Ankündigungs-Nichts

02.03.1984

Seit dem 24. Februar 1984 muß man die International Business Machines Corporation (IBM) wohl mit anderen Maßstäben messen. Vorerst bleibt freilich unklar, was den Rechnergiganten geritten haben könnte, um eine Performance-Verbesserung von fünf bis zehn Prozent, wie bei den neuen 308X-Prozessoren (Seite 1), so viel Aufhebens zu machen.

Daß Big Blue im Schaltkreisdesign und in der Packungstechnik weitergekommen ist, überrascht nicht. Doch wo man große Leistungssprünge wähnte, gibt es jetzt nur kleine Inkremente. IBM-Anwender waren bisher gewohnt, daß der Marktführer neue Modelle gegenüber vorhandenen Systemen um den Faktor 1,5 bis 1,8 schneller machte.

Nunmehr renommieren die Stuttgarter damit, daß die Prozessorfamilie 308X über ein "zukunftsweisendes Design" verfügt. Geschickt bringen die "blauen" Produktplaner jene Erfahrungen ins Spiel, die zum Beispiel schon 1977 bei der Einführung der 303X-Rechner gemacht wurden. Für Marktbeobachter war das Announcement der Wachstumsmodelle für 370-Anwender schwierig zu interpretieren: Handelte es sich bereits um die 370-Nachfolger oder um Übergangssysteme, die Vorboten erst einer neuen Großrechner-Generation? Die Kunden indes wußten, daß die 370-Architektur nicht so schnell obsolet werden würde. Sie fanden die Dosierung, ein Leistungsplus immerhin von mehr als 100 Prozent, genau richtig. Die Zauberformel hieß "Evolution statt Revolution". Der große Bruch wurde vermieden: Die neuen IBMer (303X) waren fast die alten (370er).

Wie sich zeigte, ging die IBM-Kalkulation auf. Aber wird sie sich auch diesmal als stimmig erweisen? Wieder wird nämlich der Evolutionsbegriff strapaziert, um den Kunden Upgrade-Möglichkeiten aufzuzeigen, die letzten Endes auf ein finanzielles Mehr-Engagement hinauslaufen. Denn von den installierten Modellen 3083-E, -B und -J, 3081-G und -K sowie 3084-Q führt kein direkter Weg zu den X-Varianten, Aufrüstung im Feld ist wegen der geänderten Prozessortechnologie nicht möglich.

Es ist festzuhalten, daß Anwender mit 308X-Systemen nicht mehr die neueste IBM-Technologie besitzen. Dieser Punkt ist unbestritten. Schwacher Trost: Das neue Design bringt nicht sehr viel (siehe oben). 308X-Kunden mit Lastproblemen (viele Ad-hoc-Anwendungen) jedenfalls dürften die erweiterten Systemgrenzen kaum nützen. Keiner wird unter dem Eindruck einer zehnprozentigen Leistungszulage in Euphorie verfallen.

Es ergeben sich zwei Fragen: Wer wird denn durch diese Ankündigung positiv gestimmt und wo bleibt der Nettoeffekt für die Anwender? Des Rätsels Lösung kennt nur die IBM. Es darf also spekuliert werden. Wenn der Mainframe-Riese schon einen Marketingschritt macht - und sei er auch noch so winzig -, dann muß das ja eine Weile reichen. Zwar werden die Produktlebenszyklen immer kürzer, aber unter ein gewisses Zeitlimit lassen sie sich nicht drücken. Werden jetzt kleinere Brötchen gebacken? Kommt die angeblich bereits gesichtete Sierra-Maschine womöglich gar nicht - wie auch die geheimnisumwitterte FS-Serie (Future Systems) nicht kam? Oder ist die Sierra-Premiere, wenn nicht aufgehoben, so doch aufgeschoben? Ist das vielleicht das Signal, das IBM aussenden will? Oder soll sich der DV-Markt auf einen Ankündigungsrhythmus einstellen, wie er in der Automobilindustrie längst gang und gäbe ist? Also alle zwölf Monate Frontspoiler weg - Heckspoiler ran? Man muß Die IBM ab sofort wohl mit anderen Maßstäben messen.