktionäre waren nicht nur vom zupackenden Stil des neuen Telekom-Frontmannes beeindruckt, sondern auch von einem konkreten Versprechen. Wenn man sich im nächsten Jahr wiedersehe, werde er entsprechende Resultate in puncto Wiedergewinnung der strategischen und finanziellen Handlungsfähigkeit präsentieren, so Ricke. Und er hoffe, "dass sich dies bis dahin auch im Aktienkurs widerspiegelt".

Ob Ricke mit dieser "Roadmap" ohne Blessuren ins Ziel kommt, ist jedoch fraglich - zumindest, was die von ihm genannte zeitliche Perspektive angeht. Denn die Altlasten der Ära Sommer und die damit verbundenen Risiken wiegen schwer. Noch immer stehen mehr als 56 Milliarden Euro Schulden in der Bilanz, zusätzlich drohen Abschreibungen in Milliardenhöhe im Zusammenhang mit der UMTS-Lizenz, anhängige Aktionärsklagen wegen angeblichen Prospekt- und Emissionsschwindels könnten weiteres Ungemach bedeuten. Vor allem aber sind es die "Baustellen" in der von seinem Vorgänger propagierten Vier-Säulen-Strategie - also die Fokussierung auf das Festnetz- und Mobilfunkgeschäft, IT-Services und die Internet-Tochter T-Online.

Das sehen auch die meisten Analysten so, die die T-Aktie derzeit zum Kauf empfehlen, aber vorerst nur mit einem Kursniveau zwischen 13 und 15 Euro rechnen. Kleinaktionäre, insbesondere diejenigen, die erst beim zweiten und dritten Börsengang einstiegen, erwarten jedoch mehr. Beim Schuldenabbau gebe es erste Fortschritte, im Festnetz und im Mobilfunk zeigten sich dank T-DSL beziehungsweise kontinuierlich steigender Kundenzahlen bei T-Mobile USA "interessante Entwicklungen", heißt es dennoch in einer aktuellen Analyse der HypoVereinsbank (HVB), die das Papier als "Outperformer" einstuft. Und wie viele seiner Kollegen ist HVB-Analyst Stefan Borscheid vom ersten Quartal angetan, in dem es dem Bonner Carrier gelang, mit einem überraschend hohen Nettogewinn von 853 Millionen Euro in die schwarzen Zahlen zurückzukehren. Aber die Ertragskraft aller operativen Sparten ist mit Ausnahme des klassischen Festnetzgeschäfts nach wie vor zu gering. Vorstandschef Ricke könnte daher, so wird seit Monaten in Branchenkreisen spekuliert, gezwungen sein, sich auf Druck der Kapitalmärkte von kompletten Konzernteilen zu trennen - etwa von T-Mobile USA oder T-Systems.

Handlungsbedarf in einzelnen Sparten

Wirft man einen näheren Blick auf einzelne Säulen des "T-Konzerns", wird klar, wo es Handlungsbedarf gibt. Wie kaum ein anderes Projekt stand die knapp 40 Milliarden Dollar teure Übernahme der US-amerikanischen Mobilfunk-Provider Voicestream und Powertel für die Globalisierungsstrategie Ron Sommers. Doch die mittlerweile in T-Mobile USA umgetauften Töchter lagen trotz der Akquise von über 900000 Neukunden im letzten Quartal mit aktuell 9,9 Millionen Nutzern immer noch abgeschlagen auf Platz sechs. Zum Vergleich: Die Top Drei der US-Mobilfunk-Provider, Verizon, Cingular und AT&T Wireless, haben jeweils über 20 Millionen Vertragskunden. Hinzu kommt, dass sich die Telekom die Eroberung des US-Marktes viel kosten lassen muss. Experten schätzen den jährlichen finanziellen Aufwand für Vertrieb und Marketing auf rund zwei Milliarden Dollar.

Solche Investitionen können sich die Bonner aber nicht auf Dauer leisten, argumentieren die Kritiker weiter. Zwar schreibt T-Mobile USA mit einem Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von 524 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2002 beziehungsweise 323 Millionen Euro im ersten Quartal operativ schwarze Zahlen, doch die Ertragskraft steht in einem krassen Missverhältnis zum Kaufpreis. Zur Erinnerung: In erster Linie wegen der Einmalabschreibung beziehungsweise Wertberichtigungen des Kaufs von Voicestream und Powertel hatte die Telekom das Geschäftsjahr 2002 mit einem Rekordverlust von 24,6 Milliarden Euro abgeschlossen.

Kein Partner für T-Mobile USA

Nicht umsonst gab es deshalb in den zurückliegenden Monaten Sondierungsgespräche mit Cingular und AT&T Wireless. Joint Ventures oder gar Fusionen scheiterten jedoch Insidern zufolge an Bewertungsfragen. Jetzt ist guter Rat teuer, denn das Telekom-Management hat nach Lage der Dinge nur die Option, alleine weiter zu marschieren und, wie das "Manager Magazin" unlängst kommentierte, "die Braut durch eine weitere Erhöhung der Teilnehmerzahl und Steigerung des durchschnittlichen Umsatzes pro Kunden doch noch für einen Bräutigam hübsch zu machen". Vom ursprünglichen Plan, dem Weltmarktführer Vodafone mit einem globalen Auftritt ernsthaft Paroli zu bieten, redet jedenfalls keiner mehr.

Hinzu kommt der ewige Dauerbrenner hierzulande: UMTS. Technische Probleme, fehlende Endgeräte sowie die Unsicherheit bezüglich des zu erwartenden Erfolgs zögern den ursprünglich für Herbst dieses Jahres vorgesehenen Start des neuen Netzes weiter hinaus. Viele Beobachter vertreten daher die Auffassung, dass die Telekom längst mindestens sechs der insgesamt acht Milliarden Euro, die sie für die UMTS-Lizenz ausgegeben hat, hätte abschreiben müssen.

Ähnlich vertrackt ist die Situation bei T-Systems. Der "Servicekonzern im Konzern" hat seine Probleme weiterhin nicht gelöst. Dazu zählen die nicht gelungene Fusion mit dem Debis Systemhaus, mangelnde Größe für den globalen Wettbewerb, zu viel Overhead und damit zu teure Strukturen für den von einem extrem harten Preiskampf gekennzeichneten IT-Dienstleistungs- und -Beratungsmarkt. Immer wieder kursieren Spekulationen über einen bevorstehenden Verkauf oder eine Partnerschaft mit einem der großen Player der Branche, jüngst angeheizt durch angebliche Pläne von Cap Gemini Ernst & Young, sich im deutschen Markt zu verstärken. Laut T-Systems-Sprecher Stefan König ist jedoch an solchen Gedankenspielen "nichts dran".

"T-Systems wird sich optimal aufstellen, um sich speziell für das Großkundengeschäft stringent weiterzuentwickeln", dementierte zwar auch Konzernchef Ricke auf der Hauptversammlung etwaige Verkaufspläne. Doch was heißt das schon? Wesentlich detaillierter setzte sich der Telekom-Frontmann jedenfalls mit dem strikten Sparkurs auseinander, den er seinem Serviceableger verordnet hat. So soll sich das Ergebnis von T-Systems unter anderem durch die Zusammenlegung von Rechenzentren und "gezielte Partnerschaften in der Beschaffung" schon in diesem Jahr um 500 Millionen Euro verbessern. Ansonsten bleibt es bei der im März beschlossenen stärkeren Fokussierung auf einzelne Branchen und der damit verbundenen Aufteilung in je vier unterschiedliche Business- und Service-Lines.

Kein Profil im Netzwerkgeschäft

Möglicherweise steckt hinter dem Dilemma von T-Systems aber noch ein weiteres Problem: Denn der Marktauftritt dieser Telekom-Sparte erscheint nach wie vor diffus. Mit den Bereichen "Network Services", "Computing Services", "Desktop Services" und "System Integration" positioniert man sich zwar an allen Brennpunkten des IuK-Servicemarktes, doch die Konturen bleiben unscharf. Dies gilt vor allem für das traditionelle Geschäft mit Netzdiensten, wo die "alten" Wettbewerber British Telecom (BT Ignite), AT&T und neuerdings auch MCI insbesondere auf dem deutschen Markt nicht nur mit einem aggressiven Marketing, sondern auch mit horizontal aufgestellten Divisions für Geschäftskunden auf Kundenfang gehen. Speziell hier zeigt sich der Paradigmenwechsel in der internationalen TK-Szene: Die Zeit großer Bündnisse, Allianzen oder Merger ist passe. Jeder Anbieter verdingt sich im Markt (zunächst) als Einzelkämpfer, abgerechnet wird hinterher im Rahmen der Carrier-to-Carrier-Verbindungen.

T-Com unverändert die Cashcow

Gemessen daran sind die beiden anderen Säulen der Telekom besser positioniert. T-Online konnte auch im ersten Quartal mit 12,2 Millionen Kunden seine Rolle als größter Internet-Dienstleister in Europa festigen und schreibt seit einiger Zeit operativ schwarze Zahlen. So weit zur Habenseite. Auf der Sollseite der Telekom-Tochter stehen nach wie vor die Abhängigkeit von Zugangsgebühren, das schleppende Geschäft mit Bezahlinhalten sowie hohe Abschreibungen auf überteuerte Zukäufe im Ausland.

Unverändert stabil zeigt sich die Situation bei der Festnetzsparte T-Com, die sich als Cashcow des Konzerns bis dato kaum beeindruckt von der Marktöffnung in Deutschland präsentiert. Ein Ebitda im ersten Quartal von 2,9 Milliarden Euro bei einem Umsatz von 7,5 Milliarden Euro spricht Bände. Kurz vor Ende der Hauptversammlung am Dienstag vergangener Woche lief zwar die Meldung über den Ticker, wonach EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti wegen angeblich überhöhter Mietpreise, die die Telekom von ihren Konkurrenten für die Bereitstellung von Teilnehmeranschlussleitungen in Ortsnetz kassiert habe, ein Bußgeld in Höhe von 12,6 Millionen Euro verhängt hat. Die sich hier abzeichnende Auseinandersetzung mit den Regulierungsbehörden in Brüssel und Bonn dürfte die Telekom aber nach gut fünfjähriger Erfahrung als Ex-Monopolist im freien Wettbewerb kaum mehr aus der Spur bringen.

Dennoch schließt sich bei T-Com für Telekom-Boss Ricke der Kreis der Probleme. Bis Ende 2005 muss der zuständige Spartenchef Jo Brauner dort noch 50000 Arbeitsplätze abbauen. Allerdings darf bis zum Ablauf des kommenden Jahres keine einzige betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen werden. Zehntausende von Angestellten und Beamten werden deshalb momentan in der konzerneigenen Personal-Service-Agentur (PSA) geparkt. Eine für die Telekom-Bilanz tickende Zeitbombe, denn was die Freisetzung dieser Mitarbeiter letztendlich kostet, weiß heute noch kein Mensch. (gh)