Netzzugangstechniken/Werden aus Streithähnen Verbündete?

ADSL und ISDN blicken einer gemeinsamen Zukunft entgegen

29.01.1999
Bekommt das in Deutschland populäre Zugangsverfahren ISDN durch neue Technologien wie Asymmetric Digital Subscriber Line (ADSL) Konkurrenz? Jörg Hermstedt geht dieser Frage nach und untersucht, wie Anwender die beiden Verfahren am besten für ihre Zwecke einsetzen und was sie dabei beachten müssen.

ADSL - hinter diesen vier Buchstaben verbirgt sich nach Ansicht von Branchenkennern der lang erwartete Durchbruch zur Hochgeschwindig-keits-Datenautobahn. Besonders attraktiv wirkt die neue Technologie, weil sie auf ohnedies bereits installierten Kupferkabeln basiert, also zumindest in dieser Hinsicht ohne teure und aufwendige Nachrüstung zu verwirklichen ist. Sollten alle von der Industrie gemachten Versprechungen eingehalten werden, stellt sich damit aber auch die Frage, ob mit ADSL das Ende von ISDN eingeläutet wird. Während einige Branchenkenner derzeit davon ausgehen, daß ADSL in den nächsten fünf Jahren in bestimmten Anwendungsbereichen zur unverzichtbaren Technologie wird, sprechen zahlreiche Gründe dafür, daß ISDN-Verfahren wie Basic Rate Interface (BRI) und vor allem Primary Rate Interface (PRI) weiter von großer Bedeutung sein werden.

Die Verwendung der bereits vorhandenen Kupferkabel ist einer der größten Vorteile aller xDSL-Technologien, zu denen ADSL zählt. Aufgrund der unglaublichen Dynamik des Marktes haben sich in kürzester Zeit die unterschiedlichsten Anwendungstechnologien im Bereich xDSL entwickelt, wobei die einzelnen Technologien sich dabei in wichtigen Elementen unterscheiden (siehe Tabelle). Die in den meisten Fällen optimale Technologie ist sicherlich ADSL. Der wichtigste Grund dafür ist, daß ein Großteil der Anwender mehr Informationen aus dem Netz herunterlädt, als er in das Netz verschickt - dieses asymmetrische Nutzerverhalten wird bereits in der Bezeichnung Asymmetric Digital Subscriber Line angesprochen.

Der jeweilige Vorteil von ADSL hängt davon ab, wie der Anwender es nutzen will. Dabei gilt es, zwei grundsätzliche Bereiche nebeneinanderzustellen und zu unterscheiden. Wird ADSL ausschließlich als Zugang zum Internet eingesetzt, ist der Nutzen für den Endanwender zwar groß, ersetzt aber häufig nicht andere Technologien wie zum Beispiel ISDN. Der Web-Surfer erhält vor allem dann eine schnellere Verbindung, wenn er nur Web-Seiten anschaut. Als weiterer Vorteil kommt hinzu, daß ADSL eine konstante Verbindung - ähnlich einer Standleitung - aufbaut, die ständig verfügbar ist. Grundsätzlich gilt: Wer asymmetrisch arbeitet, also viele Daten über seine Leitung herunterlädt und nur wenige Daten verschickt, profitiert von ADSL.

Der zweite Einsatzbereich erschließt sich, wenn der Netzbetreiber nicht nur eine schnellere IP-Verbindung anbietet, sondern Dienste darauf integriert. Hier rückt das Thema Asynchronous Transfer Mode in den Mittelpunkt. ATM wird schon heute von allen Telekommunikationsanbietern für das Backbone genutzt. Mit ATM via schneller ADSL-Verbindung könnte der Provider erstmals Dienstmerkmale, die im ATM verwendet werden, bis zum Endanwender durchreichen. Dies hätte weitreichende Folgen: Die TK-Anbieter könnten so alle früher gemachten Versprechungen realisieren - einschließlich Homeworking und Videokonferenzen in bester Qualität.

Trotz allem Enthusiasmus, der vor allem in den Massenmedien rund um ADSL aufkeimt, ist das Thema derzeit noch mit Vorsicht zu genießen. Wieder einmal fehlt zum schnellen Marktdurchbruch ein einheitlicher Standard. Erst im Oktober 1998 beschloß die International Telecommunications Union (ITU), den von der Universal ADSL Working Group (UAWG) definierten Standard G.lite festzulegen. Die offizielle Ratifizierung dieser auch Consumer- ADSL oder ADSL Lite genannten Spezifizierung, die nur physikalische Rahmenbedingungen beschreibt, ist allerdings erst für Juni 1999 geplant.

Das Fehlen eines ITU-Standards spielt eine Schlüsselrolle für den Erfolg von ADSL. Solange die ITU-Definition fehlt, kann sich die physikalische Struktur des späteren Standards vom heutigen ADSL durchaus erheblich unterscheiden. Im Extremfall wären die auf derzeit erhältlichen Karten eingesetzten Chips damit morgen einschließlich der Karte oder des ADSL-Modems wertlos. Von Kompatibilität unter den derzeit weltweit mehr als 50 laufenden ADSL-Pilotprojekten kann daher also keine Rede sein. Hinzu kommt, daß der geplante Light-Standard ein ganzes Stück von der angeblichen ADSL-Leistungsfähigkeit entfernt ist: So ist das Herunterladen von Daten beim "schlanken" ADSL lediglich mit 1,5 Mbit/s möglich, das Verschicken sogar nur mit 128 Kbit/s - also gerade mal mit ISDN-BRI-Geschwindigkeit.

Ein weiterer Faktor wirkt sich nachteilig für ADSL aus: Die Technologie arbeitet nur über eine begrenzte Entfernung hinweg. Während ISDN BRI noch bei Entfernungen von über 24 Kilometern eingesetzt werden kann, darf bei ADSL das Endgerät in der Regel nicht weiter als 6 Kilometer vom Switch entfernt sein; damit der Kunde ADSL in der Vollausbaustufe - also mit zirka 8 Mbit/s - nutzen kann, muß diese Entfernung sogar noch kleiner sein. In relativ dicht besiedelten Regionen wie Mitteleuropa dürfte dies jedoch kaum ein Problem darstellen. Anders sieht es hingegen in Ländern wie Finnland oder Nordamerika aus.

Technisch gesehen basiert ADSL Light wie ISDN PRI auf mindestens zwei Adernpaaren, also vier Kupferleitungen. Im Gegensatz zu ISDN verfügt ADSL aber über keine Bus-Struktur. Vielmehr handelt es sich um eine logische Punkt-zu-Punkt-Verbindung vom NT (Network Terminator) zum Switch, also eine durchgehende Standleitung, die immer offen ist. Eine Besonderheit von ADSL ist, daß es die Leitung ständig dynamisch ausmißt. Außerdem verfügt die Verbindung über Reservefrequenzbänder, die aktiviert und deaktiviert werden können. Das bedeutet letztendlich aber auch, daß die garantierte Mindestbandbreite nicht mit der optimal genannten Bandbreite identisch ist.

Auf der Softwareseite verfügt ADSL über mehrere physikalische Schichten: eine Art Vermittlungsschicht und eine darüberliegende Netzwerkschicht. Diese existiert bei ISDN nicht, außer es wird eine bestimmte Software eingesetzt, die als Netzwerkverbindung dient. Bei ADSL für Internet Protocol (IP) werden in der oberen Ebene nur IP-Pakete mit Höchstgeschwindigkeit hin- und hergeschickt, dabei verschiedene Frequenzbänder angelegt und in diesen die Informationen übertragen. Im unteren Bereich, also im Schmalband, können dagegen weitere Dienste signalisiert werden.

Daß sich eine Technologie wie ADSL auf Basis vorhandener Kupferkabel realisieren ließ, liegt nicht zuletzt an der rasanten Entwicklung im Halbleiterbereich. Nur so war man in der Lage, preiswerte digitale Signalprozessoren (DSP) herzustellen. Diese Bausteine sind für die genannte Aufteilung an jedem Ende der Verbindung zuständig, übertragen Bits und Bytes auf die Frequenzbänder und vermessen gleichzeitig automatisch die Leitung. Im Gegensatz zu ISDN arbeitet ADSL mit anderen, sehr viel nuancierteren Spannungsebenen. Zur Einführung von ISDN war es noch nicht möglich, so präzise zu messen, wie es moderne DSP können. Durch die Weiterentwicklung im Halbleiterbereich - und die zusätzliche Hinzunahme eines Kupferadernpaars - kann man damit heute, basierend auf einer neuen Kodierungsmöglichkeit, die Bandbreite eines Kupferkabels besser ausnutzen und damit ADSL realisieren.

Zwei Grundvoraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Anwender in den Genuß von ADSL kommen können: Der Netzbetreiber muß es anbieten, außerdem muß der Kunde innerhalb der genannten Entfernung zur Vermittlungsstelle wohnen. Damit der Netzbetreiber ADSL anbieten kann, muß er auf seiner Seite die sogenannten Linecards (Anschlußkarten in der Vermittlungsstelle, die auch schon für ISDN und ganz normale Telefonanschlüsse verwendet werden) austauschen. Teilweise bedeutet dies den Austausch der kompletten Rechner in der Vermittlungsstelle, in denen diese Linecards stecken.

Derzeit kann der Kunde bei der Vermittlungsstelle neben dem normalen analogen Anschluß entweder ISDN mit 128 Kbit/s - ein Basic Rate Interface -, oder ISDN mit einem Primary Rate Interface, das 30 Kanäle bietet, wählen. Bei der Einführung von ISDN wurden die Linecards so konstruiert, daß auf ihnen sowohl Primary Rate als auch über zwei Kanäle der Primary Rates eine normale Basic Rate integriert war. Wenn ein TK-Dienstanbieter eine solche ISDN-Karte nun durch eine ADSL-Linecard ersetzt, verliert er automatisch alle weiteren Dienste - analog, Basic Rate und Primary Rate - und ersetzt sie ausschließlich durch ADSL. Dies verursacht erhebliche Kosten und kann sich wegen des Installationsaufwands auch auf den Zeitplan der Einführung von ADSL auswirken. Wünscht der Kunde ADSL mit IP, ist zusätzlich ein Router nötig, der die Datenströme im IP- oder im ATM-Netz kanalisiert. Auch hier entstehen dem Anbieter zusätzliche Kosten.

Der Einsatz von ADSL in der Praxis

Sind die genannten Voraussetzungen jedoch erfüllt, muß der Anwender nur noch einen ADSL-Anschluß bestellen und ein ADSL-Modem beziehungsweise einen entsprechenden Adapter kaufen. Handelt es sich beim Anwender um eine kleine Firma und wünscht diese nur IP via ADSL, lohnt sich eher der Kauf eines kleinen ADSL-Routers. Damit verfügt der Kunde über die passende Schnittstelle zwischen Ethernet auf der einen und ADSL auf der anderen Seite. Besitzt der Anwender eine Splitterbox, kann er sogar noch seinen Telefonanschluß nutzen.

Die Kosten, die er für den Einsatz von ADSL aufwenden muß, lassen sich nur schwer abschätzen, da bis jetzt ausschließlich Testprojekte laufen. Beim Pilotprojekt der Telekom fallen für den Privatanwender monatlich 48 Mark an, außerdem zehn Pfennig pro Minute Verbindungszeit sowie T-Online-Gebühren. Geschäftskunden zahlen im Monat bis zu 2400 Mark für die volle ADSL-Bandbreite. Diese Preise sind aber noch keineswegs aussagekräftig, was das endgültige Angebot von ADSL angeht. Sicher ist, daß die Umrüstungskosten für die Carrier erheblich sind und diese sich ihre Investitionen vom Kunden zurückholen werden. Experten gehen daher davon aus, daß die Preise für ADSL sowohl bei der Inanspruchnahme von ATM-Verbindungen als auch für Privatkunden im Vergleich zu den Pilotprojekten bis um das Doppelte steigen werden. Dazu kommt, daß ein ADSL-Anschluß über das aufkommende Daten- volumen berechnet wird und es auch hierzu noch keinerlei An- gaben und Erfahrungen aus den Pilotprojekten gibt. Anders sieht es bei den Hardwarekosten aus.

Der Preis etwa einer ADSL-Karte wird mit Sicherheit über der einer aktuellen hochwertigen ISDN-Karte, voraussichtlich jedoch unter 2000 Mark liegen.

Doch für wen lohnt sich der Einsatz von ADSL überhaupt? Als Faustregel kann gelten, daß Anwender, die in das Netz genausoviel versenden, wie vom Netz herunterladen, von ADSL wenig profitieren werden. Privatanwender und Gelegenheits-Surfer, die nur selten Dateien aus dem Internet holen und vor allem E-Mails verschicken, sind derzeit mit einem ISDN BRI gut für die Gegenwart und die mittelfristige Zukunft gerüstet.

Ähnlich gestaltet sich die Situation für Anwender, die zwar größere Datenmengen versenden, jedoch nur selten Downloads benötigen. Auch hier dürfte mittelfristig ISDN (in den meisten Fällen mit dem ganz normalen Basic Rate Interface) völlig ausreichend sein. Selbst ADSL bietet nicht die Übertragungsraten, wie sie mit professionellen Lösungen per ISDN erreichbar sind. Während professionelles ADSL Daten mit 768 Kbit/s sendet, sind via ISDN mit Vier-Kanal-Bündelung und moderner Kommunikationssoftware schon heute Raten von zirka 1 Mbit/s möglich. Ein weiterer wichtiger Vorteil ist, daß der Anwender auf mobile ISDN-Lösungen zurückgreifen kann, da ISDN international erheblich weiter verbreitet ist.

Anwender, die regen Datenaustausch betreiben, also viel Material versenden und empfangen, sei der Einsatz von ISDN PRI ans Herz gelegt. Mit 2 Mbit/s lassen sich mit diesem Verfahren zu wesentlich günstigeren Tarifen als mit jeder anderen Technologie größere Datenvolumen schnell übertragen. Bei ADSL wirkt sich im Vergleich hierzu die relativ langsame Versandgeschwindigkeit nachteilig aus. Da die Kosten für ISDN PRI voraussichtlich mit der Einführung von ADSL erheblich sinken werden, wird das Verfahren spätestens dann zu einer attraktiven Alternative.

Anders sieht die Situation aus, wenn zwar wenig Daten versendet werden, jedoch häufig Dateien beispielsweise aus dem Internet heruntergeladen werden sollen. Zu dieser Gruppe zählen zum Beispiel Informations- und Verkaufsterminals, an denen der Nutzer über das Internet per Mausklick brandaktuell Informationen per Video und Audio erhält. In diesem Fall lohnt sich ADSL ganz besonders, da hier in Download-Richtung große Übertragungsraten bereitstehen.

International agierende Unternehmen, die ihre Niederlassungen per Netzwerk untereinander verbunden haben, Dienstleister, die häufig mit entfernten Geschäftspartnern zu tun haben, sowie Firmen, die Mitarbeitern remoten Zugriff auf Unternehmensdaten geben wollen, dürfen sich am meisten von ADSL in Verbindung mit ATM erhoffen. Ein zentraler Einsatzbereich von ADSL mit ATM-Merkmalen ist Remote Access, da die Eingaben hier meist relativ gering, die Rückflüsse zum Anwender - zum Beispiel zu einem Sachbearbeiter, der seine Auftragsabwicklung per Browser verarbeitet und Zugriff auf den Produktkatalog benötigt - aber sehr datenintensiv sind. In diesem Fall kann ADSL seine Stärken voll ausspielen. Auch wenn ein Unternehmen ein privates IP-Netz aufgebaut hat, macht ADSL mit integrierten ATM-Merkmalen Sinn, da dann das gesamte Intranet bei optimaler Geschwindigkeit zum Endanwender hinunterreicht.

ADSL und ISDN: Zukunft in Harmonie?

Derzeit sind solche Überlegungen jedoch noch Zukunftsmusik - es steht in den Sternen, ob und wann ADSL flächendeckend zur Verfügung stehen wird. Unter dem Namen "T-DSL" bietet die Telekom derzeit ADSL-Anschlüsse im Rahmen eines Pilotprojekts in Nordrhein-Westfalen, an dem etwa 450 Haushalte und Unternehmen beteiligt sind. Für Ende 1999 sind ADSL-Projekte in 40 deutschen Ballungszentren geplant. Geschäftskunden erhalten über ADSL direkten Zugang zum ATM-25-Netz der Deutschen Telekom und haben dabei die Auswahl aus verschiedenen Geschwindigkeiten.

Bis ADSL für jedermann zu haben ist, vergehen jedoch aller Voraussicht nach mindestens eineinhalb bis zwei, eher jedoch zwei bis drei Jahre. Laut Telekom sollen bis 2003 etwa 75 deutsche Städte mit ADSL versorgt werden. Die International Data Corp. (IDC) geht in einer Studie davon aus, daß im Jahr 2000 im Business-Bereich xDSL-Technologien mit neun Prozent hinter Frame Relay (13 Prozent), ISDN BRI (26 Prozent) und Leased ISDN (35 Prozent) liegen werden. Für den Anwender, der heute vor einer Investitionsentscheidung steht und sofort ein leistungsfähiges Übertragungsverfahren benötigt, bleibt daher kaum eine andere Wahl, als auf die bestehenden Angebote zurückzugreifen.

Auf lange Sicht stehen ADSL und ISDN jedoch nicht in Konkurrenz zueinander. Sie werden sich vielmehr auf unterschiedliche Märkte - abhängig vom Einsatzgebiet - verteilen. ADSL verdrängt ISDN nicht - seine Botschaft lautet vielmehr, daß das Ende der analogen Modems gekommen und damit endgültig das Zeitalter der digitalen Datenkommunikation angebrochen ist.

Angeklickt

ADSL hat sich mittlerweile zu einer praxistauglichen Technologie gemausert. In der öffentlichen Diskussion wurde das Breitband- Übertragungsverfahren in letzter Zeit häufig dazu hochstilisiert, ISDN den Rang ablaufen zu können. Diese Einschätzung ist nicht ganz richtig: Vielmehr steht beiden Techniken eine mehr oder wenig friedliche Koexistenz bevor.

Jörg Hermstedt ist Gründer und Vorstandsvorsitzender der Hermstedt AG Mannheim.