IBM-Beitrag vorwiegend finanzieller Art

AD/Vice: Das CASE-Know-how steuert vor allem die GMO bei

19.07.1991

HAMBURG (qua) - Daß sich CASE ohne Consulting kaum mehr verkaufen läßt, hat die Branche bereits vor der IBM erkannt. Was Big Blue den meisten Software-Anbietern voraus hat, ist die Möglichkeit, das dafür nötige Know-how außerhalb der eigenen Belegschaft zu mobilisieren. In diesem Zusammenhang ist auch das Joint-venture mit der Hamburger GMO AG zu sehen (siehe CW Nr. 22 vom 31. Mai 1991, Seite 6).

Von den 17 Mitarbeitern der AD/Vice GmbH, Hamburg, kommen nur zwei direkt aus den IBM-Reihen. Einer von ihnen ist Reinhard Behrendt, der gemeinsam mit dem langjährigen GMO-Mann Gernot Schultz-Berndt das auf Management-Beratung im AD/Cycle-Umfeld spezialisierte Unternehmens leitet. Der größte Teil der Belegschaft wurde aus dem ehemaligen GMO-Bereich CASE-Consulting übernommen.

Die IBM hingegen tue sich schwer, gute Mitarbeiter abzustellen, erläutert Behrendt, und sein ehemaliger Vorgesetzter Peter Kirn widerspricht ihm nicht: "Die Leute, die wir haben, brauchen wir dringend für unsere eigene Anwendungsentwicklung," erläutert der IBM-Direktor, der für das Segment Anwendungen und Architekturen verantwortlich zeichnet. Würde die IBM ihr Personal für das Gemeinschaftsunternehmen zur Verfügung stellen, so hätte sie "nichts gewonnen".

Das Beratungsunternehmen mit Sitz in Hamburg ist nicht das erste Gemeinschaftsprojekt der IBM mit einer Software- und Service-Company aus dem CASE-Bereich, und es wird wohl auch nicht das letzte bleiben. Nachdem vor etwa einem

Jahr Kooperationen mit dem dänischen Anbieter CRI und der französischen Cap Sesa angekündigt worden waren, gründete die IBM Österreich im April ein Dienstleistungsunternehmen mit der Wiener Servo Data Ges.m.b.H. und der österreichischen GMO-Niederlassung (siehe CW Nr. 15 vom 12. April 1991, Seite 1).

Sowohl die Ploenzke Informatik GmbH & Co. KG, Kiedrich, als auch die Cap Gemini SCS GmbH in Hamburg bestätigten, daß sie ebenfalls Kooperationsgespräche mit der IBM führen. Wie Kirn und Behrendt beteuern, handelt es sich bei AD/Vice definitiv nicht um das Service-Unternehmen, das seit einiger Zeit als Erlkönig durch die Branche geistert. Vielmehr ist der Vorsitzende des GMO-Aufsichtsrates, Hasso Wien, eigener Darstellung zufolge bereits im Dezember 1988 an die IBM herangetreten, um die Möglichkeiten einer Kooperation im CASE-Umfeld zu erörtern. Die Gespräche über andere Partnerschaften sind laut Kirn jüngeren Datums.

Der IBM-Direktor macht kein Hehl daraus, daß der Branchenführer ein vitales Interesse am Software-Engineering habe: Neue Rechner ließen sich nur dann verkaufen, wenn die Kunden neue Anwendungen entwickelten; derzeit seien jedoch bis zu 80 Prozent der Softwareressourcen in die Wartung bestehender Applikationen eingebunden.

Es gilt jedoch als Binsenweisheit, daß ein CASE-System allein die Entwicklung weder schneller noch besser macht. Kirn: "Es gibt fast keinen Großkunden, der hier nicht nach Beratung fragt." Diese Nachfrage zu befriedigen wird die Aufgabe von AD/Vice und ähnlichen Unternehmen sein.

Allerdings erschlägt der blaue Riese mit dieser Klappe noch eine andere Fliege: Während IBM-Kunden bislang Consulting-Leistungen als kostenlose Dreingabe zu den Produkten erwarteten, kann ein eigenständiges Tocherunternehmen einen solchen Service selbstverständlich in Rechnung stellen.