Streit mit Third-Parties schadet dem DEC-Image

Anwender halten Mini-Marktführer für unglaubwürdig

30.08.1991

DEC geht gerichtlich gegen die Anbieter steckerkompatibler Systeme vor. Dies könnte den Markt für VAX-Peripherie austrocknen. Die COMPUTERWOCHE wollte wissen, mit welchen Auswirkungen die VMS-Anwender und die DEC-kompatiblen Anbieter rechnen. Fazit: Eine Abkehr von den VAX-Systemen wird bei der DEC-Klientel kurzfristig nicht in Betracht gezogen. Mit diesem Verhalten macht sich Digital Equipment jedoch, was die eigene Open-Systems-Argumentation betrifft, unglaubwürdig und provoziert zudem auf längere Sicht den Schwenk der Kunden von proprietären zu offenen Systemen - ein Eigentor von DEC?

Umstritten sind in Branchenkreisen die Gerichtsverfahren, die die Digital Equipment Corp. derzeit gegen Anbieter steckerkompatibler Speichersysteme anzettelt. Der Minicomputer-Hersteller aus Maynard verklagt Third-Party-Anbieter wie Micro Technology (MTI) und Emulex, weil diese angeblich die Patentrechte der von DEC entwickelten SDI/STI-Technologie (Standard Disk Interconnect/Standard Tape Interconnect) verletzten. "Das ist ein Patent der Digital Equipment Corporation. Es wurden keine Lizenzen vergeben. Die Unternehmen stehlen diese Technik", erklärt Theresia Wermelskirchen, Sprecherin der deutschen Digital Equipment GmbH. Waren bisher nur die amerikanischen Niederlassungen der genannten Unternehmen betroffen, so läuft seit 9. Juli 1991 auch gegen die deutsche Gesellschaft von Micro Technology, Hamburg, ein Verfahren. Die DEC Corp., nicht die Münchner Gesellschaft, will laut Wermelskirchen gerichtlich gegen den europaweiten Vertrieb von MTI vorgehen.

Dabei erhitzt weniger die Tatsache, daß DEC Lizenzgebühren erheben will, die Gemüter. Gegen die Nutzung eigener Technologien durch Trittbrettfahrer einzugreifen, gilt als durchaus legitim. "Wenn DEC sagen würde, daß eine branchenübliche Lizenzgebühr zu entrichten wäre, hätte kein Hersteller etwas dagegen", vermutet Bernhard Bruscha, Geschäftsführer der Tübinger Computersysteme-Vertriebsgesellschaft Transtec.

Vielmehr ruft das Phase-out-Programm, das der Mini-Marktführer den Third-Party-Anbietern aufoktroyieren will, den Unmut der an DEC gebundenen Anwender und Anbieter hervor. Bei dieser außergerichtlichen Regelung handelt es sich um ein Abkommen, das den Drittanbietern die Produktion und Vermarktung der SDI/STI-Produkte bis zum 31. Dezember 1992 gestattet und bis zu diesem Ablaufdatum zur Zahlung von Lizenzgebühren verpflichtet. So hat sich Systems Industries neben neun anderen Herstellern bereits auf diesem Wege mit DEC geeinigt und verzichtet ab Ende 1992 auf die Nutzung der SDI/STI-Technik. Die hohen Gebühren für Rechtsstreitigkeiten in den USA haben das Unternehmen - auch angesichts der eigenen finanziellen Situation - dazu getrieben, klein beizugeben, munkelt man in informierten Kreisen.

Bei der deutschen Emulex-Niederlassung wehrt man sich noch. "Wir sehen kein Problem für unsere Kunden", informiert Geschäftsführer Hans Griesbacher die Anwender. "Der DEC-Markt ist offen, und wenn man in einem offenen Markt agiert, muß man mit anderen Anbietern rechnen", so der Münchner Emulex-Boß weiter. Micro Technolgy schießt mittlerweile zurück (siehe CW Nr. 34 vom 23. August 1991, Seite 4) und bezichtigt DEC der Verletzung von Antitrust-Bestimmungen.

Doch bekanntlich enden Gerichtsverfahren dieser Art oftmals für beide Seiten unbefriedigend. "Meistens kommt eine Einigung heraus. Wenn man die Patentstreite verfolgt, die in den letzten Jahren in den USA ausgefochten wurden - es ist nie einer entschieden worden", bemerkt Bodo Schnabel von der Münchner Solid Computer Entwicklungs & Service GmbH. Seinen Angaben zufolge ist auch die US-Mutter des OEMs und Wiederverkäufers seit kurzem in eine Auseinandersetzung mit DEC bezüglich der Lizenzgebühren verwickelt.

Emulex sammelte bereits Erfahrung mit außergerichtlichen Regelungen. Griesbacher: "Bereits 1988 lief ein Rechtsstreit mit DEC. Damals hat DEC einen Rückzieher gemacht, und man einigte sich außergerichtlich." Der Minicomputer-Hersteller selbst hofft ebenfalls auf eine gütliche Einigung - mit der Phase-out-Vereinbarung. Dazu Pressesprecherin Wermelskirchen: "Wir wollen die Unternehmen nicht unter Druck setzen und niemanden ruinieren. Durch dieses Phase-out-Programm hat jeder Hersteller die Möglichkeit umzusteigen." Alternativ könnten die Produkte der Third-Parties zum Beispiel über den SCSI- oder Turbo-Channel-Bus angeschlossen werden, so die DEC-Sprecherin. Hier habe der Hardwarehersteller die Spezifikationen offengelegt.

Ungeachtet dessen, welche Partei im Recht ist, stellt sich jedoch die Frage, wie sich diese Politik auf die Investitionsentscheidungen der Anwender auswirkt. Vorerst sind die Kunden durch den Patentkrieg zwischen dem VAX-Hersteller und den Mixed-Hardware-Anbietern zwar verunsichert, sehen aber noch keinen Grund, sich nach anderen Lieferanten umzusehen. "So wie ich MTI verstanden habe, sind die von der technischen Argumentation her sehr sicher, daß sie kein Problem bekommen werden", meint Reinhold Noppe, Einkaufsleiter für Informationsverarbeitung bei der Münchner BMW AG. "Letztendlich sind die Anwender die Leidtragenden. Deshalb lasse ich mich nicht von der Linie abbringen und versuche, den Markt zu erhalten, solange es möglich ist." Bis nicht gerichtlich bestätigt sei, daß die Nachahmer die Patentrechte von DEC verletzen, werde er seine Einkaufsstrategie nicht ändern.

Auch Peter Flieher von der PWA AG, Stockstadt, interessieren die Gerichtsverfahren zwischen DEC und den steckerkompatiblen Mitschwimmern kaum. "Man kann ja, indem man einen Rechtsstreit vom Zaun bricht, einen Wettbewerber madig machen. Mich als Kunde stört das weniger." Mit dieser Aussage zählt der DV-Mann zu dem Kreis derer, die die Streitsucht von Digital zur Marketing-Aktion deklarieren - eine Vermutung, der ein DEC-Kenner strikt widerspricht. DEC wolle nur einen Präzedenzfall schaffen.

Sollte jedoch das Phase-out-Angebot von DEC greifen und sich die Third-Party-Anbieter daraufhin vom Markt zurückziehen, rechnen Branchen-Insider langfristig mit einem geänderten Kaufverhalten der Kunden. "Dann hat Digital ein Monopol erreicht", meint Schnabel, "und folglich werden die Preise nicht mehr gesenkt, sondern erhöht." Kurzfristig dürfte DEC dieser Alleinanbieter-Status nach Meinung der Analysten jedoch Vorteile bringen - Trümpfe, die mit der speziellen Situation der proprietären Welt zusammenhängen. Wie aus Anwenderkreisen zu hören ist, seien die dadurch bedingten Einschränkungen bekannt, doch man sei gebunden und könne daher nicht so schnell abspringen. Dies bestätigt auch Erwin Hillinger, der wie Noppe bei BMW in der Abteilung IV-Einkauf beschäftigt ist: "Wenn man nur auf einen Anbieter zugreifen kann, ist man auf diesen angewiesen und muß die entsprechenden Preise zahlen. Das kann einem Einkäufer und damit auch dem Unternehmen nicht recht sein."

Den raffinierten Schachzug, gerichtlich gegen die Mixed-Hardware-Anbieter vorzugehen, unternimmt DEC jetzt, so tuscheln Branchenkenner hinter vorgehaltener Hand, um angesichts der angespannten Ertragssituation den eigenen Marktanteil auf Kosten der Trittbrettfahrer zu erhöhen. "Etwas Ähnliches gab es schon einmal bei einem anderen Hersteller mit drei Buchstaben. Ab einer bestimmten Größe scheint dieses Verhalten normales Geschäftsgebaren zu sein", frotzelt Noppe. Unter dem Preisschirm der Digital Equipment Corporation, die sich als Hersteller proprietärer Systeme nach Ansicht von Marktauguren im technisch-wissenschaftlichen Bereich ein vergleichbares Monopol wie Big Blue im kommerziellen Sektor geschaffen habe, lebten die Third-Party-Anbieter, die keine eigene Technologie entwickeln mußten, bisher ganz gut.

Auch den Anwendern kamen die DEC-Kompatiblen ganz gelegen, weil durch sie die Abhängigkeit gemildert wurde. "Technisch gesehen hat es für uns keine Auswirkungen. Dennoch wäre es besser, wenn weitere Hersteller Digital-kompatibles Equipment anbieten könnten. Diese Konstellation nutzen wir auch im IBM-Bereich. Es ist gut, daß es da Konkurrenz gibt", äußert ein verantwortlicher DV-Manager der BEB Erdöl und Erdgas GmbH, Hannover. Zudem konnte sich Digital Equipment dadurch, daß für die proprietäre VAX-Umgebung ein Markt vorhanden war, gegen andere Hersteller von proprietären Minicomputern, etwa Data General, Prime, Stratus und Tandem, im technisch-wissenschaftlichen Sektor behaupten. "Wir haben uns mit DEC beschäftigt, weil es kompatible Anbieter gab", meint der Geschäftsführer der Bit & Byte GmbH.

Die Digital-Sprecherin weist den Monopolvorwurf entschieden zurück: "Die Kunden sollen nicht geknechtet werden, ausschließlich DEC-Peripherie zu kaufen." Fährt die Olsen-Company jedoch weiterhin den streng proprietär-politischen Kurs und schiebt damit die kompatiblen Anbieter auf das Abstellgleis, wird dies, so prophezeien Marktforscher, langfristig den Trend zu offenen Systemen fördern. "Es ist absehbar, daß sich ein größerer Prozentsatz der Kunden aufgrund möglicherweise höherer Preise und eingeschränkter Auswahl strategisch anders entscheidet und sich hin zu anderen Betriebssystemen orientieren wird", bestätigt Bruscha. Der Branchenkenner begründet seine Aussage damit, daß es für die Mixed-Hardware-Hersteller wenig interessant sei, nur für den Nicht-USA-Markt zu produzieren, falls der amerikanische Markt - als Auswirkung des Phase-out-Programms - wegfalle. Dieser Anteil betrage bei den meisten Unternehmen um die 45 Prozent. Der Transtec-Geschäftsführer: "Von DEC aus gesehen ist das eine brauchbare Methode, den Markt der kompatiblen Laufwerke zu reduzieren, indem man den Anbieterkreis verkleinert. Wir merken das an den Zuwachsraten. Wenn DEC auf diese Weise die letzten loyalen Kunden verärgert, ist am Schluß keiner mehr übrig." Schnabel schließt sich der Meinung Bruschas an: "DEC macht sich unbeliebt. Eigentlich haben die Strategen aus Maynard damit das Gegenteil dessen erreicht, was sie erreichen wollten. DEC wird wahrscheinlich durch diese Streitigkeiten mehr verlieren als gewinnen."

Von seiten der Anwender sind Aussagen wie "DEC spinnt" zu vernehmen. Bei BMW haut man - vornehmer zwar - in die gleiche Kerbe: "Die Frage ist, ob DEC damit nicht ein Eigentor schießt, ob nicht die Lösungen anderer Firmen angenommen werden, wenn Digital die Preise erhöht. Man kann auch andere Produkte kaufen, es gibt ja Gott sei Dank nicht nur DEC." Ein anderer Anwender ist ebenfalls über die Vorgehensweise von DEC erbost: "Ich glaube, daß man mit den Leuten so nicht umspringen kann. Irgendwann ist das Faß voll. Die Anwender ziehen Alternativen in Erwägung, die es ja gibt. Wenn ich so ein System auf dem Markt hätte, würde ich die Leute, die mir gewogen sind, nicht auch noch vergraulen." Für den Hardwarehersteller, so schätzen Leute, die den Markt kennen, werde sich dieses geänderte Einkaufsverhalten der noch in proprietären Fesseln gefangenen Anwender erst in zwei bis fünf Jahren auswirken.

Mit den gerichtlichen Zänkereien wird jedoch, so sehen es viele Kunden, die Aussage von Digital, verstärkt auf offene Systeme zu setzen, fragwürdig. Aus der VAX-Klientel war zu vernehmen, daß einige Anwender bereits nach Sun oder anderen Unix-Anbietern schielten. "Die DEC-Leute müssen sich genau überlegen, was sie da tun, weil sie sich die eigenen Argumente im Bereich der Workstations und abteilungsorientierten Systeme kaputtmachen", mahnt Flieher. "Für mich ist das Verhalten von DEC unglaubwürdig bezüglich des Engagements für Offenheit und Standards. Überall mischen sie mit - in den Normungsgremien und wenn es darum geht, einen neuen Standard zu definieren. Will jemand ihre Standards übernehmen, kneifen sie."

Bei DEC selbst befürchtet man nicht, daß die Gerichtsaktionen die eigene Open-Systems-Ausrichtung in Frage stellen könnten. Wie die DEC-Sprecherin betont, "unterstützt Digital Equipment den Trend zu offenen Systemen". "Aber das kann nicht heißen", so Wermelskirchen weiter, "daß die Entwicklungen eines großen Herstellers sofort am Markt freiverfügbar sein müssen. Woher sollen sonst noch Wettbewerbsvorteile kommen."