Neuer Postdienst als Schrittmacher für Verkabelung und Computerisierung:

An Mut zu Bildschirmtext fehlt es nicht

12.03.1982

MÜNCHEN - Die Marktkampagne für Bildschirmtext (Btx) läuft auf Hochtouren. Scharfes Geschütz fuhr Hans Friderichs, Vorstandssprecher der Dresdner Bank. beim Btx-Kongreß der Diebold Deutschland jetzt in Frankfurt auf. Der frühere Wirtschaftsminister zitierte nachdrücklich den jüngsten Bericht des Club of Rome: "Entweder nutzen wir die Chance und werden mit den sich daraus ergebenden sozialen Umstrukturierungen fertig, oder unsere Industriegesellschaft wird infolge Trägheit, sozialer Schwierigkeiten und vor allem aus Mangel an Mut degenerieren."

Mangel an Mut werden sich die zirka 700 nicht nur potentiellen Btx-Anwender, die Diebold nur knapp einen Monat nach dem Btx-Kongreß (im Online-Kongreß) in Düsseldorf in der neuen "AIten Oper" im geschäftstüchtigen Bankenviertel Frankfurts zusammentrommeln konnte, nicht vorwerfen lassen wollen.

In den Bereichen Verlagswesen, Handel, Touristik sowie im Geld- und Kreditwesen sind Hersteller und Anwender längst mit hohem auch finanziellem Engagement eingestiegen - wenn auch nicht zur allgemeinen Zufriedenheit. Besonders im Verlagswesen tut man sich schwer, wie Berthold Stukenbroeker von Diebold betonte: Das Herantasten an die Information über die Suchbaumstruktur sei noch umständlich und zu langsam. Das Verfahren müsse mit deutlichen Fragezeichen versehen werden.

Eine Zwischenstation auf dem Weg zur "Jedermannstechnik" . zeichnete Winfried Schmitz-Esser von Gruner + Jahr in Hamburg auf. Sein Vortrag "Anforderungen an publizistische Ad-hoc-Informationsdienste" könnte als Pflichtenheft verstanden werden für alle, die ihr Info-Angebot via Btx in den Massenmarkt "pushen" wollen. Schmitz-Esser verurteilte die gegenwärtige Tendenz "alles nur auftreibbare maschinenlesbare Material ,auf den Rechner' zu nehmen und versehen mit dem Etikett ,Online-Informationsdienst' an den Mann zu bringen". Das Nachsehen hätte der Zeitgenosse.

In den leuchtendsten Farben schilderten die Vertreter der Bundespost den Fortgang der Entwicklung. Die Probleme gäbe es bei den Anwendern.

Noch in diesem Jahr stoßen die Niederlande und Großbritannien zu den übrigen europäischen Btx-Genossen. Hinweise auf ungünstige Akzeptanzdaten aus Frankreich und England schmetterte Eric Danke, Btx-Experte der Post, ab. Das deutsche Produkt Btx könne als weltweit führend betrachtet werden durch die Möglichkeiten des Rechnerverbunds, die in anderen Videotex -Produkten nicht bestünden. Andere Marktdaten seien deshalb nicht vergleichbar.

Für Ende 1986 erwartet die Post eine Million Benutzer des neuen Informationsdienstes. Wesentlich zurückhaltender lautet die Diebold-Schätzung: 1985 etwa 300 000 Teilnehmer und 1986 dann zirka eine halbe Million. Auch kam von hier der Einwand, daß hinsichtlich der Übertragungskosten noch nicht genügend Klarheit bestünde. Ein Hinweis auf die Gebührenordnung und Datex-P brachte die ersehnte Klarheit nicht, da die Frage nach konkurrierenden Trägermedien aufkam, zum Beispiel Satellitenstrecken. Danke mochte hier keinen Zusammenhang sehen.

Insgesamt soll sich, das ist das Ziel der Bundespost, Bildschirmtext auf lange Sicht selbst finanzieren. Als Hauptkostenträger kommen aus dem Blickwinkel der Post die Informationsanbieter in Betracht.

In vielfacher Hinsicht, das machte das breite Kongreßprogramm über deutlich, hat Bildschirmtext eine Schrittmacherrolle übernommen: Hans Friderichs hält das "Post-Produkt" auch international für so konkurrenzfähig, daß Btx den Weltmarkt für deutsche Produkte der Informationstechnologie noch weiter öffnen könnte.

Die Post hofft, ihr Leitungsangebot nach einer breiten Einführung des Dienstes wesentlich einträglicher in Rechnung stellen zu können. Die Banken wollen über Home-Banking (via Btx) noch mehr Dienstleistung an ihre Kunden verkaufen; die Touristikbranche sieht ihren Beratungsaufwand reduziert, der Handel seine Lagerhaltung optimiert etc. etc.

Zusammenfassend läßt sich nach diesem Anwender-orientierten Btx-Kongreß feststellen: Bildschirmtext ist das Vehikel über das Vollverkabelung und breite Computerisierung des Informationsmarktes der Bundesrepublik angestrebt wird. Stark erhoffter Nebeneffekt ist die Steigerung der Weltmarkt-Konkurrenzfähigkeit der deutschen Telematik-Produkte.