Der Wunsch nach mehr Bandbreite steht auf wackeligen Beinen

An den ADSL-Gebühren scheiden sich die Geister

12.12.1997

Teleworking, Teleshopping, Telelearning, Video on demand, schneller Internet-Zugang - die Liste neuer, breitbandiger Anwendungen ließe sich beliebig fortsetzen. Lange Zeit galt ISDN, besonders hierzulande, als die adäquate Antwort auf den Wunsch nach mehr Netzpower. Doch selbst die ISDN-Transferrate von zwei mal 64 Kbit/s reicht kaum aus, um den Bandbreitenbedarf künftiger Applikationen zu decken. Während anfangs ATM als Alternative gefeiert wurde, heißt mittlerweile das Schlagwort der Stunde ADSL (siehe Kasten). Im Gegensatz zu ATM benötigt dieses Verfahren nämlich keine neue Infrastruktur, sondern nutzt die bestehenden Telefon-Kupferkabelnetze.

Entsprechend positiv bewerten Analysten wie Kate Hewett vom Marktforschungsinstitut Ovum, London, die Zukunftschancen der Technologie (siehe Grafik). "Nachdem mit Internet, Teleworking und Data Networking endlich die Killerapplikationen zur Verfügung stehen, wird ADSL boomen", skizziert Hewett die Aussichten dieses Übertragungsverfahren. Aufgrund des enormen Potentials, das in dieser Technik stecke, hat ADSL für die Analystin sogar das Zeug, ISDN abzulösen. Hewett: "ISDN ist nur noch eine Interimslösung."

Das bewertet der deutsche ISDN-Musterknabe Telekom natürlich anders. Die Bonner sehen ihre ISDN-Infrastruktur als Grundlage für die neue Multimedia-Welt und ADSL als Ergänzung für breitbandige Anwendungen. "ADSL ist die ideale Technologie für Anwender, die mehr Bandbreite benötigen und nicht zur High-end-Lösung ATM migrieren wollen", ordnet Telekom-Sprecher Willfried Seibel das Übertragungsverfahren ein.

Jenseits des großen Teiches schätzen die amerikanischen ISDN-Muffel den Markt etwas anders ein: Sie feierten auf der Comdex in Las Vegas ADSL als den Weg ins Breitband-Schlaraffenland. ADSL und Kabelmodems, so die süße Werbebotschaft der Hersteller, beflügeln den Cyber-Citizen bei der Reise durch das Netz. Geschwindigkeits-Freaks, die auf der Messe nach konkreten Lösungen suchten, bekamen allerdings mehrere bittere Pillen zu schlucken: Kaum ein Hersteller liefert Produkte für die hochgelobten Technologien an Endkunden aus. Allerdings ist dies nach Meinung von Siemens, das sowohl ADSL- wie auch Kabelmodems vermarket, nicht weiter verwunderlich, da in der Anfangsphase anders als bei den herkömmlichen Analog-Modems wohl kaum ein offener Käufermarkt entstehe, sondern der Anwender den gewünschten speziellen Dienst bei seinem Carrier ordere. Dieser liefere ihm dann die benötigte Hardware.

Doch gerade mit dem Bestellen eines ADSL-Dienstes dürften die Anwender rund um den Globus noch Schwierigkeiten haben. Das hohe ADSL-Lied, das in den USA Bell Atlantic, MCI, GTE und andere Anbieter anstimmen, steht im krassen Gegensatz zur Netzrealität.

Kunden von Bell Atlantic, einem regionalen Carrier im Großraum der amerikanischen Hauptstadt Washington, müssen sich beispielsweise noch bis 1999 gedulden, um ADSL-Dienste nutzen zu können. Erst dann ist die Baby Bell nach Aussagen von Technikchef John Seaholtz in der Lage, einen entsprechenden Service über ihr Telefonnetz anzubieten.

Hierzulande testet die Telekom nach einer ersten technischen Machbarkeitsstudie in Nürnberg ADSL im Frühjahr 1998 mit vierhundert Anwendern in Bonn, Köln und Düsseldorf. Weiter ist man dagegen offenbar beim Konkurrenten Mannesmann Arcor: Geschäftskunden im Bereich des Arcor-Netzes (40000 Kilometer Übertragungswege auf Kupferkabel-Basis) sollen bereits im ersten Quartal 1998 ADSL-Services bestellen können.

Ein noch gravierenderes Problem als die Verfügbarkeit ist die Frage nach der Tarifierung von ADSL. GTE gab nämlich während der Comdex zum Entsetzen der Messebesucher bekannt, daß ein Anwender 100 Dollar pro Monat für den ADSL-Dienst zu zahlen habe. Die Telekom hält sich hierzulande in Sachen Gebühren noch bedeckt. Um einen Kannibalisierungseffekt zu Lasten von ISDN zu vermeiden, müßte sie zwar ADSL teurer als ihren digitalen Telefondienst, gleichzeitig aber günstiger als eine 2-Mbit/s-Festverbindung vermarkten.

Konkreter beim Pricing wird auch Telekom-Herausforderer Arcor nicht. Das Unternehmen befand sich bei Redaktionsschluß noch in der Entscheidungsphase.

Die für US-Verhältnisse hohen ADSL-Gebühren begründen die amerikanischen Telcos mit dem technischen Aufwand für die Einführung der neuen Technik: Pro User, so ihre Argumentation, müßten sie 700 bis 1500 Dollar für den sogenannten "Splitter" investieren, der die Daten- von der Sprachkommunikation trennt. Eine Einschätzung, die in Deutschland bei allen ADSL-Beteiligten auf Verwunderung stößt. So geht die Telekom davon aus, daß die Kosten für eine ADSL- Line, hierunter versteht der Carrier die Gesamtkosten, um einen Anwender an ADSL anzuschließen, deutlich unter den amerikanischen Zahlen liegen. Noch konkreter wird man bei Siemens. Der Münchner Konzern beziffert die Erschließungskosten pro Teilnehmer auf 1000 Mark. Soviel habe zumindest der Anschluß für jeweils einen der hundert Studenten im Münsteraner Pilotprojekt gekostet, das Anfang Dezember startete. In diesem Preis sind neben den Umstellungen in der Vermittlungsstelle die Kosten für ein ADSL-Modem beim Anwender inbegriffen. Bei der Entwicklung eines entsprechenden Massenmarktes geht Siemens davon aus, daß die Kosten noch deutlich sinken.

Vor diesem Hintergrund beurteilen die Münchner denn auch die Aussichten für das Übertragungsverfahren sehr rosig. Als großen Pluspunkt lobt der Konzern darüber hinaus die Möglichkeit, mit ADSL ein vorhandenes Kupferkabelnetz mit geringem Aufwand zu einem breitbandigen Datennetz aufzurüsten. Deshalb kann man in der Konzernzentrale auch die Kritik von AT&T nicht nachvollziehen: Ein Repräsentant des Carriers bezeichnete die Technologie auf der Comdex nämlich schlicht als "Witz". Die ablehnende Haltung begründet AT&T damit, daß ADSL nicht die zweigleisige Kapazität aufweise, die in den nächsten Jahren erforderlich sei. Zudem sei, wie es weiter hieß, der konzeptionelle Ansatz von ADSL falsch. Um mehr Bandbreite zu generieren, sei ein Datennetz erforderlich, über das auch Sprache transportiert werde und nicht umgekehrt ein Sprachnetz, das nebenbei mehr schlecht als recht für den Datentransport geeignet ist.

Skeptiker in den USA setzen zudem auf eine andere Technolgie: Kabelmodems (siehe Kasten). Nach Ansicht von Michael Arellano, Analyst bei der Degas Communications Group Inc. in New Providence/New Jersey, haben die US-TV-Kabelnetzbetreiber aus zwei Gründen die besseren Karten: Zum einen erreichen sie mit ihren Fernsehnetzen bereits das Gros der Anwender, zum anderen können sie ihren Datendienst bereits für eine monatliche Pauschalgebühr um die 40 Dollar anbieten.

Eine optimistische Einschätzung, die Telekom-Sprecher Seibel nicht teilt, zumal im deutschen TV-Netz erst mit hohem finanziellen Aufwand ein Rückkanal implementiert werden müßte und "derzeit nur proprietäre Verfahren erhältlich sind". Differenzierter bewertet der Münchner Siemens-Konzern, der sowohl ADSL- wie auch Kabelmodems im Programm führt, die Situation. Ein pauschales Pro oder Kontra für eine der Technologien gebe es nicht. Je nach Land und Einsatzszenario sei die Entscheidung im Einzelfall zu treffen. Um seine Kunden bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen, bieten sie deshalb sogenannte Business Opportunity Workshops an, bei denen alle Parameter bewertet werden. Unter Umständen, so ein Mitarbeiter der Münchner Konzernzentrale, "empfehlen wir dann ein ganz anderes Verfahren, etwa die Datenübertragung via Stromnetz".

Die Schwierigkeiten und offenen Fragen bei Kabelmodems und ADSL sind zugleich die Chancen für andere Technologien wie die Datenübertragung per Stromnetz, Funk oder Satellit. Sollten die technischen oder finanziellen Probleme nicht gelöst werden, so die Meinung etlicher Analysten auf der Comdex, könnten andere Verfahren zu den Gewinnern im Streit um die Übertragungswege der Zukunft zählen. Oder eine weitere Variante, nämlich das einfachere DSL-Verfahren CDSL (Consumer Digital Subscriber Line) macht das Rennen, da es für die Carrier einen geringeren Investitionsaufwand bedeutet und von den Anwendern selbst installiert werden kann.

ADSL

Der Sammelbegriff xDSL steht für verschiedene (=x) "Digital-Subscriber-Line"- (DSL-)Systeme. Bei diesem Verfahren wird sowohl der Datenkanal zum Konsumenten als auch der bidirektionale Steuerkanal über die Telefon-Kupferleitung geführt. Da die übertragbare Bitrate von der zu überbrückenden Leitungslänge abhängt, wurden für verschiedene Einsatzszenarien unterschiedliche DSL-Systeme entwickelt. Die wohl bekannteste Variante, die "Asymmetric Digital Subscriber Line" (ADSL), profitiert davon, daß die Multimedia-Kommunikation überwiegend in eine Richtung verläuft. Dementsprechend werden bei ADSL große Datenmengen mit 1,5 bis 9 Mbit/s zum Benutzer transportiert, während Rückmeldungen mit einer niedrigeren Datenrate (16 bis 640 Kbit/s) erfolgen. Durch die Beschränkung der Datenrate im Rückkanal gewinnt man eine höhere Übertragungsreichweite. Allerdings hat ADSL einen gravierenden Nachteil: Da der Switch in der Vermittlungsstelle umgangen wird, entsteht eine feste Verbindung zu einer Gegenstelle, die Einwahl bei verschiedenen Internet-Providern ist nicht möglich.

Kabelmodems

Bei den Kabelmodems, die sich heute vor allem als schnelle Alternative zum Internet-Zugang empfehlen, handelt es sich ebenfalls um eine bekannte Technologie aus den achtziger Jahren. Ursprünglich für die Koppelung von LANs im Inhouse-Bereich konzipiert, bieten sich Kabelmodems heute dazu an, über Breitbandfernsehnetze neben verschiedenen Programmen auch Daten und Telefonie zu übertragen. Meist als reine Verteilnetze konzipiert, weisen heute jedoch nur sehr wenige Netze einen Rückkanal auf. Nach dem aktuellen Stand der Technik werden hierzulande bei einer Frequenzbandbreite von rund acht Megahertz Übertragungsraten von bis zu 40 Mbit/s angepeilt. In der Regel handelt es sich bei den Netzen um sogenannte Hybridnetze, bei denen der Backbone als Lichtwellenleiter (Glasfaser) ausgelegt ist, während die Anbindung der einzelnen Haushalte an den Verteiler über Koaxkabel, im Volksmund als Antennenkabel bekannt, erfolgt.

Bei aller Euphorie über die hohen Bandbreiten ist im TV-Kabelnetz zu beachten, daß die Technologie auf dem Prinzip des Shared Medium beruht. Ähnlich wie im klassischen Ethernet muß sich der Internet-Surfer mit allen Anwendern die Bandbreite von 40 Mbit/s teilen.