An der Institution CeBIT wagt niemand ernsthaft zu rütteln

07.03.1997

Durch die Auslagerung des Privatkundenbereiches in die CeBIT Home und durch die Entscheidung der Münchner Messe, die Systems künftig jährlich abzuhalten, ist in den Augen einiger Kritiker ein Messe-Überangebot entstanden. Zudem werden die Produktzyklen in der schnellebigen IT-Welt immer kürzer. Das hat zur Folge, daß viele Hersteller ihre Neuheiten unabhängig von den großen Publikumsschauen vorstellen. So äußerte kürzlich Compaqs Vice-President und Deutschland-Chef Kurt Dobitsch: "Heutzutage kann es sich kein PC-Hersteller mehr erlauben, mit der Einführung neuer Systeme zu warten, bis wieder CeBIT ist. Produkte müssen global zur selben Zeit präsentiert werden."

Manch einer bleibt zu Hause

Anwender, die nicht auf der Suche nach Neuigkeiten sind, verzichten deshalb teilweise auf eine Fahrt nach Hannover. Rolf Riemhofer, Leiter Finanz- und Rechnungswesen bei der FC Bayern Sport-Werbe GmbH, bleibt lieber zu Hause: "Wir fahren dieses Jahr nicht nach Hannover, wir haben keine Zeit dazu. Da wir augenblicklich nicht auf der Suche nach einer neuen Lösung sind, lohnt sich der CeBIT-Besuch nicht."

Gelegentlich gibt auch schierer Geldmangel den Ausschlag gegen eine Reise nach Hannover. Carsten Schöning ist im Umweltministerium des Landes Brandenburg als Referent für die DV-Koordination zuständig. Er beklagt, daß für Messebesuche kein Geld mehr vorhanden sei: "Wir können nicht mehr einfach nach Hannover fahren, um uns einen Marktüberblick zu verschaffen oder uns nach interessanten Neuigkeiten umzuschauen, wie das noch Anfang der 90er Jahre möglich war. Nur Leute, die für ein Projekt ganz konkreten Informationsbedarf nachweisen können, bekommen die Mittel bewilligt." Noch ist unklar, ob seine Abteilung jemanden nach Hannover schicken wird, um ein von seinem Haus mitentwickeltes Projekt auf dem Stand des Entwicklers zu präsentieren.

Sicher findet aber manch ein Besucher auch ohne Suche nach Produkten und Lösungen den Weg zur Messe. Es sind persönliche Kontakte, die Jürgen Kratz, Geschäftsführer der Düsseldorfer Mannesmann Datenverarbeitung GmbH, vermutlich in diesem Jahr in die Leine-Stadt reisen lassen: "Ich werde höchstwahrscheinlich hinfahren, um den Gedankenaustausch mit Kollegen zu pflegen. Wir holen uns auf der CeBIT sicherlich nicht die Informationen, die wir für unsere zukünftigen Entwicklungen brauchen. Das machen wir mit den Herstellern und Anbietern, mit denen wir zu tun haben, auf direkterem Weg. Ich nehme an, daß niemand heutzutage mehr nach Hannover fährt, um dort irgendeinen Abschluß zu tätigen." Kratz sieht keinen Bedarf für weitere IT-bezogene Messen in Deutschland. Die große Leitmesse CeBIT und die Systems reichten völlig aus, regionale Veranstaltungen hätten kaum Bedeutung und würden vermutlich auch keine hinzugewinnen.

Im vergangenen Jahr verzeichnete die CeBIT erstmals eine geringere Teilnehmerzahl als im Jahr zuvor. Rund 600000 Besucher kamen in die Leine-Stadt. Dieser Rückgang um etwa 155000 Gäste ist sicher zu Teilen auf die Verkürzung der Messe um einen Tag und auf das überraschend starke Publikumsinteresse an der Multimedia-Veranstaltung CeBIT Home zurückzuführen.

Für 1997 rechnet die deutsche Messe AG allerdings mit einem erneuten Anstieg der Besucherzahlen. Hubert Lange, Chef der Deutschen Messe AG, konnte bereits im Vorfeld neue Rekorde bekanntgeben: Für die CeBIT '97 haben sich 6813 Aussteller angemeldet (1996: gesamt 6549), die insgesamt 350122 Quadratmeter Nettoausstellungsfläche belegen (1996: 338066). 2706 Firmen kommen aus dem Ausland, dabei stellen die USA, gefolgt von Taiwan, die größten Kontingente. Auf der Warteliste stehen aber wie in den Vorjahren mehr als 200 Anmelder, die aus Kapazitätsgründen keine Berücksichtigung gefunden haben.

Lange kalkuliert für dieses Jahr mit bis zu 650000 Besuchern. Er hebt vor allem die professionelle Ausrichtung des Treffens hervor: "Die CeBIT betont ihren Business-to-business-Charakter und rückt erneut die relevanten Zielgruppen in den Mittelpunkt." Es werde wieder mehr Raum für Fachgespräche und neue Geschäftskontakte geschaffen.

Bei den Fachverbänden hat die CeBIT immer noch einen Bonus. Günther Möller, Geschäftsführer des Fachbereichs Informationstechnologie im VDMA und ZVEI, setzt für die Branche große Hoffnungen auf Hannover: "Wir erwarten einen deutlichen Impuls für das Frühjahrsgeschäft, das bisher etwas schleppend in Gang gekommen ist. Wir hoffen auf ein Wachstum von 6,8 Prozent." Für das beherrschende Thema der Messe hält Möller Inter- und Intranet. Spannung dürfte seiner Ansicht nach der Wettstreit zwischen Network Computer (NC) und anderen Konzepten wie dem von Intel und Microsoft favorisierten Net-PC bringen. Weitere Themenschwerpunkte könnten Miniaturisierung (PDAs, Handhelds) sowie Aufzeichnungs- und Speichertechnologien, dabei speziell die Digital Versatile Disk (DVD), sein.

Eines der bedeutendsten Themen hat nach Ansicht Möllers bisher wenig Beachtung gefunden: "Ganz besonders wichtig ist der Komplex Software und Lösungen zum Thema Umstellung auf den Euro und die vierstelligen Daten ab dem Jahr 2000. Hier wird es auf der CeBIT große Ankündigungen und erste große Lösungen geben."

Auch Alexander Bojanowsky vom BVIT erhofft für die von seinem Verband vertretene mittelständische Software-Industrie eine Ankurbelung des Geschäfts. Gegenüber dem Vorjahresauftritt erwartet er jedoch keine große Steigerung: "Nach unserem Dafürhalten sind die Zeiten vorbei, wo auf den Messen die großen Innovationen angekündigt werden. Die Hersteller sind aufgrund des großen Wettbewerbs gezwungen, ihre Produkte in viel kürzeren Zyklen auf den Markt zu bringen, als die Messen stattfinden. Wichtig ist die CeBIT vor allem als Kontakthof, auf dem wir uns mit unseren Kunden treffen können." Bojanowsky erwartet ähnliche Schwerpunkte wie sein Kollege vom VDMA. Probleme hat er mit der starken Betonung der Telekommunikation: "Die CeBIT ist mit etwa 2600 Ausstellern die größte Softwaremesse der Welt. Dies sollte auch nach außen stärker akzentuiert werden."

Deutschland hat zu viele Messen

Beide Verbände sind der Ansicht, daß mit CeBIT und Systems die Messelandschaft hierzulande hinreichend bedient sei. Möller kritisiert: "Deutschland hat ganz eindeutig zu viele Messen." Durch die Ausgliederung der CeBIT Home und die Konzentration auf Frühjahr und Herbst sei aber eine sinnvolle Bereinigung und Struktur erreicht worden. Die CeBIT zeichne sich vor allem durch ihren weltweit einzigartigen internationalen Charakter aus. Bojanowsky befürchtet, daß die Branche durch zwei wichtige IT-Messen träge werde: "Der typische deutsche Mittelständler braucht nur noch auf diese beiden Messen zu gehen, um sich dort im Kreise internationaler Mitbewerber wiederzufinden. Er ist nicht wie Firmen aus anderen Ländern, die solche Leitmessen nicht haben, gezwungen, auch global aktiv zu werden." Weiterhin glaubt er, daß mit den beiden "Großen" CeBIT und Systems kleinere Messen ihre Existenzgrundlage verlieren. Die Zeit der vielen kleinen Messen sei vorbei.

Nur die Großen bleiben übrig

Das bestätigt Peter Friedrich, Leiter Informations-Management und Konzernorganisation bei der Deutschen Babcock Aktiengesellschaft: "Ich habe gerade die ,Online+ Anfang Februar in Hamburg absolviert und hatte den Eindruck, daß das Publikumsinteresse rückläufig war. Deswegen glaube ich, daß wir zu diesem Thema überversorgt sind. Messen sind meiner Ansicht nach nicht immer das geeignetste Medium. Ich glaube, daß man solche Themen in größeren Fachveranstaltungen bedarfsorientierter und zeitnäher behandeln muß." Friedrich interessiert dieses Jahr insbesondere das CeBIT-Thema Internetworking und dabei vor allem Lotus Notes. Hier will der Babcock-Manager neuen Trends nachspüren, um diese rechtzeitig bei den eigenen Entwicklungen zu berücksichtigen.

Für das Fachgebiet Neue Medien im Vertrieb der Mercedes-Benz AG fährt David Terçn drei Tage lang nach Hannover, um sich interessante Produkte vorführen zu lassen. Den Löwenanteil seiner Zeit verbringt der Mitarbeiter der Internet-Redaktion des Autokonzerns mit im Vorfeld organisierten festen Terminen und Präsentationen, bei denen der Schwerpunkt des Interesses auf Internet-Technologie, vor allem Datenbankanwendungen, Multimedia und Visualisierung, liegen wird. "Abschließend möchte ich auch bisher unbekannte Firmen, die mit einem interessant gestalteten Stand oder einer besonders gelungenen Präsentation auffallen, kennenlernen und versuchen, mir einen generellen Überblick zu verschaffen."

Auf seiten der Aussteller heißt die Devise: Flagge zeigen. Unter dem Druck der Kosten denkt allerdings der eine oder andere über neue Konzepte nach. So geht die Dell Computer GmbH, im vergangenen Jahr noch mit einem großen Stand auf der Messe präsent, 1997 einen anderen Weg: Zwei Tage lang können Kunden und Interessenten sich über neue Produkte informieren. Allerdings nicht auf einem Messestand, sondern in einem an Halle 3 angrenzenden Hotel. Peter Kejzer, Marketing-Leiter Central Europe, erläutert: "Wir haben alle wichtigen Kunden eingeladen, um unsere letzten Entwicklungen zu zeigen. Parallel läuft seit drei Wochen eine Roadshow. Die CeBIT fahren wir mit gebremstem Einsatz. Wir besuchen unsere Kunden lieber vor Ort." Aufwand und Nutzen von Messen stünden für den Direktanbieter in keinem Verhältnis. Die Zeit und Energie sieht Kejzer an anderer Stelle sinnvoller investiert. Seine Firma wolle nicht durch Standgröße und Overhead ihre Qualität demonstrieren: "Wir sparen einen sechsstelligen Betrag, und dabei meine ich mit sechs Stellen sechs Nullen. Die große Standcrew kostet enorme Summen, gleichzeitig fehlen uns die Leute im Tagesgeschäft. Dazu kommen noch enorme Folgekosten."

Die IBM hingegen hat große Pläne: Sie will auf der CeBIT '97 unter der Parole "Let's net together" das Netzwerk-Computing zum beherrschenden Thema machen. Für Dieter Bierbrot, Leiter Produkt-Marketing und Vertrieb, ist die CeBIT - vom US-Markt abgesehen - das Forum Nummer eins: "Wenn man eine Idee durchsetzen will, braucht man eine solche Plattform und investiert auch als Teil des Marketings entsprechend." Die Frage nach dem Nutzen werde zwar nach jeder Messe aufs neue gestellt. Trotz Streß und hoher Kosten sei die CeBIT aber weiterhin ein Muß.

Häufig wurde der CeBIT vorgeworfen, zuwenig Fachpublikum anzuziehen. Seit langem wird bei Verantwortlichen und Ausstellern diskutiert, ob es nicht sinnvoll wäre, die Messe zeitweilig ausschließlich für Fachbesucher zu öffnen. Diese Ansicht teilt Bierbrot nicht: "Mit der Öffnung der ganzen Computerei ist die Limitierung auf Fachpublikum viel weniger ein Thema als früher, als wir wirklich noch unsere klassischen Anwendungen im rein kommerziellen Bereich vorgestellt haben. Nachdem die Informationsverarbeitung zu einem offenen System geworden ist, spielt es gar keine so große Rolle mehr, wie viele IS-Direktoren oder IT-Spezialisten dort auftreten und wieviel normales Publikum."

Aussteller wollen Flagge zeigen

Auch Lutz Hoffmann, bei der Datenbank-Company Oracle für die Messeauftritte zuständig, sieht keinen gravierenden Unterschied zwischen der Qualität des Publikums in Hannover und München: "Die Zahl unserer Kontakte steht direkt im Verhältnis zur Besucherzahl." Seine Firma will in diesem Jahr neben ihren bekannten Datenbankprodukten vor allem das Lösungsgeschäft präsentieren. Oracles Messemann hält die CeBIT für unverzichtbar, räumt aber der Systems den gleichen Stellenwert ein: "Wir benötigen beide Veranstaltungen, weil wir im Halbjahresrhythmus Neuerungen anbieten. Wir gewichten CeBIT und Systems gleich und bevorteilen keine der beiden Veranstaltungen."

Die Ulmer Wilken GmbH hatte im vergangenen Jahr ihre Unzufriedenheit mit der CeBIT über eine Mailing-Aktion und Anzeigen in der COMPUTERWOCHE zum Ausdruck gebracht und sich damit den Zorn der Veranstalter zugezogen. Die Hannoveraner Messeleitung argumentierte, Wilken habe mit ihren Aktionen den Namen der Veranstaltung verunglimpft. Nach einer außergerichtlichen Einigung sind die Ulmer 1997 wieder mit von der Partie. Marketing-Leiter Uwe Pagel erklärt dazu: "Wir haben die Stellung der CeBIT als weltweit wichtigstes IT-Ereignis nie bezweifelt. Wir wollten lediglich die Auswüchse kritisieren und waren intern auch gespaltener Meinung über sinnvolle Maßnahmen. So eine Aktion kann man aber nur einmal machen." Schwierigkeiten, für 1997 wieder einen Platz zu ergattern, habe es keine gegeben. Pagel hofft auf viele fachkundige Besucher und neue Kontakte. Aufgrund der professionellen Ausrichtung seines Unternehmens würde er "am Wochenende allerdings die Läden herunterlassen", wenn es auf seinem Stand welche gäbe.

Auch Mathias Hein von Bay Networks hat sich nach Abwesenheit im vergangenen Jahr diesmal wieder für Hannover entschieden. Es mangle an Alternativen: "Wir haben die Kosten analysiert. Wenn man die Interop gegen die CeBIT aufrechnet, verursacht ein Stand bei gleicher Größe dieselben Kosten. Und wenn ich dann vor unserer amerikanischen Muttergesellschaft schöngeredete 20000 oder 22000 Besucher in drei Tagen mit 650000 Leuten in acht Tagen vergleichen muß, bleibt eigentlich keine Wahl." Die CeBIT sei zentraler Event, vor allem wegen ihres internationalen Charakters. Natürlich gebe es zahlreiche negative Aspekte - Anfahrt, Abfahrt oder Probleme, einfach etwas essen zu gehen -, aber die nimmt Hein bei einer Messe dieser Größe hin.

Simone Droll von Netscape setzt neben dem positiven Image-Effekt der Messepräsenz vor allem auf persönliche Kontakte: "Die CeBIT bietet die Plattform für den direkten und persönlichen Kontakt mit unseren Kunden und Partnern." Die Messe habe über Jahre hinweg ihren führenden Status in Europa und auch international weiter ausbauen können. Weiterhin rechnet Netscape damit, daß die CeBIT '97 den Zündfunken für die Intranet-Welle in Europa geben wird. Vor diesem Hintergrund begrüßt die Firma die Konzentration auf den Unternehmensmarkt: "Wir finden hier das ideale Umfeld. Auf dieser Messe werden die zentralen IT-Entscheidungen von Firmen vorbereitet und getroffen."Thomas Cloer (tcpr-cloer.M.eunet.de)