Angst vor IBM und Mut zum neuen System

13.11.1974

Mit Heinz Nixdorf, Vorstandsvorsitzender der Nixdorf Computer AG, sprach Dr. Gerhard Maurer

Heinz Nixdorf rechnet 1974 mit einem Umsatz von etwa 620 Millionen Mark, erneut knapp 25 Prozent mehr als im Vorjahr - so geht es nun schon seit Jahren.

Aber zur Zeit gibt es keine ähnliche spektakuläre Parallelentwicklung bei den Gewinnen. 1973 mußten außerordentliche Abschreibungen für Verluste der Telefunken-Computer GmbH gemacht werden, 1974 wird es Abstriche durch Rückstellungen für das Fiasko bei der DATEL geben.

Heinz Nixdorf werden diese Millionen sicherlich ärgern - immerhin kann er froh sein, daß er es in beiden Fällen verstand, noch rechtzeitig auszusteigen. Offenbar konzentriert er sich jetzt ganz auf die Nixdorf Computer AG: Am 4. November wurde in Paderborn, 3 km Luftlinie vom Rathaus entfernt, auf einem 600 000 qm großen Grundstück der Grundstein für eine neue Fabrik gelegt, die bereits im kommenden Mai produzieren soll. Auf dem Bauplatz ist viel Platz für Expansion, soweit das Auge im Paderborner Nebel reicht 1 km mal 600 m.

Im Januar 1975 wird die Nixdorf Computer AG ein neues System vorstellen, daß auf neuester Technologie basierend die Aufträge für entsprechende Produktionskapazitäten bringen soll. Der Markt hat lange auf das 820-Nachfolge-System gewartet Heinz Nixdorf zögerte mit der Neuankündigung nach der Devise "Never change a winning team" . . . Auch heute ist er noch überzeugt, daß er die 820 als Magnetkonten-Computer noch viele Jahre verkaufen kann denn "es besteht gar kein Zwang, diese Maschine schneller zu machen, weil die Peripherie ja nicht schneller ist".

Neben neuer Fabrik und einem wichtigen neuen Produkt (künftiger Umsatzanteil wenigstens 25 Prozent) ist die dritte Maßnahme zur langfristigen Sicherung der Gewinne, die Mitarbeiterzahl - bei wachsenden Umsatzzahlen - nicht unerheblich zu verringern. Von Anfang des Jahres 850 Mitarbeitern sollen Ende 1975 nur noch etwa 7800 dabei sein.

Faszinierend, Heinz Nixdorf durch die Werkshallen zu folgen.

Mit Riesenschritten, Gangart eines Kapitäns, eilt er voran: "Das habe ich bereits vor sieben Jahren entwickelt", "hier machen wir 200 Millionen Mark Umsatz", "das können die Amerikaner heute noch nicht". Seine Mitarbeiter redet er per "Ihr" an, den einzelnen aber doch mit "Sie". Ansonsten ärgert es ihn, wenn IG-Metall-Betriebszeitungen in den Fabrikhallen rumliegen.

Heinz Nixdorf ist nicht nur Patriarch in Paderborn, er ist auch Motor der Entwicklung: Im Herzen der Fabrik stehen im Testzentrum einhundert 820-Systeme als Qualitätskontrollstationen - und es scheint, als ob der Chef jeden Schaltvorgang kenne.

- Ist das neue Nixdorf-Terminal-System nur eine von vielen Ankündigungen des Hauses, oder handelt es sich um wirklich mehr?

Das neue System wird mitentscheidend sein für unsere künftige Umsatzentwicklung, es wird während der Jahre 1975-1978 etwa den vierten Teil unseres Gesamtumsatzes ausmachen. Wir wollen es während der nächsten 8 Jahre etwa 200 000mal verkaufen.

- Setzen Sie jetzt auf Terminal Systeme, weil der Markt für MDT-Anlagen eher gesättigt ist?

Nein, unser alter Markt entwickelt sich sehr gut, das zeigen die Verkaufs- und Installationsergebnisse der letzten 3 Quartale dieses Jahres. Man muß allerdings erkennen, daß dieser Markt sich auch wandelt. Die Bedürfnisse der Kunden machen diesen Markt ständig größer.

- Würden Sie Anwendern mit Magnetkontokartenanlagen empfehlen, auf Floppy-Disk-Speicherung umzusteigen?

So generell kann man das nicht sagen. Es gibt Bereiche innerhalb des Abrechnungswesens, die man mit der Floppy besser bestreiten kann. Aber auf der anderen Seite hat die Magnetkontokarte ganz bedeutende Vorzüge, die mich - wenn ich Chef eines kleinen Unternehmens wäre - auf jeden Fall überzeugen würden, wesentliche Teile meiner Gesamtarbeit per Magnetkontenkarte durchzuführen:

- Wo genau sehen Sie die Grenze?

Mit Sicherheit kann man sagen daß die Magnetkontokarte für den Bereich der Debitoren- und Sachkontenverwaltung das sinnvollere Medium ist und daß sie im Bereich des Lagerwesens der Artikelverwaltung durch die Floppy-Disk sinnvoll ergänzt wird.

- Um Ihren Kundenkreis bemühen sich mehr und mehr die Hersteller von Prozeßrechnern und Minicomputern. Tatsächlich gibt es von der Systemarchitektur ja kaum noch Unterschiede zur MDT. Wie reagieren Sie auf diese neue, doch sicherlich recht starke Konkurrenz?

Vollkommen richtig, die Architektur dieser kleinen Computer ist sehr ähnlich. Aber ich glaube, man muß erkennen, daß unser Markt gar nicht in erster Linie ein Hardware-Markt ist, sondern ein Dienstleistungsmarkt. Als Kunde würde ich mir nicht nur den Rechner anschauen, nicht einmal die Software, die mir geboten wird, sondern vor allem das Haus, das dahinter steht und das dafür sorgt, daß dieses System auch jede Woche, viele Monate, viele Jahre gewartet werden kann. Wir können aufgrund der Größe unserer Kundschaft unseren Kunden überlegene Dienstleistungen und Software-Pakete bieten.

- Ist das Haus Nixdorf bereits so groß, daß Mitbewerber auf diesen Markt keine Chance mehr haben?

Das habe ich nicht sagen wollen. Wir gehören zu den wenigen Großen, die eine komplette Leistungspalette anbieten können.

- Wie aber sieht es mit dem zunehmenden Wettbewerb seitens der freien Service-Rechenzentren aus, die sich ja auch sehr stark um die Kunden der "Nixdorf-Klasse" bemühen?

Es gibt gegenwärtig keine echten Wachstumsraten der Rechenzentren bei unserem Kundenkreis. Vermutlich ist unser Umsatz schneller gewachsen als der der Rechenzentren. Unser Marktanteil hat sich stetig vergrößert.

- Ist das der Grund, weshalb Sie sich aus der DATEL zurückgezogen haben?

Teilweise auch.

- Hat Ihr DATEL-Engagement Ihnen Verluste gebracht?

Leider ja, das waren sogar kräftige Verluste. Allerdings haben wir schon am 5. November 1973 - also vor 12 Monaten - unseren Austritt aus der DATEL den anderen Gesellschaftern mitgeteilt, so daß sich unser Verlust in Grenzen hält.

- Was haben Sie sich denn seinerzeit von Ihrem Engagement bei der DATEL versprochen?

Die Gesellschafter AEG, Siemens Nixdorf und die Deutsche Bundespost haben sich ja eigentlich zusammengefunden, um eine Innovation auf dem Datenfernverarbeitungssektor zu realisieren. Darüber hinaus, um für Klein- und Mittelbetriebe ein Service-Angebot zu bieten. Insofern war eine gewisse Konkurrenzsituation schon zu erwarten. Eine Zusammenarbeit mit der mittleren Datentechnik hätte, aus meiner Sicht, aber auch sehr effizient werden können. Diese Chance wurde durch die DATEL nie genutzt.

- Sie hofften also, die DATEL würde ganz stark in das Geschäft f der Datenfernverarbeitung, der On-line-TP-Lösungen, einsteigen. Das hätte Ihnen dann vermutlich auch Umsatz über den Verkauf von Terminals gebracht?

Nicht nur das, wir haben uns zudem auch ein Feedback auf Gebühren- und Vorschriftenpolitik der Bundespost versprochen. Wir glaubten, es würde wirkliche Innovationen, auf dem gesamten Datenfernverarbeitungssektor geben.

- Demnach wäre Ihr Ausscheiden so zu interpretieren, daß Sie nicht annehmen, die DATEL könne diesen großen Sprung in absehbarer Zeit schaffen?

Ich wünsche diesem Unternehmen, daß zu gegebener Zeit positive Ergebnisse erzielt werden können.

- Waren die Gründe für Ihr Aussteigen bei der Telefunken Computer ähnlich?

Ja, obwohl es zwei sehr unterschiedliche Sektoren sind. Die Gründe waren ähnlich - aus wirtschaftlicher Sicht ähnlich.

- Haben Sie auch beim TC-Engagement Verluste gemacht?

Ja, aber der überwiegende Teil dieser Verluste wurde schon 1973 abgeschrieben .

- Sie sind ja auf Ihrem Markt mit Ihren Maschinen sehr erfolgreich. Warum fordern Sie als erfolgreicher Hersteller staatliche Mittel aus dem Datenverarbeitungs-Förderprogramm der Regierung?

Weil sich der Marktverzerrer IBM verstärkt auf unseren Markt einschießt.

- Haben Sie Angst vor IBM?

Ja (Pause). Aber mit all dieser Angst, die ja nicht erst seit heute berechtigt ist, haben wir erreicht, daß sich unser Marktanteil, gegen IBM von Jahr zu Jahr vergrößert hat. Betrachten Sie unsere Planung für das neue System. 200 000 Geräte wollen wir verkaufen, denn unser Markt Ist längst noch nicht erschöpft. Ich bin sicher, daß wir mit verstärkter staatlicher Förderung noch ganz ansehnliche Marktanteile gewinnen können - zum Vorteil unserer Kunden. Mit dem richtigen Maß an Computerleistung vor Ort am Arbeitsplatz kann beim Anwender noch erheblich rationalisiert werden. Wir haben das vorgemacht. Wir freuen uns, daß jetzt auch andere EDV-Hersteller diesen Weg gehen.