ATM als Schlüsseltechnologie der Zukunft

Alcatel: Wandel der Wirtschaft erfordert Anpassung der Netze

25.12.1992

GENF - Auf einen stark Wachsenden Markt für Corporate Networks hofft die französische Alcatel-Gruppe. Das Unternehmen geht davon aus, daß der EG-Markt für private Netze bis 1995 jährlich um durchschnittlich 4,7 Prozent wachsen wird, während der Markt für öffentliche Übertragungswege bei einer Steigerungsrate von knapp einem Prozent eher stagniert.

Hauptsächlich drei Faktoren tragen für Jozef Cornu, Vizepräsident von Alcatel NV S.A., zu der günstigen Entwicklung der Corporate Networks bei. Mit der Einführung des Binnenmarktes und der zunehmenden Internationalisierung des Handels wachse die Bedeutung der Telekommunikation weiter und damit auch der Bedarf an Übertragungskapazitäten. Außerdem werde die Deregulierung des europäischen TK-Marktes zu einem stärkeren Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Netzanbietern fuhren. Dritter Wachstumsmotor ist für den Alcatel-Verantwortlichen der technische Fortschritt: Von Techniken wie ISDN über die Übertragungsverfahren Plesiochronous Data Hierarchy (PDH) und Synchronous Digital Hierarchy (SDH), sieht er den Trend zu Netzen auf Basis von Asynchronous Transfer Mode (ATM). Letztere seien, so der Alcatel-Vize, die Schlüsseltechnolgien der Zukunft. TK-Firmen und Netzbetreiber, die über diese Technik langfristig nicht verfügen, werden, wie Cornu vor der Presse betonte, "große wirtschaftliche Schwierigkeiten bekommen".

Auch der WAN-Markt wird sich nach Auffassung der Franzosen mit der Liberalisierung des Handels verändern, da neue Firmenstrategien auch gewandelte Kommunikationsbedürfnisse zur Folge hätten. Trends zu steigender Dezentralisierung sowie Konzentration auf die geschäftlichen Kernbereiche erforderten Überlegungen und Maßnahmen in den Bereichen Peer-to-Peer-Kommunikation, Downsizing, Client-Server-Verbindungen sowie Outsourcing. Dies schließe letztlich eine Neubeurteilung und Definition der Corporate Networks als strategische Instrumente ein.

Gekennzeichnet sei diese Entwicklung bereits Heute durch einen wachsenden Bedarf in puncto LAN-zu-LAN-Verbindung sowie durch den Wunsch nach verstärkter Integration von Daten- und Sprachübertragung. Auf der Anwenderseite sehen die Franzosen einen Trend zu Multimedia und daraus resultierend wechselnde Anforderungen an die verfügbaren Übertragungskapazitäten. So benötigten Multimedia-Anwendungen Transferraten bis 150 Mbit/s, während für den Datentransfer rund 10 Mbit/s ausreichen würden. Darüber hinaus sei eine verstärkte Nachfrage nach integriertem Netzwerk-Management zu erwarten.

Diese Anforderungen seien künftig mit Netzen, die auf Übertragungstechniken wie Frame Relay, X.25 und den Komponenten IP-Router oder TDM-Multiplexer basieren, nicht zu bewerkstelligen. Zudem handele es sich hier in der Regel um proprietäre Systeme.

Alcatel kündigte für 1993 die Weiterentwicklung des "Systems 1100" von einem Frame-Relay-System mit Transferraten von 2 Mbit/s zu einer 8 Mbit/s-Lösung an. 1994 sei dann ein ATM-Switch mit Routing-Features und 34 Mbit/s beziehungsweise 45 Mbit/s zu erwarten. Weiterhin arbeite man an einem mit Routing-Features ausgestatteten ATM-Matrix-Switch mit 16 Ports, der Übertragungsraten von 155 Mbit/s ermöglichen soll.

Trend geht zu homogenen Topologien

Sind bei Wide Area Networks überwiegend noch PDH oder SDH als Übertragungsverfahren im Einsatz, so erwartet Jaroslav Blahna, Alcatel-Manager der Deutschen Division im Bereich Private Netze, die Verwendung von ATM auf der Desktop- und Backbone-Ebene bereits viel eher. Auch für ihn wird die Entwicklung in Richtung ATM durch den steigenden Einsatz von Multimedia-Applikationen ausgelöst, bei denen herkömmliche Netztopologien wie Ethernet an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stoßen.

Allgemein führt nach Ansicht Blahnas der Trend weg von heterogenen Technologien, beispielsweise Token Ring, _Integrated Voice LAN oder FDDI auf Basis unterschiedlicher Medien wie Koax-, UTP- oder FO-Kabeln, hin zu homogenen Topologien, etwa Copper Distributed Data Interface (CDDI), mit Medien wie STP oder FO. Obwohl sich Glasfasern immer größerer Beliebtheit erfreuten, seien auch mit STP- und FTP-Kabeln noch Übertragungsgeschwindigkeiten bis 100 Mbit/s realisierbar. Der Inhouse-Verkabelung eines Corporate Networks komme deshalb mehr und mehr eine strategische Bedeutung zu. Verlege der Anwender heute die falschen Kabel, so ein Alcatel-Kabelexperte, "schließt er sich von der Partizipation am technischen Fortschritt selbst aus".

Neue Absatzchancen erhoffen sich die Alcatel-Verantwortlichen vor allem von der Deregulierung des TK-Marktes im Bereich der Corporate Networks. Zu den ersten Netzbetreibern, die den öffentlichen Carriern Konkurrenz machen, dürften nach Meinung der Franzosen die Eisenbahngesellschaften sowie die Energieversorgungsunternehmen gehören. Diese hätten bereits heute eine umfassende Kommunikations-Infastruktur aufgebaut, die es ihnen künftig erlaube, eigene TK-Dienste anzubieten oder entsprechende Übertragungskapazitäten an Dritte zu verkaufen. Allein dieses Marktsegment schätzt die Company bis 1997 auf ein jährliches Umsatzvolumen von etwa 780 Millionen Mark.