Nibeg: Handlungsbedarf für Migration nimmt langsam zu

Anwender integrieren die alten Nixdorf-Hosts mit CDS ins Netz

27.11.1992

MANNHEIM (pg) - Stark geprägt von den Themen offene und verteilte Systemumgebungen sowie Netzwerke war die diesjährige Herbsttagung der Nibeg. Auf der Veranstaltung der "Neutralen herstellerunabhängigen Informationsverarbeitungs-Benutzer Gruppe e.V.", die sich überwiegend aus früheren Nixdorf-Anwendern rekrutiert, wurde vor allem die Kluft zwischen Theorie und Praxis bei der Systemplanung und -integration kontrovers diskutiert.

"Sie haben in der Vergangenheit die Neigung zu exotischen Lösungen gezeigt", übte Franz-Joachim Kauffels, unabhängiger Berater, in seinem Leitvortrag sanfte Kritik an den Nixdorf-Anwendern, die laut Hans-Peter Nickenig, Vorsitzender der Nibeg, rund 80 Prozent der Vereinigung ausmachen. Kauffels warnte die in der Mehrzahl aus mittelständischen Unternehmen kommenden DV-Verantwortlichen davor, bei der Migration von ihren 8870- und 8890-Systemen zu anderen Lösungen wieder auf Außenseiter zu setzen. Begründung: Die mittelständischen Kunden leben nach Ansicht des Beraters in einer DV-Landschaft, deren spezifische Weiterentwicklung für die Hersteller zu kostspielig und beratungsintensiv ist. Kauffels rät den Unternehmen, künftig Hersteller zu wählen, die in großen Stückzahlen fertigen.

Keimzelle der Informationsverarbeitung in den Unternehmen müsse, so der Berater, das PC-Netz sein, auf das die klassische Anwendungssoftware aufgesetzt werde. Strategische Planungen sind dem Experten zufolge in Sachen Netzwerk-Betriebssystem heute jedoch nicht mehr nötig, da der Markt auf diesem Sektor sehr aggressiv und schnellen technologischen Wechseln ausgesetzt ist. "Die PC-Netzsoftware von heute ist Wegwerfsoftware", sagte Kauffels und empfiehlt, bei der Netzkonzeption mehr auf Verkabelung und Application Program Interfaces (API) zu achten. Auf die Verkabelung, weil sie sehr teuer und zukunftsweisend für die Systemintegration ist, auf APIs, weil er überzeugt ist, daß das Betriebssystem der Zukunft APIs unterstützt, die allgemein genutzt werden.

Die Empfehlung des Euskirchner Consultant, die Vernetzung mindestens auf Basis von 10Base-T, noch besser mit FDDI zu realisieren, stieß im Plenum jedoch auf Kritik.

Nibeg gibt bei Migration die nötige Hilfestellung

"FDDI-Anschlüsse sind heute noch viel zu teuer und kaum verfügbar", legte Jürgen Gruber, Leiter technische Organisation des Maschinenbauunternehmens Rieter Automatik, ein Bekenntnis zu Cheapernet ab, dessen Nutzung Kauffels als "Unfug" bezeichnet hatte. Gruber, dessen Firma neben Minis von DEC, HP und Targon auch noch einen 8890-Host mit Ethernet-Controller einsetzt, denkt vorerst nicht daran, den Mainframe und die Anwendungssoftware Comet aus alten Nixdorf-Zeiten auszurangieren und das Unternehmensnetz über ein anderes Medium zu betreiben.

Bei der Jean Müller GmbH, Hersteller von Schaltgeräten, trägt man sich derzeit ebenfalls nicht mit dem Gedanken, der 8890 Lebewohl zu sagen. "Der Host läuft noch gut", begründet Hans-Joachim Schott, DV-Verantwortlicher der Müller GmbH, das Festhalten an dem Rechner. Zwar stoße, so Schott, Comet mittlerweile an seine Grenzen, das Problem sei momentan aber noch durch Individuallösungen zu mildern. Für Schott, der gegenwärtig die PCs der Firma mit Netware verletzt, ist der Host weiterhin ein wichtiger Datenlieferant. Die Integration der 8890 in das Netz wurde in dem Unternehmen deshalb mit Hilfe einer Terminalemulation über das Nixdorf-spezifische Protokoll CDS bewerkstelligt - wie auch bei der Rieter Automation. Derzeit wird geprüft, ob sich der Einsatz einer Steuereinheit lohnt.

Im Gegensatz zu den beiden genannten Unternehmen trennt sich die Rawe GmbH, Produzent von Textilstoffen, Ende des Jahres von ihrem Nixdorf-Mainframe. Ersetzt wird der Großrechner durch eine ES 9000 von IBM, die Koppelung mit den HP- und DEC-Systemen sowie dem PC-Netz stellt dabei laut Nibeg-Vorstand Nickenig - auch DV-Leiter der Rawe GmbH - kein Problem dar.

"Es hat keinen Sinn, länger als nötig mit einem toten Betriebssystem zu leben", erklärt Nickenig dein Wechsel. Bei einigen Anwendern, so der Insider, verläuft der Entscheidungsprozeß zur Migration jedoch sehr zaghaft. Wie die Erfahrung zeige, tendieren die Comet-User dabei mehr zu SNI-Lösungen, während die Nidos-Gruppe kraft Historie stark an IBM orientiert sei. Es bestehe immer eindeutigerer Handlungszwang zur Migration, wobei es Ziel der Nibeg sei, möglichst herstellerneutral Hilfestellung zu geben und zu einer Anwendervereinigung zu werden, die immer weniger von ihrer Nixdorf-Vorgeschichte beeinflußt sei.