Anwender werden zum Einsatz kompletter Pakete gezwungen Diebold-Berater kritisiert proprietaere Standardsoftware

29.09.1995

FRANKFURT/M. (CW) - Die mangelhafte Interoperabilitaet zwischen den Anwendungssoftware-Paketen verschiedener Hersteller bereitet Unternehmen eine Menge Aerger. Da die Produkte kaum offengelegte Schnittstellen bieten, ist es nahezu unmoeglich, einen optimalen Softwaremix zur Unterstuetzung ganzer Prozessketten zusammenzustellen.

Viele Anwender entscheiden sich aus Furcht vor Schnittstellen- Problemen fuer den flaechendeckenden Einsatz eines einzigen Produkts - egal ob von SAP, Baan oder Oracle. Sie decken damit auch Aufgaben ab, die besser mit dem jeweils vorgesehenen Modul eines anderen Herstellers abgewickelt wuerden. Wer jedoch den steinigen Weg geht und versucht, die Angebote verschiedener Hersteller zu integrieren, steht schnell vor gewaltigen Investitionen. "Es gibt Firmen, die 70 Prozent ihres Projektaufwands in die Integration verschiedener Softwareprodukte stecken", beobachtet Helmut Bremicker, Senior-Berater bei der Diebold Deutschland GmbH, Eschborn.

Bremicker referierte anlaesslich des von Diebold veranstalteten Softwareforums '95 in Frankfurt zum Thema "Koenigsweg Standardsoftware?" Er beklagte, dass die Offenheit von Standardsoftware "sehr zu wuenschen uebrig lasse" und unterschiedliche Benutzeroberflaechen der verschiedenen Pakete die Nutzereffizienz einschraenkten. Ausserdem sorgten "konkurrierende Datenhaltungen" in den Systemen fuer unnoetige Redundanzen.

Die Gruendung der Open Applications Group (OAG) laesst nach Ansicht des Diebold-Mannes darauf schliessen, dass inzwischen auch unter den Anbietern mehr Problembewusstsein entstanden sei. In dieser Gruppe entwickeln Softwarehaeuser wie Oracle, SAP, J.D. Edwards, Marcam oder Peoplesoft gemeinsam Spezifikationen, mit denen die Interoperabilitaet von Standardsoftware verbessert wird.

Das OAG-Engagement duerfte sich in Grenzen halten

Kunden sollen die Applikationen so miteinander koppeln koennen, dass auf die Vorteile prozessorientierter Integration nicht mehr verzichtet werden muss. Fuer eine bessere Connectivity der Anwendungen werden sogenannte Open Application Integration Standards entwickelt. Sie dienen auch dazu, die Einbindung von Individualprogrammen des Kunden zu erleichtern.

Auf die Frage aus dem Publikum, wann es moeglich sein werde, die unterschiedlichen Produkte der Hersteller modulweise zu verschachteln, zeigte sich Bremicker allerdings skeptisch: "Mir fehlt die rechte Ueberzeugung, dass die Softwarehaeuser ein ernsthaftes Interesse daran haben, ihre Programme so zu gestalten, dass sie relativ problemlos an die Produkte der Konkurrenz angedockt werden koennen." Die Austauschbarkeit von Modulen sei fuer die Industrie kaum wuenschenswert. Daher werde sich das Konsortium eher mit oberflaechlichen Normierungen beschaeftigen.

Trotz der Probleme beim Einsatz mehrerer Pakete ueberwiegen nach Ansicht des Industriespezialisten die Chancen des Standardsoftware-Einsatzes gegenueber den Risiken. Der Kunde setze eine zeitgemaesse, hochwertige Softwaretechnologie mit umfangreichen Funktionen ein. Anwendungen wuerden zuegiger und mit weniger Personalaufwand eingefuehrt. Zu den Risiken zaehle die Abhaengigkeit vom Hersteller und dessen Produktstrategie sowie die moeglicherweise unbefriedigende Unterstuetzung in Teilprozessen. Ausserdem steige der Ressourcenverbrauch deutlich.

Das groesste Risiko liegt jedoch in einer nicht fachgerechten Auswahl des Softwareprodukts. "Man muss sich wundern, auf welcher Informationsbasis sich manche Grossunternehmen fuer den flaechendeckenden Einsatz eines bekannten Softwarepakets entscheiden" - welche Software den Unternehmern derzeit den Kopf verdreht, musste der Senior-Berater nicht weiter ausfuehren.