Analysten sind unterschiedlicher Meinung

Alcatel und Lucent - Hochzeit mit Hindernissen

01.06.2001
MÜNCHEN (CW/IDG) - Der Zusammenschluss der Telco-Ausrüster Alcatel und Lucent Technologies scheint beschlossene Sache. Das berichteten Anfang der Woche das "Wall Street Journal" und die Nachrichtenagentur "Reuters". Noch in dieser Woche wollen demnach die beiden Aufsichtsgremien Vollzug melden.

Erwartet wird ein Merger of Equals, bei dem allerdings Alcatel die unternehmerische Führung behält. Der Deal soll in Form eines Aktientausches in Höhe von rund 23,4 Milliarden Dollar abgewickelt werden. Die zuerst genannte Summe von 32 Milliarden Dollar hat sich nach jüngsten Berichten nicht bewahrheitet. So soll die Lucent-Tochter Agere Systems, an der die Mutter 58 Prozent hält, aus dem Deal ausgeklammert werden. Die Aktien des Chipherstellers, dessen Wert mit 7,68 Milliarden Dollar beziffert wird, sollen unter den Lucent-Aktionären aufgeteilt werden.

Kursaufschläge für die Lucent-Aktionäre sind dem Vernehmen nach nicht vorgesehen. Insider befürchten jedoch, dass die Strategie, die sonst im Rahmen von Übernahmen übliche Prämie zu streichen, für Unruhe in Lucent-Kreisen sorgen wird.

Der Börsenwert beider Firmen differierte Ende vergangener Woche leicht - Alcatel wurde mit rund 36 Milliarden Dollar bewertet, Lucent mit knapp 33 Milliarden Dollar. Das Headquarter der künftig vereinten Company soll sich in den USA befinden, der juristische Firmensitz bleibt in Paris. Um die Fusion unter Gleichen auch nach außen hin zu dokumentieren, werde auch über einen neuen Firmennamen nachgedacht, hieß es weiter.

Unterdessen sind sich Branchenkenner und Finanzanalysten in ihrer Bewertung des Deals nach wie vor uneinig. Profitieren könnten vor allem die Lucent-Aktionäre, da Alcatel zwangsläufig die Rolle des Sanierers der finanziell schwer angeschlagenen früheren AT&T-Tochter übernehmen müsste. Das zumindest verlautet aus US-amerikanischen Pensionsfonds, die eine große Anzahl von Lucent-Papieren halten. Außerdem würden sich durch Synergieeffekte im Bereich Forschung und Entwicklung sowie im Einkauf jährlich bis zu vier Milliarden Dollar einsparen lassen.

Fass ohne BodenKritiker weisen indes darauf hin, dass bei einer Erfolg versprechenden Restrukturierung des Lucent-Konzerns bis zu 20000 Mitarbeiter entlassen werden müssten - also zunächst einmal Sonderaufwendungen in Milliardenhöhe anfallen würden. Experten rechnen allerdings mit Schwierigkeiten, die gewerkschaftlich gut organisierte Lucent-Belegschaft rigoros zu verkleinern. Grundsätzlich sei die Sanierung des Unternehmens "ein Fass ohne Boden". Allein für laufende Betriebskosten und die Rückzahlung von Krediten müssen die Lucent-Verantwortlichen in den nächsten zwölf Monaten fünf Milliarden Dollar aufbringen. Um die Zeit bis zur Übernahme zu überbrücken, wolle das Unternehmen neue Kredite aufnehmen und weitere Aktien verkaufen, verlautete aus firmennahen Kreisen.

Auch Alcatel, der vermeintlich stärkere Partner, gerät mehr und mehr unter Druck. So schrumpft angesichts der immer offener zutage tretenden Probleme der Bewertungsvorsprung der Franzosen. Aus diesem Grund drängt das europäische Unternehmen auf eine schnelle Entscheidung. Manche Experten schlossen Anfang der Woche sogar ein Scheitern der Verhandlungen nicht mehr aus.

Die Marktmacht des neuen Telco-Ausrüster-Giganten mit einem theoretischen Börsenwert von rund 70 Milliarden Dollar würde dadurch sehr schnell "relativiert"; dem Kurs der Alcatel-Aktie, die seit dem Aufkommen der Fusionsgerüchte über fünf Prozent verlor, und den Alcatel-Gewinnen drohten eine "nachhaltige Verwässerung".

Als unwägbar gilt auch die offenkundige Hoffnung von Alcatel, durch die Lucent-Übernahme die eigene Position im US-Geschäft zu stärken, das derzeit nur 22 Prozent zum Konzernumsatz beiträgt. Branchenkenner weisen auf die "kulturellen Unterschiede" zwischen beiden Firmen hin und gehen zudem von einem langwierigen Genehmigungsprocedere seitens der US-Kartellbehörden aus, da die Lucent-Division Bell Labs einer der größten Auftragnehmer des US-Verteidigungsministeriums im Bereich Verschlüsselungstechniken ist. Die Franzosen könnten sogar gezwungen werden, sich von diesem "Asset" wieder zu trennen, heißt es. Mehrere US-Senatoren haben bereits ihre Bedenken zur Übernahme der Bell Labs durch Alcatel angemeldet. Sie forderten eine strenge Prüfung des Deals.