Kompensation für hohe Arbeitsbelastung und viel Stress

Aktienoptionen sind kein Geschenk für Mitarbeiter

21.04.2000
Ein unerschütterlicher Glaube an Börsenerfolg und Cyber-Money beflügelt die Mitarbeiter junger IT-Unternehmen. Stock Options, heißt es hier, versprechen mehr als laue Prämien zum Jahresende.Von Kathi Seefeld*

Für einen Moment hielten die Mitarbeiter bei I-D Media die Luft an: der Neue Markt auf Talfahrt, Einbrüche bei der Konkurrenz. Aus und Vorbei der Traum vom schnellen Reichtum? Kleine Adrenalinstöße sind Alltag in einem Unternehmen, dem nachgesagt wird, zu den größten und aufregendsten der New-Media-Branche zu gehören. Nicht, dass sich jemand Sorgen um seine Stock Options gemacht hätte. Doch auch I-D Media hatte unter dem heftigen Einbruch am Neuen Markt zu leiden.

Als das inzwischen mehr als 320 New-Media-Experten zählende Unternehmen im Juni vergangenen Jahres an die Börse ging, war klar: Die Mitarbeiter werden beteiligt. Im Vorfeld des Börsenganges konnten alle damals fest Beschäftigten Aktien zum Emissionspreis in Höhe eines Jahresgehalts erwerben, wobei für je zwei Aktien ein Optionsrecht gewährte wurde. "Jeder am Emissionstag angestellte Mitarbeiter", erklärt Bircsak, "erhielt Optionen, deren Anzahl sich aus der Teilung des hälftigen Jahresgehalts durch den Emissionspreis ergab." Seitdem scheint der Glaube an den Börsenerfolg und die Leistungskraft des eigenen Unternehmens durch nichts zu erschüttern zu sein. Auf mehr als 280 Prozent ist der Wert der Anteile seit der Emission geklettert. Und das sei allemal vielversprechender als eine Jahresendprämie.

Die Idee der Stock Options stammt wie so manches in der Branche aus den USA. Schon vor etwa 30 Jahren versuchten innovative, aber finanzschwache junge Unternehmen auf diesem Wege, hochqualifizierte Mitarbeiter zu binden, denen sie keine marktüblichen Gehälter zahlen konnten. Was anfangs meist nur für Führungskräfte galt, wurde bald schon zum Instrument, um eine leistungsfähige Mannschaft aufzubauen. In Deutschland rückten Aktienoptionspläne für Mitarbeiter aber erst mit den explosionsartigen Neugründungen von IT-Firmen und 1998 mit der Änderung des Gesetzes zur "Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich" stärker in das Licht der Öffentlichkeit.

Teil der Firma zu werden ist inzwischen bei den meisten der jungen IT- und Internet-Unternehmen untrennbar mit der Möglichkeit verbunden, Anteile an der Gesellschaft zu Vorzugskonditionen zu erwerben.

200 Betriebe der IT-Branche werden derzeit am Neuen Markt gezählt. "In fünf Jahren", schätzt Alfred Tacke, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, "werden es vielleicht 2000 sein." Für einen Großteil, so Lothar Bittner, Geschäftsführer der NAA Infokom GmbH Nürnberg, sind Stock Options ein wichtiges Mittel zur Gewinnung hochqualifizierter IT-Führungskräfte. Bittner spricht von einem starken Interesse an seinen Hightech-Finanzierungsseminaren. Seit zwei Jahren hat NAA Infokom die Inhalte seiner eintägigen Beratungen vor allem auf mittelständische Unternehmen rund um die Neuen Medien ausgerichtet. Mehr als 500 Firmen, schätzen die Berater, planen Mitarbeiterbeteiligungen über Aktienoptionen oder haben sie in den letzten zwei Jahren realisiert.

Die Intershop Communications AG gehört zu den Vorreitern in Sachen Mitarbeiterbeteiligung. Auf bis zu 50 Prozent ihrer Gehälter verzichteten die Beschäftigten im Rahmen eines dreijährigen Programms. Dafür, so John Lange, Leiter Investor Relations bei Intershop, erhielten sie Aktienoptionen. Kurseinbrüche trägt die Belegschaft hier ebenso gelassen wie bei der Openshop Holding AG. "Einige unerfahrene Mitarbeiter bekamen zwar einen ganz schönen Schock, als es am Aktienmarkt bergab ging", erzählt Openshop-Sprecher Daniel Heck, "aber mit ordentlichen Informationen ließ sich das wieder zurechtrücken. Unangenehm wäre es doch erst, wenn man der einzige in der Branche wäre, den es trifft."

Auch die Aktien von Openshop stiegen bei ihrer ersten Notierung am Neuen Markt in Frankfurt um mehr als 96 Prozent auf 106 Euro. So kann das Unternehmen, das Ende vergangenen Jahres 53 Mitarbeiter in Europa und 14 in den USA beschäftigte, nicht nur mit beruflichen Herausforderungen auf internationalem Parkett locken. Den Motivationsschub durch den Börsengang möchte Heck nicht missen: "Wer bei uns einen Job sucht, wird vorher durchaus gefragt, ob er schon mal eine Nacht durchgearbeitet oder zumindest durchgefeiert hat. Die Aktienoptionen sind also kein Geschenk an die Mitarbeiter, sondern eine Möglichkeit, ihr enormes Engagement zu vergüten." Die Möglichkeit, Anteile am Unternehmen zu Vorzugspreisen zu erwerben, belohnt - wenn auch anfangs nur als Hoffnung - für so manche unbezahlten Stunden.

"Offen für Quereinsteiger" und mit der Aussicht auf Beteiligung am Unternehmen hat sich auch die Living Systems AG aus Donaueschingen auf die Suche nach Softwareentwicklern, Datenbankspezialisten, Unix- oder Linux-Gurus begeben. Bei Living Systems ist das Recht auf Übernahme von Aktien an eine neunmonatige Mindestbetriebszugehörigkeit gebunden. Jenseits von individuellen Regelungen kann ein Mitarbeiter pro Jahr Aktien bis zur Hälfte eines Monatsgehalt übernehmen. Das Unternehmen, das für seine Internet Trading Technologies bekannt wurde, honoriert den Aktienerwerb, indem es ein Jahr später die gleiche Anzahl Aktien noch einmal kostenlos auf den Mitarbeiter überträgt. Obwohl dieser die Gratisaktien erst ein Jahr später erhält, haben diese an der Unternehmensentwicklung des laufenden Jahres teilgenommen. Ihr Beteiligungsmodell kommunizieren die Gründer und Hauptaktionäre Christian Dannegger und Kurt Kammerer auf der Website. Für sie gehört diese Offenheit zur Unternehmenskultur, die aus Mitarbeitern Mitunternehmer machen will.

So offensiv werben immer mehr Startups und Unternehmen der IT-Branche um neue Mitarbeiter. Die Modelle und Motive ähneln sich. Als die Lintec Computer AG im sächsischen Taucha im September 1998 an die Börse ging, reservierte Vorstandschef Hans-Dieter Lindemeyer einen Teil der Aktien zu Vorzugspreisen für die eigene Belegschaft. Durch alle Hochs und Tiefs des Unternehmens hindurch hat Lindemeyer sein Ziel erreicht, mit möglichst wenig Reglementierungen, dafür aber mit Freiheit und Verantwortungsgefühl die Mitarbeiter dauerhaft an das Unternehmen zu binden. Ein dreistufiges Beteiligungsmodell macht es möglich: Unterm Strich glänzt Lindemeyers AG mit einem Krankenstand und einer Fluktuation von unter drei Prozent.

Die GFT Technologies AG, seit Sommer 1999 am Neuen Markt notiert, zählte vor vier Jahren 77 Mitarbeiter, heute liegt die Zahl bei zirka 200. Grundsätzlich alle, bis auf befristet Beschäftigte oder Auszubildende, können bei der GFT Aktienoptionen erwerben. Garantiert wird jedem Mitarbeiter eine Zuteilung bis zu einer Summe von 1000 Euro.

Wann und in welchem Umfang die Optionen wahrgenommen werden können, ist bei GFT wie bei allen anderen Unternehmen an Bedingungen geknüpft. Warte- und Bindungsfristen gehören zum Optionsalltag; ebenso wie in vielen Fällen die Regelung, dass, wenn ein Angestellter vor Ablauf der Fristen das Unternehmen verlässt, sein Anspruch auf das ersehnte Cyber-Money erlischt.

Genau hier sehen Kritiker der Stock Options den Pferdefuß in Sachen Mitarbeiterbindung. Über Aktien, heißt es, verteilen Unternehmen an ihre Beschäftigten "goldene Handschellen". In einem Vortrag vor dem Venture-Capital-Stammtisch in Düsseldorf versuchte der Rechtsanwalt Michael Tigges diese Sorge zu entkräften. Stock Options, so Tigges, seien arbeitsrechtlich im Prinzip bedenklich, weil sie eine Kündigung erschweren könnten, und zwar deshalb, weil die Optionen erst zu einem gewissen Zeitpunkt, frühestens nach zwei Jahren, eingelöst werden dürfen. Bei der Bewertung sei jedoch entscheidend, "welche Ziele ein Aktienprogramm verfolgt. Ist eines der vorrangigen und ausdrücklich erklärten Ziele die Mitarbeiterbindung und die Belohnung von Betriebstreue, so sind Verfallsklauseln unter erleichterten Bedingungen möglich." Nicht so, wenn ein Unternehmen damit als Ersatz für Gehaltsbestandteile die Arbeit vergüten will, die bereits geleistet wurde.

Heck von Openshop findet eine gewisse Reglementierung sinnvoll. "Es hat in der Branche Firmen gegeben, da haben Mitarbeiter schnell kassiert und sind dann zur Konkurrenz gegangen." Entscheidend sei, dass niemand gezwungen werde, Aktionär zu werden und dass die Optionen nicht statt Gehalt ausgegeben werden.

"Gut ist", so Petra Bircsak, Personalchefin von I-D Media, "wenn der Arbeitgeber seinen Mitarbeitern verschiedene Anreize bieten kann." Schließlich seien Stock Options keine Form individueller Leistungsvergütung: "Wir arbeiten deshalb auch an Möglichkeiten, jedem einzelnen Mitarbeiter gerecht zu werden."

* Kathi Seefeld ist freie Journalistin in Berlin.