Nach weiteren Verlusten fordern Marktkenner einen radikalen Kurswechsel

Analysten nehmen Sun-Chef McNealy ins Gebet

10.10.2003
MÜNCHEN (CW) - Nach den schlechten Prognosen für das laufende Geschäftsquartal und der Milliardenabschreibung für das Ende Juni abgelaufene vierte Quartal des vergangenen Geschäftsjahres muss Sun Microsystems scharfe Kritik von Analysten einstecken. Sie fordern neue Strategien und stellen zunehmend Firmenchef Scott McNealy in Frage.

"Scott ist eine freche und widersprüchliche Persönlichkeit", kritisiert Steven Milunovich, Analyst der US-amerikanischen Investment-Bank Merrill Lynch. Damit habe er zwar einst das Image des Unternehmens geprägt und zu dessen Erfolg beigetragen. Mittlerweile habe sich seine Masche jedoch abgenutzt. Milunovich empfiehlt dem Sun-CEO, mehr Respekt vor dem Wettbewerb zu zeigen und aufzuhören, das Unternehmen im Stile eines Alleinherrschers zu führen. Es sei an der Zeit, einen Chief Operating Officer (COO) für das Tagesgeschäft zu bestellen.

Unerwartet hoher Verlust

Der Grund für die ungewöhnlich heftige Kritik, die Milunovich in Form eines offenen Briefes an McNealy richtete, sind die schlechten Zahlen und Prognosen aus Suns Firmenzentrale im kalifornischen Santa Clara. So erwartet Finanzchef Steve McGowan für das erste Quartal des Geschäftsjahres 2004 einen Verlust von sieben bis zehn Cent je Aktie. Das würde einen Fehlbetrag zwischen 230 und 325 Millionen Dollar für die Monate Juli bis September 2003 bedeuten. Im vergleichbaren Vorjahreszeitraum lag das Minus noch bei 111 Millionen Dollar. Die Analysten waren bislang von einem Verlust in Höhe von rund zwei Cent pro Anteilschein ausgegangen. Von Seiten Suns waren bis dato keine Prognosen zur aktuellen Geschäftsentwicklung zu hören. Auch über den zu erwartenden Umsatz wollte sich bislang niemand aus der Vorstandsetage des IT-Anbieters äußern.

Der Server-Spezialist muss ferner nachträglich in der Bilanz für das vorausgegangene vierte Quartal des bereits abgelaufenen Geschäftsjahres 2003 eine Sonderbelastung von 1,05 Milliarden Dollar wegen nicht mehr haltbarer Steuervorträge abschreiben. Damit verwandelt sich ein kleiner Gewinn von zwölf Millionen Dollar in ein Minus von rund einer Milliarde Dollar.

"Angesichts der gegenwärtigen Marktlage und unserer Performance im ersten Quartal haben wir unsere kurzfristige Gewinnprognose gesenkt", kommentierte Finanzchef McGowan die Ankündigungen knapp. Allerdings verfüge das Unternehmen nach wie vor über liquide Mittel in Höhe von 5,7 Milliarden Dollar. Außerdem befinde sich der Hersteller mit seinen jüngsten Initiativen, was beispielsweise die vor wenigen Wochen angekündigten neuen vorkonfigurierten Anwendungspakete "Java Enterprise System" und "Java Desktop System" betrifft, auf dem richtigen Weg.

Den Analysten reicht dies offensichtlich jedoch nicht. Sie äußerten sich enttäuscht über die neuerlichen schlechten Nachrichten aus der Sun-Zentrale. Dies sei ein deutlicher Rückschritt, bemängelt Toni Sacconaghi, Analyst von Sanford Bernstein. Suns strukturelle Probleme seien nach wie vor nicht gelöst. Vor allem die Frage, wie sich das Unternehmen gegen die stärker werdende Konkurrenz der günstigen Intel-Server unter Linux wehren wolle, bleibe unbeantwortet.

Milunovich empfiehlt den Sun-Verantwortlichen, selbst stärker auf Standardarchitekturen wie die Intel-Plattform zu setzen und die Aufwendungen für die proprietäre Sparc-Architektur zu drosseln. Zudem würde es Sinn geben, die Java-Sparte in ein separates Unternehmen auszulagern. Java sei zwar technisch ein Erfolg, finanziell gesehen aber ein Desaster.

Ferner müsse sich der IT-Anbieter stärker auf seine Kernkompetenzen konzentrieren, fordert der Merrill-Lynch-Analyst. Es verspreche wenig Erfolg, Microsoft mit dem Java Desktop System Konkurrenz zu machen. Dagegen sollte Sun Bereiche wie Solaris, das Java Enterprise System, die Management-Plattform N1 sowie die Blade-Server stärker forcieren. Um die Kosten weiter zu senken, müssten 5000 bis 7000 Stellen gestrichen werden, empfiehlt Milunovich. Damit ließe sich das Ergebnis um bis zu 15 Cent je Aktie steigern. Auch der Bereich Forschung und Entwicklung dürfe bei der Suche nach Einsparpotenzialen nicht ausgenommen werden.

Sollte das Sun-Management die Warnungen weiter in den Wind schlagen und den gegenwärtigen Kurs beibehalten, drohe eine finanzielle Katastrophe, prognostiziert der Analyst. In der Folge würde der Anbieter für die IT-Kunden zunehmend irrelevant und irgendwann wegen seiner installierten Basis aufgekauft. "Sun muss endlich seine Rolle als Nischenanbieter im Bereich Mission Critical Computing akzeptieren."

Die Sun-Verantwortlichen reagierten auf die Analystenschelte bislang sehr verhalten. Von Seiten McNealys war bis Redaktionsschluss keine Reaktion auf die Kritik zu hören. Lediglich ein Sprecher der US-amerikanischen Firmenzentrale erwiderte, das Unternehmen stelle sich sehr wohl auf vielversprechende Märkte ein. So biete Sun kostengünstige Intel-Server unter Linux an. Zu den geforderten Entlassungen, die weit über den erst kürzlich bekannt gegebenen Stellenabbau von rund 1000 Arbeitsplätzen hinausgehen, wollten sich die Sun-Vertreter nicht äußern. (ba)