Welle von Produktankündigungen drückt auf die Preise

Anwender profitieren vom Hype um NT-Workstations

26.09.1997

Vor gut eineinhalb Jahren schien die Welt für die alteingesessenen RISC/ Unix-Anbieter noch in Ordnung zu sein. Hewlett-Packard (HP), Sun, IBM, Silicon Graphics (SGI) und DEC teilten den milliardenschweren Workstation-Markt unter sich auf. Doch das Jahr 1996 markierte eine Wende. Mit den Fortschritten in der Prozessortechnik und dem Vordringen von Windows NT stießen erstmals auch PC-Hersteller in das bis dato abgeschottete Segment vor. Im Vergleich zu 1995 lieferten die Hersteller traditioneller Workstations in Europa vergangenes Jahr zwei Prozent weniger Rechner aus. Der Umsatz ging nach Dataquest-Berechnungen um vier Prozent auf 3,43 Milliarden zurück. Dieser Trend wird sich 1997 verstärken.

In den vergangenen Wochen häuften sich die Produktvorstellungen und Ankündigungen von NT-Workstations. Nach Compaq und HP sind jetzt auch die Direktanbieter Dell und Gateway 2000 in den lukrativen Markt eingestiegen (siehe Kasten). Die PC-Hersteller versprechen sich von diesem Segment vor allem höhere Gewinnmargen. Schon seit März 1997 bietet auch die IBM NT-basierte Workstations an ("Intellistation") und macht damit der eigenen RS/6000-Produktlinie Konkurrenz. Wie erst kürzlich bekannt wurde, plant inzwischen selbst die "Unix-Company" SGI, Wintel-Systeme anzubieten (siehe CW Nr. 37 vom 12. September 1997, Seite 7: "SGI beugt sich dem Druck...").

Einzig Sun Microsystems bleibt demonstrativ der reinen RISC/ Unix-Linie treu. Desktop-Chefin Genelle Trader gab sich gegenüber der CW selbstbewußt. "Wir wollen kein weiterer NT-Anbieter sein." Die Managerin wies damit auf eine Entwicklung hin, die etlichen NT-Anbietern über kurz oder lang Kopfzerbrechen bereiten dürfte. Mit dem zunehmenden Einsatz von Standardkomponenten könnten die vormals unverwechselbaren High-end-Maschinen zu "Me-too"-Produkten verkommen. Spielen jedoch technische Merkmale nicht mehr die entscheidende Rolle beim Kauf, müßten sich die Anbieter stärker als bisher auf Marketing- und Vertriebsmaßnahmen konzentrieren.

Was für einige Hersteller zum Problem werden könnte, erweist sich für die Anwender als vorteilhaft. Nicht nur in unteren Leistungssegmenten können potentielle Workstation-Käufer schon heute unter einer Vielzahl vergleichbarer Hard- und Software zu relativ niedrigen Preisen wählen. Ein Beispiel für den Preisverfall ist die jüngste Marketing-Initiative Compaqs. Die Texaner nahmen Preissenkungen für NT-Workstations bis zu 19 Prozent vor. Auch Dell hat angekündigt, seine kürzlich vorgestellten "Workstation 400"-Systeme "ausgesprochen kostengünstig" anzubieten. Den Mitbewerbern wird kaum eine andere Wahl bleiben, als ebenfalls diesen Weg einzuschlagen, sofern sie sich nicht, wie beispielsweise Intergraph, mit eigenen technischen Erweiterungen differenzieren können. Selbst Sun versucht offensichtlich, der wachsenden Konkurrenz mit Preismaßnahmen zu begegnen. Wie aus dem Vertrieb von Sun Microsystems in Grasbrunn zu hören ist, wird es künftig schon für 7000 bis 8000 Mark Unix-basierte Workstations geben, die in puncto Preis-Leistungs-Verhältnis den PC-Pendants mindestens ebenbürtig sein sollen.

Für einen anhaltenden Siegeszug der Wintel-Maschinen sprechen indes nicht nur Kostenvorteile. Auch das gebetsmühlenhaft vorgebrachte Argument der Unix-Vertreter, Wintel-Workstations könnten im Midrange- und High-end-Bereich nicht mithalten, gerät zunehmend ins Wanken. Ein Beispiel dafür liefert Intergraph. Die Firma kommt aus dem Unix-Umfeld und bietet seit 1993 NT-Systeme an.

Auf der Computergrafik-Messe "Siggraph" in Los Angeles zeigte der Hersteller mit der "TDZ2000" eine NT-Workstation, die in mehreren Benchmark-Tests (OPC Viewperf-Reihe, Bench 97 und andere) die Grafikleistung einer "Octane"-High-end-Workstation von SGI übertrifft oder zumindest eine vergleichbare Performance liefert. Den Herstellerangaben zufolge kostet der Intel-basierte Rechner dabei mindestens ein Drittel weniger als die Silicon-Graphics-Maschine.

Die "TDZ 2000" arbeitet mit maximal zwei 300-Megahertz- Pentium-II-CPUs und soll ab Oktober auch in Deutschland lieferbar sein. Intergraph verwendet neben Intel-Standardkomponenten (Prozessoren, 440-LX-Chipsätze) das eigenentwickelte "Realizm"- Grafiksubsystem mit den Grafik-CPUs "ZX25" und "VX25", jeweils optional mit Geometrie- und Texturspeicher.

Wie etliche andere Wintel-Anbieter (siehe Kasten) unterstützt auch Intergraph mit der TDZ-Workstation die Intel-Technologie"Accelerated Graphic Port" (AGP), verzichtet aber vorerst auf den Einsatz dafür ausgelegter Grafikkarten. AGP stellt unter anderem einen zusätzlichen Datenbus zur Verfügung. Dadurch wird der Systembus entlastet. Sowohl die Grafikverarbeitung als auch die gesamte Rechenleistung eines Systems sollen sich damit verbessern (siehe CW Nr. 36 vom 5. September 1997, Seite: 44: "Die meisten Applikationen..."). Die Intel-Technik könnte PC-basierten Workstations einen entscheidenden Schub geben, glaubt die Dataquest-Analystin Karen Benson. Einer der gravierendsten Hemmschuhe von Intel-Rechnern ist bislang die begrenzte Grafikleistung. Eine ungefähre Meßgröße liefert die Anzahl von Polygonen, die ein System pro Sekunde rendern kann. Herkömmliche High-end-PCs kommen bei Testläufen auf 100000 bis 200000 Polygone/s; die Werte von RISC-Workstations bewegen sich dagegen zwischen 500000 und über einer Million Polygone/s. Mit Hilfe der AGP Technik, so Benson, könnte ein PCI-Bus-basiertes System einen Durchsatz von 500 MB/s erreichen - genug für das Rendering von 500000 Polygone/s.

Bei Intergraph beurteilt man AGP im derzeitigen Stadium allerdings zurückhaltend. "Der Standard ist weitestgehend definiert, aber noch nicht so weit, daß man ihn sauber implementieren kann," meint Michael Schalli aus dem Vertrieb der deutschen Tochter in Ismaning. "Ein AGP-Port bringt dem Anwender heute maximal fünf Prozent mehr Performance." Die AGP-Implementierungsphasen 1, 2 und 3 bieten nach Schallis Ansicht noch keinen bedeutenden Zuwachs gegenüber aktuell verfügbaren Systemen. Mit der Phase 4 sei aber eine dramatische Leistungssteigerung bei Wintel-Rechnern zu erwarten. Schalli: "AGP ist von der Architektur her auf das High-end ausgerichtet. Aber es muß noch aus den Kinderschuhen herauswachsen."

Weiteren Auftrieb erhalten die PC-Hersteller durch die NT-Unterstützung der Grafikschnittstelle OpenGL (Open Graphics Language). Dabei handelt es sich um eine Funktionsbibliothek, die es Software-Entwicklern erleichtert, 3D-Grafikanwendungen zu erstellen. Die Technologie war zunächst nur für Unix verfügbar und gilt heute im professionellen 3D-Bereich (Ausnahme Spieleanwendungen) als Standard. OpenGL wurde von SGI entwickelt. Die Kalifornier lizenzieren die Technik auch an andere Hersteller. Auch für Intel ist die Technik von Interesse. Der Chipgigant ist sogenannter Level-3-Lizenznehmer von OpenGL und damit berechtigt, die Technologie an eigene Kunden weiterzuvertreiben, die den Quellcode dann auf ihre spezifische Hardware zuschneiden können. Der RISC/Unix-Gemeinde geht damit ein wichtiger Vorteil verloren.

Auf der Software-Ebene hat Windows NT für Workstations längst den Durchbruch geschafft. Schon jetzt portieren die wichtigsten Hersteller einschlägiger Applikationen in großem Umfang auf das Microsoft-System. Der Meta-Group-Analyst Clive Longbottom erwartet innerhalb der kommenden Monate "eine massive Abwanderungsbewegung von Unix in Richtung NT". Nur noch bis zum Jahr 2000, so die Gartner Group, werde sich Unix in High-end-Workstation-Segmenten gegenüber NT behaupten können. Danach avanciere das Betriebssystem der Gates-Company auch bei technischen Anwendungen zur Nummer eins.

Den jüngsten Beleg für die Annäherung von Wintel- und RISC/Unix-Rechnern lieferte Hewlett-Packard mit der Vorstellung seiner "Kayak"-PC-Workstations. Die Maschinen arbei- ten mit den eigenentwickelten "Visual-fx"-Grafikbeschleunigern, die sowohl in Unix- als auch in NT-Systemen funktionieren. Die Boards basieren auf HPs 64-Bit-PA-RISC-Architektur und wurden in früheren Varianten ausschließlich in Unix-Workstations eingesetzt. Ebenso wie IBM mit der "Intellistation" züchtet jedoch auch HP mit den Kayak-Systemen Konkurrenz im eigenen Haus - ein Problem, das PC-Hersteller wie Compaq oder Dell nicht haben. Andererseits kennen die traditionellen Workstation-Anbieter die Bedürfnisse und Entscheidungsprozesse der ehemaligen Unix-Klientel weit besser als die PC-Massenvertreiber und deren Händler. Wer auf Anbieterseite am meisten vom Wintel-Hype profitiert, bleibt deshalb abzuwarten.

Die neuen NT-Workstations

Netpower: Das kalifornische Unternehmen offeriert mit der "Calisto3" eine 3D-Workstation mit Intels Chipset "440LX AGPset" und der AGP-fähigen Grafikkarte "Glyder Max-2". Die Pentium-II-Prozessoren sind in 266- oder 300-Megahertz-Versionen erhältlich. Das Einstiegsmodell kostet 7670 Mark.

Compaq: Mit der "Professional Workstation 5100" stellten die Texaner erstmals eine Desktop-Variante dieser Produktlinie vor. Der Rechner arbeitet mit maximal zwei Pentium-II-Prozessoren mit 266 oder 300 Megahertz. Für 2D-Anwender installieren die Texaner standardmäßig eine "Matrox-Millenium-II"-Karte. Professionellen Ansprüchen von 3D-Anwendungen soll das Elsa-Board "Gloria XL" genügen. Der Einstiegspreis liegt bei zirka 8340 Mark.

Hewlett-Packard: Die PC-Workstations der "Kayak"-Serie sind mit Pentium-II-CPUs mit 266 oder 300 Megahertz bestückt. Der Hersteller bietet Single- und Dual-CPU-Konfigurationen an. Alle Systeme arbeiten mit Intels 440-LX-Chipsatz und unterstützen die HP-eigenen "Visualize-fx"-Grafiksubsysteme, die auch in den Unix-basierten Workstations des Anbieters eingesetzt werden.

Gateway 2000: Der Direktanbieter kündigte die Pentium-II-basierte Modellreihe "E-5000" an. Sie bietet in der Basiskonfiguration eine 266-Megahertz-CPU, den Intel-440-LX-AGP-Chipsatz, ein 2D-Grafiksubsystem und 64 MB Hauptspeicher. Außerdem sind Varianten mit 3D-Grafikbeschleuniger und 300-Megahertz-Prozessor vorgesehen.

Intergraph: Der Hersteller sorgte mit der "TDZ 2000"-Workstation für Aufsehen auf der Computergrafikmesse "Siggraph". Der Rechner läßt sich mit maximal zwei 300-Megahertz-Pentium-II-CPUs bestücken und basiert auf Intels-440-LX-Chipsatz. Die Kalifornier verwenden das eigene Grafiksubsystem "Realizm II" mit unterschiedlichen Grafikprozessoren. Ab Oktober sollen die Modelle in Deutschland lieferbar sein.