Amdahls neuer Chef setzt auf IBMs Patentrezepte

17.02.1989

Mit Hans Reihl, Ex-IBM-Manager und seit dem 1. Januar Geschäftsführer der Amdahl GmbH, sprach Ulf J. Froitzheim

- Herr Reihl, Sie haben die letzten achtzehn Jahre einen blauen Nadelstreif getragen. Heute tragen Sie eine rote Krawatte. Die Corporate Identity Ihrer neuen Firma ist also gewahrt. Wie fühlen Sie sich jetzt als Konkurrent Ihrer ehemaligen Kollegen

Ich hatte vor ein paar Jahren schon einmal Gelegenheit, eine rote Krawatte zu tragen - bei der IBM. Damals war ich verantwortlich für das PC-Geschäft der IBM Deutschland. Dort haben wir ein rotes IBM-Logo verwendet. Die Krawatte stammt aus dieser Zeit. Zur Frage: Als Konkurrent der IBM fühle ich mich sehr gut. Denn die Kunden erwarten Alternativen zu demjenigen, der den Markt dominiert. Und in der 370er Welt der IBM sind wir eine ausgezeichnete Alternative.

- Frage an den IBM-Insider: Was kommt in der 370-Welt in den nächsten Jahren auf den ,Anwender zu in puncto Betriebssysteme und Upgrade der Großsysteme? Bleibt alles Auf der bisherigen Schiene oder sind irgendwelche technische Umbrüche zu erwarten?

Die 370-Welt mit ihren Erweiterungen wird für eine sehr lange Zeit den Markt dominieren. Unsere Strategie bei Amdahl besteht darin, auf der Ebene der "Principles of Operation" dazu kompatibel zu bleiben. Diese Strategie wird uns bis weit in die 90er Jahre hinein begleiten. Die 370-Welt wird über diese überschaubare Zeit den Großsystemmarkt dominieren - und zwar nicht nur im kommerziellen, sondern wahrscheinlich auch im technischen Bereich.

- Welches Betriebssystem wird sich im technischen Bereich durchsetzen? Bei Unix verfolgt Amdahl - als Partner von AT&T - eine ganz andere Strategie als IBM. Kann ein echtes Großrechner-Unix wie Ihr UTS/580 wirklich nennenswerte Stückzahlen erreichen?

Im deutschen Markt sehe ich das noch nicht. Zwar gibt es weltweit Bemühungen, Unix als standardisiertes Betriebssystem durchzusetzen. Dies wird wohl noch eine gewisse Zeit dauern, denn hier gibt es ja mit der OSF, die sich um IBM herum gebildet hat, und Unix International gleich zwei Gruppierungen.

- IBM und OSF, Amdahl und Unix International - kann man als PCMer überhaupt auf eine andere Karte setzen als IBM?

Wir setzen vor allem auf die MVS-Karte. Unsere Geräte sind IBM-kompatibel, und auch bei Veränderungen wie ESA bemühen wir uns, diese Kompatibilität in relativ kurzer Zeit wiederherzustellen. Auf absehbare Zeit decken wir damit den größeren Teil des Markts ab. Gleichzeitig setzen wir mit UTS auf die andere Karte - als einziger Hersteller, der im 370-Großsystembereich ein Unix-Betriebssystem hat.

- Aber wenn IBM als OSF-Mitglied ein AIX-Betriebssystem für die 3090 bringt, wird es da keine Kompatibilitätsprobleme geben? Sie sagten ja, daß der Markt da ist für technische Anwendungen in der 370-Welt.

Bei Unix gibt es zur Zeit sicher nicht weniger als 20 verschiedene Dialekte. Da in der OSF-Gruppierung neben IBM auch andere namhafte Hersteller vertreten sind wird es am Ende der Entwicklung wohl kaum ein Unix geben, das ausschließlich von IBM bestimmt ist. Die Gefahr, daß im Unix-Bereich eine ähnliche Situation eintritt wie heute im MVS-Bereich, wird eben durch diese Gruppierungen verhindert. Langfristig sehe ich sogar eine Kooperation von OSF und Unix International.

- Sie gehen also davon aus, daß es zu einer Konvergenz kommt. Ist die Zweigleisigkeit demnach nur eine vorübergehende Erscheinung?

Richtig. Es wird ein Unix entstehen - wann immer das sein mag. Man kann das nicht absehen, aber ich denke, nicht in den nächsten fünf Jahren.

- Dann müßte das für Sie also gar kein Thema sein. Wer weiß, ob es Ihnen in fünf Jahren bei Amdahl noch gefällt?

Ich habe zwar einen fünf-Jahres-Vertrag mit Amdahl geschlossen, aber ich gehe davon aus, daß es mir in fünf Jahren noch viel besser gefällt als jetzt, und es gefällt mir heute schon sehr gut.

- Kommen wir auf Unix zurück. Die technische Seite der Unix-Welt hat bei Amdahl seit einiger Zeit einen hohen Stellenwert, aber auf dem Markt hat sich bisher nicht viel getan. Merk! man, daß das Unix-Geschäft seit der Gründung der OSF und der Unix International auch mengenmäßig anzieht?

Ja, die Kunden machen sich häufiger Gedanken darüber, UTS einzusetzen, als noch vor einem Jahr. Ob dies auf die von X/Open, OSF und Unix International angefachte Diskussion zurückzuführen ist, weiß ich nicht. Die Nachfrage kommt mehr aus ,dem Großforschungs- und Universitätsbereich als von den kommerziellen Anwendern. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß wir Anfang des Jahres die Key Computer Laboratories Inc. übernommen haben, eine kalifornische Firma, deren Spezialgebiete High-performance-Unix-Systeme und skalare Mainframe-Technologien sind. Unser Engagement und unser Investment im Unix-Bereich wird also noch verstärkt. Der Markt für "Native Unix" auf Mainframes wächst.

- Man hört, daß sich durch die Ankündigung von MVS/ ESA und den S-Modellen einige Abschlüsse bei Amdahl verzögert haben, zumindest hier in Europa. Haben diese IBM-Announcements einen spürbaren Effekt gehabt?

Ich glaube eher, daß auch das Gros der IBM-Kunden noch nicht umgestiegen ist auf ESA. Deshalb sehe ich aus der heutigen Sicht keine Verzögerungen bei Geschäftsabschlüssen. Außerdem werden wir ESA bis zum Ende dieses Jahres auf unseren Systemen lauffähig machen.

- Aber vor einem Jahr hieß es noch, daß man wohl schon Anfang 1989 so weit wäre. Welche Vorteile bringt denn ESA wirklich, außer einer 18prozentigen Performance-Steigerung? Schließlich sind 18 Prozent nicht viel, wenn man den ganzen Ballast berücksichtigt, der auf den heutigen 370-Rechnern mitgeschleppt wird. Wäre es nicht mal wieder an der Zeit, eine Eigenentwicklung dagegenzusetzen, wie zum Beispiel damals das Multiple Domain Feature?

Zur Leistungssteigerung durch ESA gibt es - wenn ich das richtig im Gedächtnis habe - Zahlen zwischen minus zwei Prozent und plus 18 Prozent. Das ist von der Anwendung abhängig. Welche Leistungssteigerung bei einem normalen Commercial Mix tatsächlich drin ist, weiß momentan noch keiner. Das obere Ende wird von reinen IMS-Anwendern besetzt sein, aber die Zahl von Maschinen, die dediziert mit IMS laufen, dürfte gar nicht so gewaltig sein. Man müßte letztlich noch untersuchen, welche Teile dieser Leistungssteigerungen wirklich auf ESA zurückzuführen sind und welche auf Veränderungen im MVS-Code oder in der Anwendungssoftware .

- Kann ein Wettbewerber da nicht über ein besseres Preis /Leistungs- Verhältnis

bei der Hardware viel mehr herausholen als über die Nachbildung der ESA-Funktion? Entweder also durch schnellere Rechner oder niedrigere Preise. Wieviel Luft ist da drin, wieviel Luft läßt Ihnen die IBM?

Wir haben eine günstigere Kostenstruktur als ein derart großes Unternehmen wie IBM. Daher werden wir wohl den Preis-/Leistungs-Vorteil, den wir heute haben, noch eine gewisse Zeit -jedenfalls solange wir ihn brauchen - aufrechterhalten können.

- Wird man ihn denn bald nicht mehr brauchen?

Wenn der Marktanteil von Amdahl etwa zehnmal so groß wäre wie jetzt, dann könnte ich mir vorstellen, daß die Anwender so viel Vertrauen haben, daß man mehr über die technische Qualität der Geräte redet als über Preis/Leistungs-Verhältnisse.

- Es ist doch wohl nicht Ihr Ziel für die nächsten fünf Jahre, den Marktanteil zu verzehnfachen?

Nein, ich habe das nur erwähnt, um zu zeigen, daß es, je größer der Marktanteil des jeweiligen Herstellers ist, um so leichter fällt, andere Argumente ins Feld zu führen als den Preis.

- Sie müssen in Deutschland gegen einen starken einheimischen PCM-Konkurrenten antreten: Comparex. Können Sie Amdahl in Deutschland in eine vergleichbare Größenordnung bringen?

Wissen Sie, in diesem Jahr steht die Amdahl Deutschland GmbH erst einmal vor einer Konsolidierungsphase ...

- ...das hatten wir doch vor zwei Jahren schon mal!

Amdahl Deutschland hat die letzten zwei Jahre keinen deutschen Geschäftsführer gehabt. Die Konsolidierung muß top-down passieren. Das ist einer der Gründe, warum ich diese Aufgabe übernommen habe. Jedenfalls haben wir, um auf die Frage zurückzukommen, mit unseren Produkten und unserem Service echte Chancen, neben Comparex und IBM beachtliche Erfolge zu erzielen.

- Was heißt "beachtlich in D-Mark? Würden Sie sich auf eine Größenordnung einlassen, wieviel Umsatz Sie 1989 machen können?

Ich bin gerade eben 41 Tage bei der neuen Firma. Stellen Sie mir diese Frage doch nach 324 Tagen noch mal.

- Wie sehen Ihre Pläne in puncto Management aus? Charles Ghyselinck hat zwar die Ärmel hochgekrempelt und einiges bewegt, aber es gibt ja noch Probleme. Welche Aufgaben sind noch nicht erledigt?

Charles Ghyselinck hat in den letzten zwei Jahren eine ganz harte Aufgabe gehabt, und er hat daraus einen erfolgreichen Job gemacht. Es ist eine extrem schwierige Situation, als Ausländer eine deutsche Gesellschaft mit deutschen Mitarbeitern zu übernehmen, die aus einer derart katastrophalen Umwelt kommt. Bevor Herr Ghyselinck kam, sind hier einige sehr erstaunliche Dinge passiert. Wenn so ein Assignment, wie er es übernommen hat, nur auf ein bis zwei Jahre angelegt ist, muß man Prioritäten setzen; andere Dinge bleiben zwangsläufig auf der Strecke. Ghyselinck hat sich vertriebsorientiert engagiert. Ihm ging es darum, die Geschäfte voranzutreiben. In der Kürze der Zeit konnte er aber an der Managementstruktur wenig ändern. Als nächstes muß man nun bei den Mitarbeitern das Vertrauen in die Geschäftsleitung stärken, klare Strukturen einführen und so die Orientierung der gesamten Mannschaft auf den gemeinsamen Erfolg ausrichten.

- Im Klartext: Sie wollen also die Zügel anziehen. Wie verträgt sich das damit, daß ein Geschäftsführer auch gut motivieren muß?

Ich meinte nicht "Zügel anziehen". Die Betonung liegt auf Motivation. Ohne klare Orientierung im Hinblick auf die Aufgaben des einzelnen kann man nicht motivieren. Jeder muß tun, was er tun sollte und nicht, was er gerade tun möchte. Das meine ich mit Managementstruktur Das Wesentliche ist allerdings, das Vertrauen der Mitarbeiter zu gewinnen.