IT in der Medienbranche/"Big Iron" Internet-fähig gestalten

Anbindung von Web-Applikationen an globale Host-Architektur realisiert

08.10.1999
Mainframe-basierten IT-Infrastrukturen wird nachgesagt, sich nur mit großem Zeitaufwand an das Internet anpassen zu lassen. Der Entwicklungsabteilung im Verlag das Beste ist es indes gelungen, in nur drei Monaten eine Web-basierende Infrastruktur zu erstellen, die es ermöglicht, mit Cobol-orientierten Mainframe-Applikationen in eine heterogene DV-Landschaft mit Web-Oberfläche zu migrieren. Axel Blickle* und Jochen Klein* haben das Projekt geleitet.

Im Verlag Das Beste wurde von Anfang an eine konsequente Lösungsstrategie verfolgt: Der Einsatz von Anwendungsentwicklungs-Tools war dringend erforderlich, um auf der Basis des vorhandenen Mitarbeiter-Know-hows den Einstieg in neue Technologien zu schaffen.

Für die Umsetzung zeichneten sowohl die Entwickler im Verlag als auch ein externer IT-Consultant verantwortlich. Das Entwicklerteam war sich der Bedeutung seiner Aufgabe von Beginn an bewußt: Der gesamte IT-Bereich im Verlag ist als reine Dienstleistung zu betrachten, von deren Qualität zu einem großen Teil der Geschäftserfolg abhängig ist.

Neben der Vereinfachung der Abläufe wollte das Unternehmen durch eine bessere Koordination bereits in der Planungsphase der Einkäufe und beim Verkauf von Restbeständen die anfallenden Kosten reduzieren. Das geschätzte Einsparungspotential liegt bei bis zu zehn Prozent der Gesamtkosten der Prämien im ersten Jahr. Etwa 500 Artikel müssen mit Prisy weltweit verwaltet werden. Weiterhin sah das Projekt vor, daß sich auch Marketing-relevante Auswertungen anhand des aktuellen und umfangreichen Informationsgehalts in der Prisy-Datenbank durchführen lassen.

Die bestehende Systemlandschaft beim Verlag Das Beste umfaßt MVS-Großrechner mit dem Betriebssystem OS/390 und einem Novell-Netzwerk sowie einem angekoppelten NT-Netzwerk mit insgesamt etwa 250 Usern. Als Desktops kommen Pentium-II- und Pentium-III-Rechner mit Festplatten von bis zu 10 GB zum Einsatz. Für die Redakteure stehen etwa 80 Macintosh-Rechner zur Verfügung.

In der Mainframe-Welt werden hauptsächlich Cobol-Programme eingesetzt. Die dezentralen Systeme werden in Visual Basic, teilweise kombiniert mit Cobol-Datenbank-Zugriffsroutinen, realisiert.

Des weiteren verfügt der Verlag über eine DB2-Datenbank auf dem Mainframe und eine DB2/2-(UDB5-)Datenbank auf einer PC-Plattform, beide von IBM.

Die IT-Strategie des Verlags läuft darauf hinaus, den Umstellungsaufwand sowohl bei Produkten als auch bei der Neu- und Weiterentwicklung von Anwendungen so gering wie möglich zu halten. Das Unternehmen legt auf ein hohes Maß an Wiederverwendbarkeit und Portabilität der bestehenden Produkte und Komponenten Wert, wozu auch die Programmiersprache Cobol gezählt wird. Das Ergebnis ist eine hohe Produktivität der eingesetzten Systeme.

Zur Realisierung des Prisy-Projekts brauchte man eine innovative Entwicklungsumgebung. Gefragt war eine Lösung zur Erstellung, Pflege und Nutzung verteilter und Internet-fähiger Anwendungen.

Die langjährige Partnerschaft mit Merant Micro Focus im Bereich Support und Consulting war ausschlaggebend dafür, daß man sich für "Micro Focus Netexpress 3.0" entschied.

Die User fanden die gewohnte Oberfläche, die mit Visual-Basic- und Add-on-Werkzeugen entwickelt worden war, hervorragend. Und der Umstieg in einem reinen Visual-Basic-Projekt von einem Release ins nächste verursachte mit allen dazugehörigen Modulen jedesmal Kosten von etwa 30000 Mark. Für das Projektteam stellte sich daher die Frage: Muß der User immer diese 100-Prozent-Lösung haben, wenn dadurch die Entwicklungskosten und vor allem die Wartungskosten in Dimensionen steigen, die eigentlich nicht mehr vertretbar sind? Man entschied sich schließlich dafür die Ansprüche an die Grafik etwas zurückzuschrauben, da man die bisherige Web-Oberfläche als völlig ausreichend betrachtete.

Genereller Umstieg auf Web-Applikationen

Damit ergaben sich erste Diskussionen, ob nicht ein genereller Umstieg auf Web-Applikationen sinnvoll wäre. Diese haben in puncto Softwareverteilung einen großen Vorteil gegenüber herkömmlichen Client-Server-Applikationen. In den Visual-Basic-Anwendungen gab es enorme Probleme, die Software in der reinen Microsoft-Welt zu verteilen. Zwar sind durchaus Werkzeuge für die automatische Softwareverteilung erhältlich, doch zwischen Theorie und Praxis herrscht ein großer Unterschied. Meist braucht man Experten vor Ort, die dafür sorgen, daß das Ganze absolut sicher läuft. Ein Zustand, der für den Verlag weder unter Zeit-, Personal- noch unter Kostenaspekten vertretbar war.

Die Lösung waren Web-Applikationen. Das Problem der Softwareverteilung erledigt sich damit von selbst. Die Zielvorgabe war ein Plattform- und Browser-unabhängiges System. Wurde bisher eine Visual-Basic-Oberfläche verwendet, sollte diese jetzt durch eine Browser-Oberfläche ersetzt werden. Das Ziel wurde eindeutig formuliert: weg von den Fat Clients, hin zu den Thin Clients in Richtung verteilte, plattformneutrale Anwendungen. Die Geschäftslogik mußte beibehalten werden, trotzdem sollte keine reine "GUIsierung" erfolgen.

Plattformneutralität schafft mehr Flexibilität

Die IT-Landschaft des Das-Beste-Verlags besteht aus einer dreischichtigen Architektur. Für den Datenzugriff wird mit Modulen auf Basis von Embedded SQL gearbeitet. Die Geschäftslogik und die Kernprozesse sind auf der mittleren Schicht in Cobol abgebildet. Bei der Wahl der Oberfläche war man flexibel, daher ist heute eine Browser-Oberfläche im Einsatz. Jeder PC-Anwender hat automatisch eine Internet-Berechtigung. Von der Architekturseite sind damit die Voraussetzungen, um die Anwendungen zu verteilen, gegeben. Aufgrund der Neutralität der Plattform lassen sich sowohl die Kernprozesse als auch die Zugriffsmodule überall einsetzten, zum Beispiel unter Unix oder auf dem MVS-Großrechner. Im Moment laufen diese auf dem Web-Server. Eine weitere Voraussetzung war, daß die Oberflächenplattform Browser-unabhängig gestaltet wird.

Bei einer Internet-Programmierung macht es wenig Sinn, wenn ständig Daten durch die Leitung gehen, nur um ein Kennzeichen oder das Datum zu prüfen. Deshalb wurde eine Trennung der Vor-Ort- und der Prozeßplausibilitäten anvisiert. So werden die Vor-Ort-Plausibilitäten in Javascript abgebildet und laufen direkt beim Endanwender über den Browser. Dabei wurden nur Javascript-Befehle verwendet, die in Netscape dokumentiert und auch mit dem Microsoft Internet Explorer ausführbar sind.

Hier fingen die Probleme an. Man testete das System mit dem Netscape Communicator, doch konnte diese Lösung nicht überzeugen, da einige Bugs enthalten waren, die ein fehlerfreies Funktionieren verhinderten. Anders als mit dem Microsoft Internet Explorer wurden verschiedene Events nicht mehr ausgeführt. Bei der Veränderung der Größe des Browser-Fensters per Maus verliert Netscape die Daten und reagiert mit einer Fehlermeldung. Die vorhersehbaren Kosten und der Aufwand für Entwicklung und Maintenance von Software für verschiedene und teilweise nicht immer aufwärts kompatiblen Versionen der Browser waren letztendlich ausschlaggebend dafür, daß man sich auf einen einheitlichen Browser-Hersteller festlegte. Die Entscheidung fiel zu Gunsten von Microsoft, unter anderem weil der Internet Explorer auch in Office 2000 implementiert ist.

Hinzu kam im Rahmen einer Einarbeitungsphase die Weiterbildung in Javascript und HTML. Bereits nach etwa zwei bis drei Wochen war produktives Arbeiten möglich. Positiver Nebeneffekt für die Entwickler: In diesem Projekt wurde nicht nur eine neue Lösung geschaffen, sondern auch eine Plattform, die für Neuentwicklungen in der Infrastruktur offen ist. Die Zielsetzungen waren damit erfüllt.

In vielen Unternehmen haben die Fachleute, die schon seit Jahren "alte" Systeme betreuen, kaum Chancen, in neue Technologien einzusteigen. Bei diesem Projekt hatte jeder der Beteiligten die Möglichkeit, sein Know-how in ein neues Projekt wie die GUI-Programmierung oder Datenbankanbindung einzubringen. Das übergreifende Wissen führt dazu, daß die Entwickler jetzt schneller und effizienter auf Marketing-Anforderungen reagieren können.

Die Forderungen der Marketing-Abteilung gehen eindeutig in Richtung grafische Oberflächen. Für das gesamte Unternehmen stehen Aspekte wie Zukunftssicherheit und Investitionsschutz im Vordergrund. Aber auch der zukünftige Wechsel auf ein neues Datenbanksystem läßt sich ohne großen Aufwand realisieren.

Der Systemaufbau war eine Gratwanderung

Mittlerweile arbeiten viele Gruppen mit dem Inventory-Teil von Prisy, und die Akzeptanz ist gut. Der Aufbau eines derartigen Systems ist jedoch eine Gratwanderung. Auf der einen Seite steht das operative System, auf der anderen Seite ein informatives Internet-System. Die Akzeptanz der Anwender beweist, daß sich die Entwickler für eine gute Mischung entschieden haben.

Das System ist nicht zu steif und Host-orientiert, auch Internet-Technologie wird genutzt und mit Animationen aufgelockert. Für Anfragen stehen beispielsweise kleine animierte Icons zur Verfügung.

Innerhalb des Konzerns erhielt das Projekt internationale Anerkennung, insbesondere was die zentrale Verwaltung und den hohen Informationsgehalt der Anwendung betrifft. Nach erfolgreichem Abschluß der Testphase ist die weltweite Verfügbarkeit vorgesehen.

Auf Basis dieser Strategie können neue Applikationen entwickelt werden. Mit neuen Technologien, wie Netexpress sie bietet, wurde der Beweis erbracht, daß es möglich ist, verschiedene Internet-dispositive Systeme neu abzubilden und bestehende Cobol-Abläufe in den Gesamtablauf zu integrieren. Dadurch lassen sich Synergien nutzen, und es kann schnell auf die Anforderungen des Marketings reagiert werden.

Zur Entwicklung von Tabellenabfragen müssen die Oberfläche gestaltet, Prüfregeln hinterlegt und Datenbankzugriffe festgelegt werden. Einfacher ist es, Programme generieren zu lassen und minimale Änderungen vorzunehmen. Die Vorgehensweise läßt sich in zwei Schritten zusammenfassen:

Man setzt produktive Cobol-Programme ein. Über die Linkage-Schnittstelle wird die grafische Web-Oberfläche generiert.

Aus einem bestehenden Datenmodell läßt sich innerhalb weniger Sekunden eine komplette Netexpress-Internet-Anwendung generieren. Diese enthält eine Oberfläche, die Verarbeitung der Datenbankfelder und Zugriffsfunktionen. SQL-Zugriffe, die absolut baufähig sind, können ebenfalls erstellt und zusammen mit SQLCA- und DCLGEN-Strukturen (SQLCA= Structured Query Language Communication Area; DCLGEN = Data Con- troled Language) auf Knopfdruck in Cobol-Programme eingefügt werden.

Die Browser-ähnliche Oberfläche erlaubt via Drag und drop und mit wenigen Mausklicks die Erstellung von ausführbaren .EXE- oder .DLL-Dateien. Per Mausklick abrufbare Übersichten machen die Zuordnung von Komponenten wie Copycodes, Unterprogrammen, Datenfeldern etc. ähnlich wie in einem Data-Dictionary transparent.

Die Zukunft kann kommen - über das Internet

Einen guten Eindruck, insbesondere wegen der hohen Effizienz, machten die verschiedenen integrierten Debugging-Verfahren:

- Cross-Debugging: Cobol-Routinen, die in Programmabläufen mit anderen Programmiersprachen - zum Beispiel Visual Basic - kombiniert sind, können integriert mit der anderen Sprache "gedebuggt" werden. Sobald ein Aufruf auf ein Cobol-Programm erfolgt, wird automatisch der Cobol-Debugger geladen, alle Übergabedaten sind sofort verfügbar.

- Remote Debugging: Dieses Verfahren unterstützt die Fehlersuche bei Programmen, die auf unterschiedlichen Plattformen (auch bereits produktiv) implementiert sind.

Zeitersparnisse, speziell im Test- und Wartungsprozeß, ließen sich durch das inkrementelle Compile- und Linkverfahren ermitteln. Netexpress erkennt, daß nur die veränderten Komponenten zusammen mit allen abhängigen beziehungsweise von einer Änderung betroffenen Module übersetzt werden müssen. Zum Beispiel werden beim Verändern eines Copycodes automatisch alle betroffenen Module neu gebildet.

Letztendlich ist die Entscheidung der Geschäftsleitung, jeden Arbeitsplatz mit einem Internet-Anschluß auszustatten, als strategisch richtig einzustufen. Die Mitarbeiter sind offen für neue Technologien und erkennen die Perspektiven. Die Zukunft kann kommen.

Projektverlauf

Im Oktober 1998 wurden 15 Tage Consulting eingekauft. Dabei wurde "Netexpress 2.0" installiert und konfiguriert. Vor-Ort-Schulungen über Internet-Philosophie und CGI-Programmierung waren wesentlicher Bestandteil. Einer der Schwerpunkte lag zudem auf der Ausarbeitung eines leistungsfähigen Security-Konzepts. Die generelle Web-Problematik der Lesbarkeit von Übergabedaten von einer HTML-Side zu einer anderen oder aller gesendeten Daten im HTML-Code waren ein Sicherheitsrisiko.

Dank mitgelieferter Komponenten, die sich in die Infrastruktur integrieren ließen, wurde das Sicherheitsrisiko reduziert. Die gesamte Kommunikation erfolgt über eine Art Commarea, vergleichbar zu der Commarea in der MVS-CICS-Umgebung.

Die relevanten Übergabe- und Steuerungsdaten, die eine Web-Applikation benötigt, werden an diesen Bereich übergeben und, indiziert mit einer eindeutigen Client-ID pro Benutzersitzung, in einem sogenannten Server-Side-File hinterlegt. Diese Indexdatei steht in einem gesondert geschützten Bereich auf dem Web-Server.

Im Januar 1999 erfolgte die Umstellung auf "Netexpress 3.0". Speziell im HTML-Designer-Tool wurden Neuerungen zur Verfügung gestellt. Ein Problem stellte das Kopieren ähnlicher HTML-Sides zur Weiterverarbeitung oder von Sides, die mit anderen Design-Tools erstellt wurden, dar. Ende Januar konnte mit der Realisierung von Prisy begonnen werden. Dabei achtete man auf eine saubere Trennung zwischen dem Kernprozeß und den Datenbank-Zugriffsmodulen. Innerhalb weniger Wochen waren die ersten Web-Applikationen realisiert und konnten international präsentiert werden.

Das Beste

Der Verlag mit Sitz in Stuttgart ist eine der großen Tochtergesellschaften des globalen Verlags- und Direkt-Marketing-Unternehmens Reader''s Digest, das seinen Sitz in den USA hat. Der Grundstein für den Verlag wurde 1948 gelegt, als die erste deutsche Ausgabe der internationalen Zeitschrift Reader''s Digest erschien. Im Lauf der Jahre wurde das Programm erweitert. Aktuell werden Zeitschriften, Bücher, Musik- und Videoprogramme zu unterschiedlichen Themenbereichen entwickelt und vertrieben. Als Direkt-Marketing-Unternehmen informiert der Verlag seine Kunden in Werbebriefen über Neuerscheinungen. Für den Erfolg des Unternehmens ist das in Jahren gesammelte Know-how im Datenbankbereich von entscheidender Bedeutung.

Detaillierte Informationen über den Kundenstamm ermöglichen es, gezielt Mailing-Aktionen durchzuführen. Über Selektionsprogramme erfolgt eine Auswahl unter den aktiven und inaktiven Kunden nach bestimmten Kriterien wie etwa der Kundenhistorie. Der Kunde erhält mit dem Mailing meist auch die Möglichkeit, an einem Preisausschreiben teilzunehmen. Beworben werden einige Millionen aktive Kunden, wobei das Alter der Zielgruppe bei 45 plus liegt.

ANGEKLICKT

Aus der Notwendigkeit heraus, den dezentralen Prämieneinkauf des weltweit tätigen Reader''s-Digest-Konzerns zu optimieren, die Konzeptauswahl einfacher und schneller zu gestalten, Informationen über Bestände in den verschiedenen Ländern sichtbar zu machen und weltweite Musterversände zu reduzieren, entstand die Idee einer Internet-Datenbank, die den Namen "Prisy" (Premium Information System) erhalten sollte. Zu jeder Zeit und an jedem Ort sollten Einkäufer weltweit Ideen aus der Datenbank schöpfen, gemeinsame Einkäufe planen sowie Bestände austauschen können. Wo vorher regelmäßig Listen erstellt und international ausgetauscht werden mußten, gibt es nun Zugriff auf eine Datenbank, in der nach Bedarf selektiert werden kann. Dadurch läßt sich zusätzlich Zeit sparen. Ein zweifelsohne ökonomischer, aber auch ökologischer Lösungsansatz.