Topmanager kuemmern sich nur am Rande um SAP-Projekte

Anwendern bereitet die R/3-Einfuehrung viel Kummer

22.03.1996

Rund 48 Prozent der R/3-Anwender verfolgen den Ansatz, Business Re-Engineering und die Einfuehrung der Standardsoftware parallel vorzunehmen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Instituts fuer Wirtschaftsinformatik der Johann-Wolfgang- Goethe-Universitaet in Frankfurt am Main. Gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen Gemini Consulting, Bad Homburg, haben die Wissenschaftler europaweit 220 grosse und mittelstaendische Unternehmen befragt, die die SAP-Standardsoftware R/3, Release 2.1 oder 2.2, installieren.

Diese Anwenderfirmen versprechen sich von ihrem Vorgehen den Vorteil, die eigenen Geschaeftsablaeufe neu strukturieren zu koennen und dabei Softwareschwaechen im selben Arbeitsgang zu beheben - etwa wenn ein Modul den jeweiligen Prozess nur ungenuegend unterstuetzt. In 16 Prozent aller Faelle erfolgt zuerst das Redesign der Prozesse, und erst in einem zweiten Schritt wird die Software eingerichtet. Immerhin ein Drittel der Befragten sah ueberhaupt keinen Bedarf fuer ein Re-Engineering, und drei Prozent planen die Reorganisation erst nach der R/3-Einfuehrung.

Die Anwender - zu ueber 60 Prozent Projekt-Manager - wurden auch befragt, ob sie anders vorgehen wuerden, wenn sie das Projekt noch einmal in Angriff nehmen koennten. Mit 35 Prozent ist der Anteil der Unternehmen, die bereits vor der R/3-Einfuehrung ein Re- Engineering-Projekt auflegen wuerden, stark gewachsen. Die Zahl derer, die ueberhaupt keinen Bedarf sehen, ihre Geschaeftsprozesse anzupassen, schrumpft auf nur noch zehn Prozent zusammen. Fuer eine simultane Strategie wuerden sich nun 51 Prozent entscheiden.

Peter Buxmann, Wissenschaftler am Institut fuer Wirtschaftsinformatik, berichtet, dass sich die genannten Werte nur auf 180 der 220 Unternehmen beziehen. Die restlichen 40 verzichten nicht nur auf ein Re-Engineering, sondern entscheiden sich vielmehr fuer eine reine Automatisierungsstrategie. "In diesen Unternehmen bleiben die Geschaeftsablaeufe hundertprozentig so, wie sie sind, nur dass sie vollstaendig mit SAP-Software abgebildet werden." Dies sei keine empfehlenswerte Strategie, nur neun Firmen wuerden laut Buxmann noch einmal so vorgehen, wenn sie die Gelegenheit zu einem Neuanfang haetten.

"Manche Anwender sind ueberhaupt nicht daran interessiert, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen", schliesst der Wissenschaftler. Sie bemuehen sich lediglich, Wettbewerbsnachteile zu vermeiden. "Es ist einfach grauenhaft, zu sehen, wie noch heute Grossunternehmen mit Individualsoftware auf dem Mainframe arbeiten und sich nicht trauen, auch nur eine einzige Veraenderung einzuleiten, weil sie nicht wissen, wie sich das auf andere Bereiche auswirkt."

Eigentlich sollte die Tatsache, dass rund 64 Prozent der Unternehmen vor oder waehrend der R/3-Einfuehrung ein umfassendes Re-Engineering vornehmen, optimistisch stimmen. Das Management, das diese Projekte mehrheitlich anstoesst, scheint zu wissen, was es tut. Um so besorgniserregender mutet jedoch ein weiteres Untersuchungsergebnis an: Ueber Fortschritte und Probleme der R/3- Einfuehrung lassen sich mehr als 77 Prozent der Geschaeftsfuehrungen nur einmal im Monat oder noch seltener informieren. Lediglich 19 Prozent wollen woechentlich ueber den neuesten Stand des Projektes unterrichtet werden. Der Schluss, dass sich die Geschaeftsfuehrungen nicht fuer Softwareprobleme interessieren, trifft das Problem nur teilweise: Offensichtlich bringen die Chefs dem gesamten Re- Engineering-Prozess in ihrem Unternehmen nur geringe Aufmerksamkeit entgegen.

Wie die Anwenderbefragung weiter ergab, sind sich zumindest die meisten Projekt-Manager darueber im klaren, was sie bewirken wollen. Sie sehen die Notwendigkeit eines Re-Engineerings ein und halten die R/3-Einfuehrung fuer eine willkommene Gelegenheit, ueber die betriebswirtschaftlichen Prozesse nachzudenken. Von ihrem Projekt erwarten sie vor allem eines: die bessere Planung, Steuerung und Ueberwachung von Ablaeufen.

Auch zaehlen die groessere Konsistenz der Datenhaltung sowie eine hoehere Flexibilitaet und kuerzere Durchlaufzeiten zu den Aspekten, die fuer SAP-Kunden besonders wichtig sind. Offenbar schlagen sich hier die negativen Erfahrungen der Unternehmen mit selbstgestrickten Einzelloesungen nieder - schlecht dokumentierte Anwendungen, die nur noch marginal angepasst werden, weil niemand einen ernsthaften Eingriff wagt.

Eine dramatische Senkung der Kosten - etwa durch Einsparungen von Personal und IT-Equipment - erwartet in Europa nur eine kleine Minderheit. "In den USA sieht das ganz anders aus", berichtet Rainer Lampe, Leiter des Centers of Excellence von Gemini Consulting. Dort stehe der messbare Nutzen sehr viel weiter im Vordergrund.

Groessten Kummer bereitet den Anwendern offenbar der Einfuehrungsprozess. Kaum ein Unternehmen geht ohne externen Berater vor; die gaengigen Tools, die eine einfache, schnelle Einfuehrung versprechen, enttaeuschen die Erwartungen der Benutzer. Mehr als 56 Prozent setzen ueberhaupt keine solchen Tools ein, rund 16 Prozent verwenden die "Aris"-Werkzeuge der IDS Prof. Scheer GmbH, Saarbruecken, und 15,5 Prozent begnuegen sich mit den Referenzmodellen im R/3-Analyzer. Der Einfuehrungsleitfaden der SAP AG, als "Implementation Guide" bekannt, wird von 21,4 Prozent der Anwender genutzt. Hier kalkulieren viele Kunden mit einem neuen Vorgehensmodell fuer die Implementierung, das die SAP AG mit Version 3.0 ihrer Software herausbringt (siehe Kasten).

Vor allem die Aris-Tools werden nach Angaben von Gemini-Consultant Lampe den Wuenschen der Kunden nicht gerecht. "Man glaubt, man erhaelt eine Optimierungsmethode, und hat am Ende nur ein Mal- Tool." Bei allen gaengigen Werkzeugen in diesem Umfeld handele es sich weniger um die dringend benoetigten Produktivitaets-Werkzeuge als um reine Dokumentations-Tools. "Diese Software hilft nicht, das Optimum eines Prozesses herauszufinden", kritisiert auch Buxmann. Erschwerend komme hinzu, dass die Projekt-Management- Eigenschaften nur unzureichend ausgepraegt seien, die Teamunterstuetzung genuege nicht einmal den einfachsten Anspruechen der Anwender.

Die Marktbeobachter kritisieren, dass man durch den Einsatz der Referenzmodelle den Eindruck gewinne, einen Ablauf auf die bestmoegliche Art zu gestalten - in Wirklichkeit erhalte man jedoch nur eine bestimmte Sicht, und zwar die des jeweiligen Anbieters. Es sei generell riskant, schablonenhaft die empfohlenen Ablaeufe zu uebernehmen. Ein solches Vorgehen sei allenfalls im Rechnungswesen akzeptabel, weil dieses nicht geschaeftskritisch sei und eine Reihe von Ablaeufen durch den Gesetzgeber vorgegeben wuerden. In der Auftragsabwicklung zeitige ein derartiges Prozedere dagegen verheerende Folgen.

Auch sonst gibt es grosse Unterschiede, was die Einfuehrung von Software fuer das Rechnungswesen einerseits und fuer Logistik oder Vertrieb andererseits angeht. Zwar decken die R/3-Module nach diversen Anpassungsmassnahmen im Durchschnitt 83 Prozent der benoetigten Funktionen ab, doch sieht die Quote bei den Modulen fuer den Vertrieb (SD), Produktionsplanung und Steuerung (PP), Qualitaets-Management (QM) oder Instandhaltung (PM) deutlich schlechter aus als die fuer das Rechnungswesen (FI, AM).

Dabei sind die Projekt-Manager mit den Ergebnissen ihrer Anpassungsschritte ueberraschend unzufrieden: Knapp 70 Prozent der Firmen, die mit Add-ons Defizite des Standards beseitigen wollten, wuerden darauf im Wiederholungsfalle verzichten. Offenbar stimmt bei den meisten Ergaenzungsprogrammen das Verhaeltnis von Aufwand und Nutzen nicht. Trotzdem ist das Interesse an den "kritischen Modulen" der SAP-Software groesser denn je, wie Wirtschaftsinformatiker Buxmann bestaetigt. "Ich schliesse daraus, dass die Unternehmen suboptimale Loesungen akzeptieren, weil sie ihren Informationsfluss halbwegs hinkriegen wollen." Heinrich Vaske

R/3 auf IBMs Grossrechnern

HANNOVER (CW) - Big Blue wird in Kuerze eine Version der SAP- Standardsoftware R/3 fuer das Grossrechner-Betriebssystem "MVS" sowie fuer das darauf laufende Datenbanksystem "DB2" anbieten. Ziel der Portierung, die laut SAP-Chef Hasso Plattner zu 90 Prozent von der IBM geleistet wurde, ist die Integration von Mainframes als Datenbank-Server in eine R/3-Umgebung.

Workbench soll R/3-Einfuehrung erleichtern

Mit der "Business Engineering Workbench" stellt die SAP AG im Rahmen von Release 3.0 ihrer Standardsoftware R/3 neuentwickelte Methoden, Modelle und Werkzeuge fuer die Einfuehrung bereit. Mit den Tools laesst sich R/3 auf die fuer ein Unternehmen notwendigen Komponenten reduzieren, indem nicht benoetigte Funktionen quasi "stillgelegt" werden.

In einem Repository hinterlegt SAP das komplette betriebswirtschaftliche Referenzmodell von R/3, wobei die Modelle mit den laufenden Anwendungen in Verbindung stehen. Die R/3- Geschaeftsprozesse sind in der Workbench grafisch aufbereitet und bieten dem User einen Ueberblick ueber die Gesamtzusammenhaenge des Systems. Anhand dieser Konfigurationen kann er mit dem sogenannten Session Manager, der mit einer besonderen Benutzeroberflaeche ausgestattet wurde, ein spezifisches Unternehmensmenue erstellen.

Fielmann AG, Hamburg

"Wir haben kein klassisches Re-Engineering vorgenommen, auch wenn man jetzt anfangen koennte, das so zu nennen", berichtet Christian Fischer, zustaendig fuer den SAP-Bereich. Die bestehenden Ablaeufe seien zwar hier und da modifiziert worden, aber im Prinzip habe man sie genauso abgebildet, wie sie vorher waren - zumindest soweit die SAP-Software kein anderes Vorgehen verlangte.

"Ich halte es fuer sehr schwierig, die Geschaeftsprozesse neu zu designen und dann mit Standardsoftware abzubilden, weil sich viele Anwender dann von langjaehrig bewaehrten Ablaeufen trennen muessen", so Fischer. Natuerlich sei die grundsaetzliche Restrukturierung der Geschaeftsprozesse ein lohnendes Ziel, doch unter dem Druck des Tagesgeschaefts sei dieser Ansatz kaum durchzuhalten. "Wenn wir unsere Geschaeftsprozesse ganz neu konzipieren wuerden, bliebe kein Stein mehr auf dem anderen." Diese Aufgabe sei mit einer Mannschaft, die mit der Bewaeltigung der bestehenden Infrastruktur schon voll ausgelastet sei, nicht zu schaffen.

Hans Schwarzkopf GmbH, Hamburg

Die Verantwortlichen entschieden sich fuer eine Eins-zu-eins- Umstellung, bei der es vor allem darauf ankam, die bestehenden Funktionen aufrechtzuerhalten. "Sicher fragt man sich, ob man die eine oder andere Funktionalitaet noch braucht oder ob sie vom Standard genuegend abgedeckt wird. Aber ein richtiges Re- Engineering haben wir nicht gemacht", erklaert Jan Gruntzdorff, Entwicklungsleiter fuer Vertriebs- und Marketing-Systeme. Man habe sich darauf beschraenkt, funktionale Verbesserungen in den einzelnen Modulen zu implementieren. Das Projekt sei in erster Linie aufgesetzt worden, um die Kosten zu reduzieren.

Geberit Verwaltungs GmbH, Pfullendorf

Fuer Informatikleiter Gerhard Vogt ist die Einfuehrung einer integrierten Standardoftware e la R/3 ohne ein Re-Engineering der Prozesse undenkbar. Sonst bliebe die gewohnte funktionale Organisationsstruktur erhalten, wodurch wichtige Vorteile der Standardsoftware nicht genutzt werden koennten. "Die ganze R/3- Einfuehrung war bei uns in ein Lean-Management-Projekt integriert, das von der Unternehmensspitze angestossen worden war."

Unter Beteiligung aller Hierarchiestufen haetten Workshops stattgefunden, in denen die Prozesse definiert wurden. Im wesentlichen habe man sich beim Design der Ablaeufe aber mittels des "Aris"-Toolsets an die Vorgaben der Standardsoftware angelehnt und dabei auf die im R/3-Analyzer hinterlegten Prozessmodelle zurueckgegriffen.